Altbischof Noack: "Nicht so ängstlich sein mit der Kirche!"

Axel Noack
Foto: Martin Rothe
Axel Noack war bis 2009 evangelischer Bischof in Magdeburg und ist jetzt Professor für Kirchengeschichte an der Universität Halle-Wittenberg. Die Fakultät ist in den Franckeschen Stiftungen in Halle/Saale untergebracht.
Altbischof Noack: "Nicht so ängstlich sein mit der Kirche!"
Axel Noack sieht die aktuellen Umbrüche in der Kirchenstruktur gelassen. Der frühere evangelische Bischof aus Sachsen-Anhalt weiß aus 40 Jahren DDR, wie die Kirche trotz schwieriger Rahmenbedingungen überleben kann. Ein Gespräch über Dezentralisierung, kirchenbau-begeisterte "Heiden" und verfehlten missionarischen Eifer.

Herr Professor Noack, Sie waren bis 2009 Bischof einer ostdeutschen Landeskirche und sind seit der Wiedervereinigung auch auf EKD-Ebene aktiv. Gibt es in der evangelischen Kirche in Deutschland zu viel Kleinstaaterei?

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Axel Noack: Das ist richtig. Ich glaube, die Landeskirchen haben sich überlebt. Das wird langfristig aufhören. Das wollen die nur noch nicht hören.

Wie kommen Sie zu diesem Schluss?

Noack: Das wird sich erledigen, weil die innere Verbindung der Menschen zu den Landeskirchen nicht mehr da ist. Die Leute sind evangelisch. Aber das Landeskirchliche und die Unterteilung in Lutheraner, Reformierte und Unierte – das kennen die Leute meist gar nicht, das interessiert sie auch nicht so sehr. Die EKD hat ja schon jetzt Formen von Kirche angenommen. Was auch richtig ist.

Bekommen wir dann nicht eine zentralistische Kirche, wie das nach 1933 schon mal geplant war?

Noack: Zentralistisch? Ich würde sagen: Es kommt erstmal auf die Gemeinden an, und auf die Kirchenbezirke. Zwischen denen und der EKD braucht es nicht soviel zu geben. Ich plädiere ganz stark für Dezentralisierung und Regionalisierung: So viel wie möglich an der Basis regeln! Wir im Osten mussten das machen, weil es in der DDR-Zeit nicht anders ging. Unsere Gemeinden mussten sich selber kümmern. Und sind heute viel selbständiger als die Gemeinden im Westen!

An was denken Sie da zum Beispiel?

Noack: Beispielsweise an die Kirchengebäude. Der Not gehorchend mussten sich unsere Gemeinden selbst um ihre Kirchen kümmern. Dieses Bewusstsein blieb uns erhalten. Und wie wir heute merken, ist das ein großer Segen. Im Westen kümmert sich eine kirchliche Zentralverwaltung darum. Und das tötet und lähmt die Eigeninitiative. Eine Gemeinde, der man sagt: "Eure Kirche wird einfallen und wir können euch nicht helfen", die wird aktiv!

"Die Leute hier würden sagen: 'Wir sind keine Christen. Wir sind keine Atheisten. Wir sind normal'"

Im Osten lebt nur ein Siebentel der Mitglieder der Evangelischen Kirche in Deutschland, aber ein Drittel aller Kirchengebäude steht hier. Wie schultern die Ost-Landeskirchen diese riesige Baulast?

Noack: Unsere Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) ist tatsächlich die "steinreichste" Landeskirche in Deutschland. Und trotzdem möchten wir keines unserer Kirchengebäude missen. Wir im Osten geben keine Kirche auf! Die Frauenkirche in Dresden ist da ein super Beispiel.

Aber die Frauenkirche ist ein Sonderfall, ein Leuchtturmprojekt.

Noack: Aber das Phänomen Frauenkirche haben wir in jedem Dorf! Die Frauenkirche ist wieder aufgebaut worden gegen den erklärten Willen der gesamten Kirchenleitung. Erst als sie halb fertig waren, fanden die es gut. Und genauso ist es im Dorf: Der Gemeindekirchenrat sieht die Probleme, die Kosten. Und dann sagen die Heiden im Dorf: "Kommt doch gar nicht in Frage, dass die Kirche einfällt!" Es ist ja irre, was hier im Osten entstanden ist in den letzten 20 Jahren!

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Blühende Landschaften – aber nur was historische Gebäude betrifft.

Noack: Dass es mal soviele Kirchenrenovierungen geben würde, hätte man sich doch damals nie vorstellen können! Wir haben in den letzten 20 Jahren soviele neue Glocken gegossen wie in den vorangegangenen 100 Jahren zusammen. Und die Kirche hat kein Geld gegeben, keinen Pfennig! Das bringen letztlich alles die Gemeinden zusammen. Gut, dass sie von Stiftungen wie der EKD-Stiftung "KiBa" dabei unterstützt werden.

Mithilfe der nichtkirchlichen Einwohner?

Noack: Natürlich! Die wollen auch, dass die Glocken läuten, auch wenn sie nicht zum Gottesdienst kommen. Dass das alles Gottlose sind – das ist alles Quark! Die Leute hier sind nicht atheistisch, sie sind nur nicht in der Kirche. Sie würden sagen: "Wir sind keine Christen. Wir sind keine Atheisten. Wir sind normal."

Sie sind auch Vorsitzender der bundesweiten "Arbeitsgemeinschaft missionarische Dienste". Was haben die missionarischen Dienste für eine Aufgabe in so einem Umfeld?

Noack: Die sollen zunächst einmal die wenigen Christen, die da sind, bestärken, dass sie fröhlich bleiben und nicht anfangen zu jammern. Und sie sollen überlegen, wie man die Menschen erreichen, wie man für sie da sein kann, wie man sich um sie kümmert. Die missionarischen Dienste sollen auch unser traditionelles Gemeindebild ein bisschen korrigieren.

"Ein paar Fromme braucht es - die müssen für die anderen mitbeten. Aber das ist doch dann auch genug!"

Welches Gemeindebild meinen Sie?

Noack: Die Vorstellung: "Wir machen was Tolles, die Anderen sollen kommen und das auch toll finden!" Das wird nicht funktionieren. Im Osten schon gar nicht. Die Kirche guckt noch zu wenig, wo das Evangelium die Menschen wirklich betrifft. Das sind oft Punkte, an die wir gar nicht so denken. Oft im Beruf oder auch beim Hobby – seien es die Handwerker, Jäger, Motorradfahrer. Herr Krause und Herr Schulze würden nie in den Gottesdienst kommen. Aber wenn wir einen Gottesdienst für die Handwerkerinnung veranstalten, dann sind der Malermeister Krause und der Bäckermeister Schulze wie selbstverständlich dabei.

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Das heißt, die Kirchenleute sollten mehr rausgehen zu den anderen.

Noack: Natürlich! Und nicht nur verzweckt, sondern um zu gucken, wie es denen da draußen geht. Die Frage ist doch: Wo nehmen wir Anteil daran, wie es den Menschen geht? Ganz echt. Ohne Zweck. Und wir sollten nicht nur dorthin gehen, wo es den Menschen schlecht geht, sondern auch dahin, wo sie feiern! In dem Dorf, wo ich wohne, gehe ich immer mal aufs Dorffest, auch wenn das dort nicht so meine Musik ist. Und die Leute wissen, wer ich bin. Ich mache die nicht fromm. Aber ich bin ein bisschen für sie mit fromm. Wir müssen wieder stellvertretend fromm sein!

Und dennoch gibt es in gewissen Situationen etwas Evangelisches auszurichten?

Noack: Natürlich! Das Tollste wäre, wenn die Leute dann ab und zu mal fragen, was uns eigentlich bewegt und trägt. Aber es gibt eben auch Leute, die nutzen die Kirche schamlos aus. Die sagen uns: "Ich wünsche mir, dass die Kirche offen ist, wenn ich sie brauche, und es nicht übel nimmt, wenn ich nicht komme." Diese Leute müssen wir mögen!

Das heißt, missionarischen Bekehrungseifer sehen Sie eher kritisch?

Noack: Ich denke nicht, dass wir die hier alle fromm kriegen sollen. Das war doch noch nie so. Darüber hat schon Luther gejammert, dass die hier nicht fromm sind. Warum denn auch? Ein paar Fromme braucht es – und die haben wir ja überall – die müssen für die anderen mitbeten. Aber das ist doch dann auch genug! Wenn 20 bis 25 Prozent der Bevölkerung Mitglied der Kirche sind, muss man nicht jammern. Das ist doch toll! Da muss das Evangelium laufen in so einem Land wie hier!

"Dass es die Kirche geben wird bis zum Ende der Welt – das ist doch gar keine Frage!"

Lassen Sie uns auf die bundesweite Situation schauen: Wie wird sich das Verhältnis zwischen Staat und Kirche in den nächsten 30 Jahren entwickeln? Wird sich die Kirchensteuer, wird sich der kirchliche Religionsunterricht an staatlichen Schulen noch halten lassen?

Noack: Die Kirchensteuer ist ja ein gutes Geschäft für den Staat: Für den Einzug kassiert er von der Kirche Gebühren, fast 3 Prozent von – evangelisch und katholisch – 8  Milliarden. Und dieses Modell ist ja auch rechtlich gut verankert. Ich sehe es eher umgekehrt – dass nämlich auch andere dahin drängen: Die jüdischen Gemeinden führen jetzt ihre "Kirchensteuer" ein. Die Humanisten überlegen, die "Kirchensteuer" einzuführen. Und das ist ja auch ihr gutes Recht. Es ist ja nicht an die Kirche gebunden. Also ich sehe da keine Schwierigkeiten in absehbarer Zeit.

Und wenn den Kirchen diese Rechte eines Tages doch abgesprochen werden?

Noack: Dann müssen wir eben schauen, wie wir dann unsere Finanzierung und religiöse Erziehung anders hinkriegen. Das haben wir doch im Osten 40 Jahre lang auch geschafft. Manche diskutieren das ganz angstbesetzt. Also Leute, nun macht doch mal halblang! Die Kirche hat doch vor so etwas keine Angst! Wenn die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden, dann wird sie doch auch das überleben. Wir wissen nicht, wie die Kirche sein wird, aber dass es die Kirche geben wird bis zum Ende der Welt – das ist doch gar keine Frage! Man darf da nicht so ängstlich sein mit der Kirche!

Schön, mal so eine optimistische Sicht zu hören.

Noack: Was heißt hier optimistisch? Das ist vom Glauben getragen! Ich weiß es nicht, was kommt. Aber man soll mir erstmal einen Betrieb zeigen, der zweitausend Jahre Bestand hat! Ich habe in so vielen Kirchenleitungssitzungen gesessen. Oft waren das fürchterliche Veranstaltungen. Da kommst du immer ganz glaubensgestärkt heraus und denkst: An uns kann es gar nicht liegen, dass es die Kirche noch gibt! Das siehst du ja in jeder Sitzung. Und deshalb bin ich ganz sicher, dass wir nur einen ganz kleinen Teil davon beeinflussen können. Wir sind es nicht, die die Kirche erhalten!