"Die meisten Geheimnisse gehören an die Öffentlichkeit"

Foto: Focus World 2013
"Die meisten Geheimnisse gehören an die Öffentlichkeit"
Der Dokumentarfilmer Alex Gibney über Wikileaks, Transparenz und seinen neuen Film "We Steal Secrets"
Alex Gibney ist einer der wichtigsten Dokumentarfilmer der USA, dessen politische Analysen immer sehr nah am Puls der Zeit sind. In seiner Dokumentation "Taxi zur Hölle" berichtete er über Foltermethoden des US-Militärs in Afghanistan und ergielt dafür 2008 den Oscar. In "Der Enron Bankrott – Die ganz schlauen Burschen" analysierte er die Machenschaften der amerikanischen Energiekonzerne und in seinem neuen Film "We Steal Secrets" beschäftigt er sich mit dem dem Phänomen "Wikileaks" und dessen beiden Zentralfiguren, dem Gründer Julian Assange und seinem wichtigsten Informanten Bradley Manning.

Mr. Gibney, Ihr Film beschäftigt sich mit dem Wechselverhältnis zwischen regierungsamtlichen Geheimdiensten, die ihre Tätigkeitsfeld in den letzten Jahren kontinuierlich erweitert haben, und der Organisation Wikileaks, die dem Überwachungsstaat die Forderung nach totaler Transparenz entgegensetzt. Nun ist mit Edward Snowden ein hochrangiger Geheimnisträger mit seinem Wissen an die Öffentlichkeit gegangen und hat das ungeheure Ausmaß der Bespitzelung aufgedeckt. Überraschen Sie diese Entwicklungen?

Alex Gibney: Nein, das war vorhersehbar. J. William Leonard, der unter der Bush-Administration entschieden hat, welche Akten und Informationen zur Geheimsache erklärt werden, weist im Film schon darauf hin, dass in den USA viel zu viele Geheimnisse existieren.

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Mit der Datensammelwut hat sich innerhalb der Geheimdienstsystems ein enormer Druck aufgebaut. Zum einen gibt es immer mehr Geheimnisse, die an die Öffentlichkeit drängen. Auf der anderen ist natürlich auch die Zahl der Mitarbeiter gestiegen, die Zugang zu diesen Geheimnissen haben. Es war nur eine Frage der Zeit, bis in diesem aufgeblasenen Sicherheitssystem das erste Leck auftaucht.

Wie wichtig ist Transparenz und die Aufdeckung dieser Geheimnisse für eine demokratische Gesellschaft?

Gibney: Die meisten dieser Geheimnisse gehören an die Öffentlichkeit. Denn wenn so viele wichtige Informationen vor uns geheim gehalten werden, können wir die Regierungsentscheidungen, die in unserem Namen gefällt werden, nicht richtig beurteilen. Durch die Veröffentlichungen von Wikileaks haben wir erfahren, dass die Zahl der zivilen Opfer in den Kriegen im Irak und in Afghanistan sehr viel höher war, als es die US-Regierung zugegeben hat. Für uns als Bürger ist das eine sehr wichtige Information. Das von Wikileaks ins Netz gestellte Video, das zeigt, wie ein US-Hubschrauber im Einsatz auf Zivilisten schießt, gehört an die Öffentlichkeit, weil die amerikanischen Bürger wissen müssen, was dort in ihrem Namen getan wird. Das muss nicht sofort passieren, weil Informationen über laufende Militäroperationen auch Menschenleben gefährden können. Aber mit einem gewissen zeitlichen Abstand sollte die Öffentlichkeit Zugang zu diesen Informationen haben.

"Geheimnisverrat ist sehr stark von zwischenmenschlichen Beziehungen beeinflusst"

Wikileaks gehörte zu den Verfechtern totaler Transparenz. Wo liegen Gefahren dieser Position?

Gibney: Beim Geheimnisverrat muss immer eine moralische Entscheidung zwischengeschaltet sein, die darüber entscheidet, wann und warum die Informationen weitergeleitet werden. Es ist ein fürchterlicher Fehler, wenn man Transparenz als rein mechanischen Prozess betrachtet. Wikileaks hat Großes geleistet, aber auch viele Fehler gemacht, aus denen wir lernen müssen.

Eduard Snowden hat seine Informationen nicht an Wikileaks, sondern an Journalisten weitergegeben. Ist das schon der Beginn des Post-Wikileak-Zeitalters?

Gibney: Snowden hat die Arbeit von Wikileaks genau angeschaut und sein Vorgehen dieser Analyse angepasst. Wikileaks hat oft versucht, den Eindruck zu erwecken, als sei ihr Modell die einzige Möglichkeit zur Transparenz. Das halte ich für falsch. Wikileaks repräsentiert einen historischen Moment, aus dem wir alle für die Zukunft lernen können. Wir müssen uns auf die moralische Frage konzentrieren, welche Informationen an die Öffentlichkeit müssen und welche nicht.

Welche Rolle kommt in diesem Prozess dem Journalismus zu?

Gibney: Journalisten haben die Verpflichtung, die Macht in ihre Schranken zu weisen. Die Hauptaufgabe des Journalismus’ ist es Geheimnisse aufzudecken, während Politiker und Regierungen immer bestrebt sind die Aufdeckung von Korruption und peinlichen Skandalen zu verhindern. Das ist in einer demokratischen Gesellschaft ein unvermeidlicher Konflikt. Heute ist der Journalismus in den USA im Kontext der nationalen Sicherheit permanenten Angriffen ausgesetzt. Interessanterweise hat das auf den amerikanischen Journalismus eine vitalisierende Wirkung, wie es man jetzt ja auch am Fall Snowden sehen kann.

Ihr Film setzt sich intensiv mit den Persönlichkeitsstrukturen des Wikileaks-Gründers Julian Assange und seines wichtigsten Informanten Bradley Manning auseinander. Warum waren Ihnen diese psychologischen Aspekte so wichtig?

Gibney: Als ich mit dem Film angefangen habe, dachte ich Wikileaks wäre eine Art Maschine, die es ermöglicht, geheime Informationen vollkommen anonym an die Öffentlichkeit zu bringen. Aber es stellt sich heraus, dass der Prozess des Geheimnisverrates, der sich zwischen dem Informanten und demjenigen, der diese Information verarbeiten, sehr stark von menschlichen Beziehungen beeinflusst ist.

"Assange wollte das Resultat des Filmes beeinflussen"

Sie haben vergeblich versucht Julian Assange zu einem Interview für Ihren Film zu gewinnen. Woran sind die Verhandlungen gescheitert?

Gibney: Julian Assange wollte eine Beziehung herstellen, die ihm ermöglicht, das Resultat des Filmes zu beeinflussen und sicherzustellen, dass mein Film für seine Position Partei ergreift. Er hat nicht nur redaktionelle Kontrolle verlangt, sondern auch erhebliche Honorarsummen eingefordert. Assange ist es gewohnt, dass die Leute mit ihm einen Deal aushandeln. Aber ich habe von Anfang an gesagt: "Ich möchte, dass Sie mitmachen, aber ich werde den Film auch ohne Ihre Beteiligung drehen". Das hat ihm nicht gefallen, weil die meisten Menschen ihn um seine Kooperation anflehen und Versprechungen machen, die sie dann meistens  nicht einhalten.

Das Ende der Verhandlungen war für mich erreicht, als Assange vorgeschlagen hat, dass ich die anderen Interviewpartner für ihn ausspioniere – und das kam von einem Mann, der einmal als Avatar des Informantenschutzes galt. Das verdeutlicht sehr gut Assanges Entwicklung vom radikalen Transparenz-Verfechter hin zu einem Mann, der das gleiche Verhalten an den Tag legt, wie die Leute, deren Taten er an den Pranger gestellt hat. Es ist das gleiche Argumentationsmuster, das auch die US-Regierung vertritt, wenn sie "Waterboarding" damit rechtfertigt, dass diese Menschenrechtsverletzungen einer guten Sache dient. Wenn man diese Art der Argumentation akzeptiert, wird man zwangsläufig korrupt - und genau das ist mit Julian Assange geschehen.

"We steal Secrets" reflektiert auch die zwiespältige Rolle des Internets in der modernen Kommunikationsgesellschaft. Ist das Internet das ideale Instrument zur Herstellung von Transparenz oder ein praktisches Mittel für Desinformationskampagnen?  

Gibney: Das Internet ist vieles gleichzeitig. Auf der einen Seite kann es, wie wir gerade sehen, als gigantische Überwachungsmaschine genutzt werden. Es ist der Ort, an dem wir unsere intimsten Geheimnisse offen preisgeben und denken, dass sie dort gut aufgehoben sind, was ein fataler Trugschluss ist. Ich habe lange Zeit das Internet als Kraft des Guten angesehen, weil es allen Menschen Zugang zu Informationen bietet. Aber der Film zeigt auch, wie die das Internet für Verleumdungskampagnen genutzt werden kann, wenn die Frauen, die Assange wegen Vergewaltigung angezeigt haben, von Wikileaks-Anhängern systematisch diffamiert werden. Unter dem Schutz der Anonymität kann man im Internet die schlimmsten Lügen verbreiten. Und diese Lügen verfolgen ihre Opfer ein Leben lang, weil sie über Google immer wieder abgerufen werden können.