Halbmond und Kreuz ineinander verschlungen

Foto: laif/Jonathan Alpeyrie
Halbmond und Kreuz ineinander verschlungen
In den Gedanken zur Woche im Deutschlandfunk sorgt sich Pfarrer Thomas Dörken-Kucharz um die Kopten in Ägypten und erinnert daran, dass Jesus vor dem Kindermord des Herodes dort Zuflucht fand.
01.02.2013
Pfarrer Thomas Dörken Kucharz

Die beste Rasur meines Lebens habe ich im ägyptischen Assuan bekommen. Ich wollte einmal ausprobieren wie es ist, mit einem Messer rasiert zu werden. Etwas unsicher habe ich mich in den kleinen Barbierladen getraut. Gefunden habe ich mehr als ich suchte: Als ich im Stuhl lag und das Messer meine Bartstoppeln gründlicher denn je stutzte, entdeckte ich in der Ecke des Ladens ein Holzkreuz und eine Ikone. Der Barbier war koptischer Christ. Wir konnten uns kaum verständigen, er sprach nur ein paar Brocken Englisch und Deutsch und ich kein Arabisch. Aber soweit hat es gereicht, dass wir uns beide als Christen erkannten und wussten, was uns verbindet.

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Seither verfolge ich die Situation der koptischen Christen aufmerksamer. Wohl deshalb haben sich mir die Bilder, wie Christen und Muslime sich gegenseitig das Gebet ermöglichen, statt sich zu bekriegen, tief eingebrannt: Ägyptische Christen haben die Hände zum Gebet erhoben, manche halten Holzkreuze in den Händen. Um diese koptischen Männer und Frauen herum haben sich muslimische Mitdemonstranten aufgestellt. Sie bilden um sie einen Ring, damit die Christen sich ungestört mit ihrem Flehen an Gott wenden können. Die muslimischen Bürger schützen sie so vor der Gefahr, von gekauften Schlägern des Regimes geprügelt oder niedergeritten zu werden. Als die ägyptischen Christen ihr Gebet beendet haben, wechseln sie die Rollen: Jetzt knien die Muslime nieder und beten, während die Christen um sie einen Kreis bilden. Manche haben sich einen Halbmond und ein Kreuz ineinander verschlungen auf die Haut gemalt.

Jesus fand in Ägypten Zuflucht

Ziemlich genau zwei Jahre ist es her, dass diese Bilder vom Tahrirplatz in Kairo um die Welt gingen. Damals demonstrierten die Menschen dort gegen Präsident Mubarak. Zwei Jahre später heißt der Präsident Mursi und auf dem Tahrirplatz und in vielen anderen Städten Ägyptens protestieren wieder viele Menschen. Diesmal gegen ihn. Denn sie sehen sich um ihre Hoffnungen betrogen und vergleichen Mursi unverhohlen mit Mubarak. Dem Land geht es wirtschaftlich schlechter als damals und die Menschen haben Angst. Angst vor einem sogenannten Gottesstaat, in dem die Muslimbrüder noch die harmloseren sind und Salafisten und Islamisten das Sagen haben; oder doch zumindest Angst davor, dass das Militär wieder einen Diktator an der Macht hält und sich nichts zum Besseren wendet.

Auch bei der Religionsfreiheit hat sich in zwei Jahren nicht viel zum Besseren gewendet. Christen und Muslime, die sich gegenseitig das Gebet ermöglichen - heute mutet die geschilderte Szene utopisch an. Auch wenn die rund zehn Millionen Kopten in Ägypten laut Verfassung ihre Rechte und Freiheiten haben, der Alltag sieht anders aus. Sie werden benachteiligt und immer wieder gibt es Übergriffe, gar Angriffe von muslimischer Seite.

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In dieser Woche hat der ägyptische Präsident Deutschland besucht. Die Kanzlerin hat ihn aufgefordert, die Menschenrechte zu achten und Religionsfreiheit im täglichen Leben zu ermöglichen. Und Präsident Mursi hat Rechtstaatlichkeit, Demokratie und auch Religionsfreiheit versprochen. Das klingt gut, ist aber noch meilenweit von der Wirklichkeit entfernt. Das ließ sich von den Transparenten vor dem Kanzleramt ablesen, hochgehalten von protestierenden Kopten und von Amnesty International.
Ägypten braucht unsere Hilfe - auch wirtschaftlich. Aber es hat nur Zukunft, wenn den Worten endlich Taten folgen. Nicht Notstandsgesetze sind das Rezept, auch Boykott und Krawalle nicht, sondern Gespräche und Kompromisse, auf beiden Seiten. Dann wird Ägypten vielleicht wieder zu einem Land, aus dem Christen nicht fliehen müssen, sondern das sogar Zuflucht bieten könnte, wie einst dem neugeborenen Jesus. Der - so berichtet das Matthäusevangelium - floh vor dem Kindermord des Herodes nach Ägypten, fand dort Aufnahme und überlebte.