Mit dem Rolli an die Wahlurne

Foto: dpa/Paul Zinken
Musiker Guildo Horn (l.) posiert in Berlin vor dem Nachbarschaftshaus mit Petra Groß (2.v.r.), Michael Wahl (r.) und Raúl Krauthausen. Das Quartett testet im Auftrag der Hilfsorganisation "Aktion Mensch" bundesweit Wahllokale auf ihre Barrierefreiheit.
Mit dem Rolli an die Wahlurne
Aktion Mensch und Schlagersänger Guildo Horn testen Wahllokale auf Barrierefreiheit
Ein kleines blaues Schild weist dem Rollstuhlfahrer Raúl Krauthausen den Weg zum Aufzug im Hinterhof, von da aus geht es in den ersten Stock und direkt zur noch improvisierten Wahlurne aus Pappe. So gesehen ganz einfach - den Test für die Bundestagswahl im September hat das künftige Wahllokal im Berliner Stadtteil Kreuzberg erst einmal bestanden.
20.08.2013
epd
Luise Poschmann

Doch dass Barrierefreiheit nicht nur Rollstuhlgerechtigkeit ist, zeigt sich selbst bei gut vorbereiteten Wahllokalen; oft fehlen simple Piktogramme oder ein Leitsystem für Blinde. Fünf Wochen vor der Bundestagswahl testet die Aktion Mensch deshalb gemeinsam mit Schlagersänger Guildo Horn Wahllokale in ganz Deutschland.

Die Stimmung ist zum Auftakt der Bustour am Montag in der Hauptstadt recht ausgelassen. Schlagersänger Guildo Horn, der sich als Diplompädagoge seit Jahren für die Rechte von Menschen mit Behinderung engagiert, ist in einem gepunkteten, orangefarbenen Anzug mit blauer Krawatte erschienen, seine Mitstreiter tragen die weißen T-Shirts der Aktion. "Ich bin hier nur der Busfahrer", scherzt der Künstler. "Die echten Experten sitzen neben mir", fügt er hinzu. Die "Experten", das sind neben Krauthausen Petra Groß, Expertin für leichte Sprache, und der Blindenfußball-Spieler und Journalist Michael Wahl.

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Nach Angaben der Aktion Mensch sind zur Bundestagswahl in diesem Jahr rund sieben Millionen Schwerbehinderte wahlberechtigt, hinzu kommen etliche Millionen Menschen mit schlechter Lesefähigkeit. Am Dienstag (20. August) macht der Bus der Wahllokal-Tester Station in Hamburg, danach sind Tests in Köln, Kassel und München geplant.

Ernsthaft wird die "Reisegruppe" der Aktion Mensch, wenn es um ihre Forderungen geht. "Wir wollen zu 100 Prozent barrierefreie Wahllokale", sagt Krauthausen. Sich am Tag der Wahl - auf den ja in der medialen und politischen Öffentlichkeit wochenlang hingefiebert werde - in das Wahllokal zu begeben und dort sein Kreuz zu machen, müsse für alle Menschen möglich sein. "Wenn man auf die Möglichkeit der Briefwahl verweist, ist das keine echte Gleichberechtigung, und Menschen mit Behinderung sind wieder außen vor" sagt Krauthausen. "Wir wollen uns nicht vorschreiben lassen, auf welchem Weg wir wählen gehen."

Für den Vorstand der Aktion Mensch, Armin von Buttlar, ist der Wahllokal-Test vor allem Ausdruck eines übergeordneten Ziels: "Wir plädieren für eine selbstverständliche und selbstbestimmte Teilhabe aller Menschen am politischen Leben", sagt Buttlar. Neben der Teilnahme am Wahlakt selbst gehörten dazu auch barrierefreie Besuche von Wahlveranstaltungen, die Mitarbeit in Parteien sowie die Möglichkeit, sich politisch zu informieren. Deshalb seien auch Wahlprogramme in leichter Sprache so wichtig, sagt Buttlar. "Die werden oft auch von Menschen gelesen, die nicht geistig behindert sind", ist er sich sicher.

Eigentlich selbstverständlich: genug Zeit zum Wählen

Unterstützt wird die Aktion auch von Politikern unterschiedlicher Parteien, unter anderem hat sich die stellvertretende SPD-Parteivorsitzende Manuela Schwesig zum Auftakt der Tour nach Kreuzberg begeben. Einig sind sich die Politiker über das übergeordnete Ziel der Inklusion, die Wege dahin sind oft strittig. Aktuell sind sich die Parteien uneins darüber, ob auch Menschen wählen können sollten, für die zur Besorgung ihrer Angelegenheiten dauerhaft ein Betreuer bestellt ist.

Für die kommenden Wochen vor der Bundestagswahl arbeitet die Aktion Mensch allerdings erst einmal an den kleineren Baustellen. Es geht um Bilder an Wahlkabinen, mobile Rampen für Rollstühle oder Schablonen für Blinde. Die Expertin für leichte Sprache, Petra Groß, wünscht sich noch etwas, wenn sie in die Wahlkabine geht - und zwar eigentlich eine Selbstverständlichkeit: Die Zeit, sich ohne Hektik zu orientieren und zu wählen. "Manchmal hieß es da schon: Der Nächste steht schon da", erzählt sie enttäuscht.