"Ich habe noch Fragen, wenn ich dem Herrn gegenüberstehe"

Foto: Karolin Back
Vor spartanischer Kulisse diskutierten Schneider und Friedman angeregt über das Thema "Sterben!".
"Ich habe noch Fragen, wenn ich dem Herrn gegenüberstehe"
"Ist es schon vorbei?" fragt Nikolaus Schneider überrascht, als ihn Michel Friedman mitteilt, dass die Zeit abgelaufen ist. Über eine Stunde redete der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mit dem TV-Moderator über das Thema "Sterben!" in all seinen Facetten. Nicht nur dem prominenten Gast kam es kürzer vor.
29.11.2012
evangelisch.de

Die Einrichtung der Frankfurter Kammerspiele an diesem Abend ist sehr spartanisch: Lediglich ein rotes Sofa und dahinter eine rote Holzkiste stehen auf der Bühne, auf die Kiste projiziert das Thema des Abends: Sterben! Ein durchmischtes Publikum aus Jung und Alt hat sich versammelt, die 187 Ledersessel im Saal sind fast alle besetzt.

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Schneider und Friedman betreten die Bühne, lassen sich auf dem Sofa nieder und beginnen ohne einleitende Worte oder Erklärung ihr Gespräch, erste Frage: "Gibt es etwas Schönes am Sterben?" Es ist der Beginn einer äußerst komplexen Diskussion zwischen Ethik, Theologie und Philosophie, die eine sehr intime Qualität entwickelt. Sehr differenziert diskutieren Schneider und Friedman über Sterbehilfe, Recht auf Selbsttötung, Furcht und Verlust sowie die Hoffnung auf Gott und ein Leben nach dem Tod.

"Lassen Sie uns darüber reden"

Das Anliegen der Gesprächsreihe "Friedman im Gespräch" wird vom Namensgeber wiederholt artikuliert: "Lassen Sie uns darüber reden." Mit seinen bisherigen Gesprächen zu Themen wie Macht, Gerechtigkeit, Liebe, Krieg, Gott oder Freier Wille hat sich Friedman existenzielle Themen vorgenommen.

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Friedmans Mantra des "darüber Redens" greift sein Gegenüber Schneider mehrfach auf, auch um auf die Tabuthemen, die das Sterben und der Tod noch immer sind, hinzuweisen: "Menschen werden sprachlos angesichts des Sterbens und des Todes", erklärt Schneider. Die Bitte in vielen Traueranzeigen, "von Beileidsbekundungen am Grab Abstand zu nehmen", sei dafür geradezu symptomatisch. Gerade deswegen müsste "so was, was wir hier machen, viel häufiger passieren". Schneider lobt in diesem Zusammenhang auch die jüngste Themenwoche in der ARD: Sie habe ihm sehr gut gefallen, besonders das Motto "Sie werden sterben, lassen Sie uns drüber reden".

An anderer Stelle hingegen fordert Schneider aber auch: "Wir sollten sehr viel zurückhaltender darüber reden, wenn Menschen ihr Leben beenden wollen." Die damit verbundenen Themen der Sterbehilfe und des selbstbestimmten Lebensendes nehmen letztlich auch den größten Teil des Gesprächs ein.

Segen und Fluch der modernen Medizin

Für Schneider ist das Sterben ein Prozess, den man weder aufhalten noch beschleunigen soll. "Es gibt für mich einen Prozess des Sterbens, der dann wirklich auch zum Ziel kommt. Und es ist Segen und Fluch der modernen Medizin, da sie da ganz schön manipulieren kann", sagt Schneider.

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Die Medizin sei Segen einerseits, weil sie vieles bewahren könne und Leben, die noch nicht zum Tode bestimmt seien, retten könne; Fluch sei sie andererseits, weil sie auch ein Sterben verlängern könne, bei dem das Ende eigentlich schon gekommen wäre. Und dieses Ende, da ist sich Schneider sicher, kann man nicht naturwissenschaftlich definieren, sondern nur spüren.

Schneider selbst hat diesbezüglich auch schon eine Entscheidung getroffen: Mit einer Fürsorgevollmacht für seine Frau will Schneider dafür sorgen, dass sein Leiden nicht unnötig verlängert wird. Friedman attestiert Schneider dazu, dass er sich "in Gottes Werk einmischen" würde, weil er sein Leben aus eigener Entscheidung, wenn auch nicht proaktiv, beenden würde. Schneider wiederum erwidert flapsig: "Nein, ich sage nur den Medizinern: 'Jungens jetzt ist gut'." Es sind Momente wie diese, in denen die Diskussion am Intensivsten ist, wenn sich Schneider und Friedman gegenseitig ins Wort fallen und Friedman gezielt provozierende Fragen stellt.

Friedman als "advocatus diaboli"

Auch wenn Schneider selbstkritisch anmerkt, dass seine Position auf dem schmalen Grat zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe ihre Schwächen hat, bleibt Friedman immer fair. Als knallharter Talker bekannt, lenkt er die Diskussion mit viel Fingerspitzengefühl und stellt als "advocatus diaboli", also als "Anwalt des Teufels" genau die richtigen, unbequemen Fragen.

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Den Bereich Sterbehilfe schließt Schneider ab, indem er klarstellt, das er die organisierte Sterbehilfe entschieden ablehnt, weil der Tod kein Geschäftsmodell werden dürfe. "Wenn wir so etwas erlauben und organisieren und dafür Institutionen schaffen, verändert das unsere Gesellschaft", ist sich Schneider sicher.

Besonders, wenn das Gespräch die theologische Dimension des Sterbens behandelt, wird Schneider sehr persönlich: Er berichtet sehr offen davon, wie er seine an Leukämie erkrankte Tochter beim Sterben begleitete und wie dies ihn seitdem beschäftigt: "Ich hab noch ein paar Fragen, wenn ich dem Herrn gegenüberstehe", schildert Schneider. Er wisse zwar, dass Krankheiten einen bestimmten Verlauf haben, aber trotzdem stimme die Reihenfolge nicht. Sein Unverständnis wird besonders in einem Satz klar: "Ich glaube an einen Gott, der nicht einfach alles laufen lässt."

Abrupt endet der Abend: Er ist so schnell wieder vorbei, wie er angefangen hat. Nach einem lauten aber kurzen Applaus verlassen Schneider und Friedman zügig die Bühne. Doch die Intensität des Gesagten beschäftigt die Zuschauer noch auf dem Nachhauseweg. Sie diskutieren intensiv über das, was sie gerade gehört haben, frei nach dem Motto des Abends: "Lassen Sie uns darüber reden."