Beiräte und Baupläne: Die Pflegereform steckt fest

Pflege ist nicht einfach, aber die derzeitige Gesetzeslage lässt pflegende Angehörige nur eine schwache Hoffnung auf Besserstellung.
Foto: epd/Werner Krüper
Pflege ist nicht einfach, aber die derzeitige Gesetzeslage lässt pflegende Angehörige nur eine schwache Hoffnung auf Besserstellung.
Beiräte und Baupläne: Die Pflegereform steckt fest
Am Donnerstag hat der Pflegebeirat Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) in Berlin seinen Bericht zur Umsetzung einer Reform übergeben, die die Regierungskoalition schon abgeblasen hat: den grundlegenden Umbau der Pflegeversicherung zugunsten der Demenzkranken. Auch in diesem Anlauf sieht es nicht so aus, als gelinge dieser Umbau.
28.06.2013
epd
Bettina Markmeyer

Zwar hatten Union und FDP vor vier Jahren eine neue Definition der Pflegebedürftigkeit angekündigt und im Koalitionsvertrag erklärt: "Damit schaffen wir mehr Leistungsgerechtigkeit in der Pflegeversicherung". Doch tatsächlich ist der FDP-Mann Bahr nicht viel weiter als seine Amtsvorgängerin Ulla Schmidt (SPD).

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Auch Schmidt hatte Experten zusammengerufen. Auch ihr Beirat unter der Leitung des früheren Diakonie-Präsidenten Jürgen Gohde übergab seine Empfehlungen erst kurz vor der Bundestagswahl 2009. Auch damals passierte nichts mehr.

Dass jetzt wieder ein Bericht übergeben werde, sei "schön und gut", urteilt die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast, "ändert nur kein bisschen am beklagenswerten Zustand der Pflege". Der Koalition fehle schlicht der politische Wille zu einer Reform mit "Mehrkosten in beträchtlicher Höhe".

Der für die Pflegekassen zuständige Vorstand beim GKV-Spitzenverband, Gernot Kiefer, selbst Mitglied des Bahr-Beirats, appelliert: "In der nächsten Legislaturperiode sollte die Politik jetzt aber endlich entscheiden. Weitere Beiräte bringen nicht die Lösung." Wenn ein Gesetz beschlossen sei, dauere die Umsetzung immer noch anderthalb Jahre.

Wie viel teurer wird die Pflege?

Zur entscheidenden Frage, um wieviel die Ausgaben der Pflegeversicherung steigen werden, sagt der Bahr-Beirat in seinen zusammenfassenden Empfehlungen nichts. Es gibt aber Berechnungen, aus denen hervorgeht, dass mindestens zwei Milliarden Euro notwendig werden. Darüber allerdings haben sich die Experten so zerstritten, dass Arbeitgebervertreter und Wohlfahrtsverbände jeweils mit Austritt drohten.

Der vorherige Gohde-Beirat, der seinen Bericht 2009 abgegeben hatte, war in seinem mittleren Szenario von rund drei Milliarden Euro Mehrausgaben pro Jahr ausgegangen, hatte sich aber ebenfalls nicht festgelegt. Umgerechnet muss für jede Milliarde Mehrausgaben der Beitrag zur Pflegeversicherung (2,05 Prozent des Bruttoeinkommens) um 0,1 Prozentpunkt steigen.

Die SPD will mindestens fünf Milliarden Euro zusätzlich für die Pflege ausgeben, der Paritätische Wohlfahrtsverband geht von sechs Milliarden Euro aus. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hat diese Summe in 100.000 zusätzliche Fachkräfte umgerechnet. Aber ver.di-Vorstand Sylvia Bühler erwartet nichts: "Dieser Bundesregierung ist die Pflege gleichgültig. Anders kann man es nicht auslegen, dass der Beiratsbericht am vorletzten Sitzungstag vor der Wahl übergeben wird."

Mehr Pflegegrade und Demenz berücksichtigen

Viele der 37 Mitglieder des Beirats sind dieselben wie im Gohde-Beirat. Es sind Pflegewissenschaftler, Funktionäre, Verbände- und Kassenvertreter. Auch die Empfehlungen haben sich im Kern nicht verändert. Es soll fünf Pflegegrade statt der bisherigen drei Pflegestufen geben. In einem neuen Begutachtungsverfahren sollen neben den körperlichen Einschränkungen auch kognitive berücksichtigt werden. Darunter fällt die Demenz. Wer heute schon Leistungen erhält, soll nicht schlechtergestellt werden. Wer nach dem neuen Verfahren mehr bekommen könnte, soll sich neu einstufen lassen können.

In Deutschland leben rund 1,5 Millionen Demenzkranke, bis 2050 sollen es doppelt so viele sein. Seit 2002 bekamen die Pflegebedürftigen unter ihnen bis zu 460 Euro im Jahr, von denen ihre Angehörigen erstmals fremde Betreuung bezahlen konnten. 2008 wurden diese Beträge auf 100 bis 200 Euro im Monat erhöht und werden seitdem auch ausgezahlt, wenn außer der Demenz keine Pflegebedürftigkeit vorliegt (Pflegestufe 0).

Ohne pflegende Angehörige wäre die Pflegeversicherung am Ende

Seit diesem Jahr bekommen Demenzkranke in den Pflegestufen 0 bis 2 mehr Geld, sofern sie noch zu Hause leben. Die Erhöhung liegt zwischen 70 und 225 Euro im Monat und ist vor allem ein Signal an die Angehörigen. Ohne sie, die zwei Drittel der 2,5 Millionen Pflegebedürftigen versorgen, bräche die Pflegeversicherung zusammen. Das weiß jeder Gesundheitsminister, auch Daniel Bahr. Dafür wurde der Pflegebeitrag um 0,1 Prozentpunkt erhöht - und mehr war unter Schwarz-Gelb nicht drin.

Der Pflege-Experte und damalige Vorsitzende des Schmidt-Beirats, Jürgen Gohde, hat die Pflege-Gesetze einmal mit einem Haus verglichen, an das ab und zu neue Balkons angebaut werden. Drinnen ändert sich nichts, aber man gewinnt ein wenig Raum. Auf den Balkons sitzen die Demenzkranken - und die Experten sollten helfen, sie ins Haus holen. Solange sich aber die Regierung nicht darauf verständigt, was der Umbau dafür kosten darf, bleibt den Beiräten lediglich, mit viel Fleiß die Baupläne zu verfeinern.