Die Marathon-Lüge

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Die Marathon-Lüge
Den einen Helden, der den Sieg überbrachte: Es gab ihn nicht
Marathon – ein Name wie Donnerhall. Er steht für den Triumph des Willens über die Grenzen des Körpers. Vor rund 2.500 Jahren fand der erste Marathonlauf statt. Jedes Kind kennt die Geschichte vom Boten, der den Sieg der Athener verkündet hat und dann tot zusammengebrochen ist. Die Story erzählt sich schön, hat aber einen Schönheitsfehler: Sie ist frei erfunden. Und das ist nicht die einzige historische Ungereimtheit der Königsdisziplinen unter den fünf Ringen.

Wenn am Schlusstag der Olympischen Spiele der Marathonlauf der Männer auf dem Programm steht, dann wird sie wieder und wieder bemüht, die Legende vom Vater aller Marathonläufer: Der Bote Pheidippides ist im Jahr 490 vor Christus - also vor genau 2502 Jahren - nach dem Sieg in der Schlacht von Marathon den etwa 40 Kilometer langen Weg nach Athen gelaufen, um die frohe Botschaft zu verkünden: "Freut Euch, wir haben gesiegt." Danach ist er tot zusammengebrochen.

Die Legende duftet so wunderbar nach Treue und Tragik, genau betrachtet stinkt sie aber ganz gewaltig nach Lug und Trug. Die historische Quelle dafür ist Lukian, ein syrischer Geschichtsschreiber, der rund 600 Jahre nach der Schlacht von Marathon gelebt hat. Lukian ist berühmt für seinen beißenden Spott gegenüber jeder Autorität und erst recht gegenüber jeder Heldentat vergangener Jahrhunderte.

Das ganze Heer lief 40 Kilometer in voller Kriegsmontur

Eine andere Schilderung findet sich bei Herodot. Der "Vater der Geschichtsschreibung" war ungefähr im Jahr der Schlacht von Marathon geboren und lebte später in Athen. Herodot konnte seinen Bericht also nach Schilderungen aus erster Hand schreiben, nach Gesprächen mit Teilnehmern und Beobachtern der Schlacht von Marathon. Demnach schickten die persischen Herrscher im Jahr 490 eine Strafexpedition gegen die aufsässigen Athener. Die Flotte ankerte in einer windgeschützten Bucht nordöstlich von Athen, unweit dem Dorf Marathon. Als die Athener von der Landung hörten, zogen sie mit 10.000 Mann zur Ebene von Marathon. Zugleich sendeten sie den Boten Pheidippides nach Sparta, um dort um Unterstützung zu bitten.

###mehr-artikel###Herodot, auf dessen Schilderungen sich Lukian verlassen musste, berichtet also von einem Lauf über 245 Kilometer von Athen nach Sparta und nicht von der 40-Kilometer-Distanz zwischen Marathon und Athen. Da ist die Fantasie des Lukian mit ihm durchgegangen. Vor allem aber schreibt Herodot nichts von einem dramatischen Zusammenbruch mit Todesfolge nach Überbringung der frohen Botschaft. Dabei hätte Herodot, dessen Texte berühmt sind für ihre anekdotenreichen Schilderungen, sich solch ein anrührendes Detail sicherlich nicht entgehen lassen.

Der Rest ist schnell erzählt: Die Athener treiben den scheinbar übermächtigen Feind zurück auf seine Boote – übrigens ohne Hilfe der Spartaner. Die Schlacht ist gewonnen, aber noch nicht der Krieg. Denn die Perser segeln direkt nach Athen. Das sehen die Griechen vom Ufer aus, worauf das gesamte Heer in voller Kriegsmontur und zu Fuß die 40 Kilometer von Marathon nach Athen eilt. Tatsächlich kommen sie rechtzeitig vor dem Feind heim und verteidigen ihre Stadt ein zweites Mal.

Archäologen legten 1890 Marathon-Ebene frei

Genau genommen hat also nicht ein einzelner Bote den ersten Marathonlauf veranstaltet, sondern ein ganzes Kriegsheer der Athener. Doch wie so oft im Leben und in der Geschichtsschreibung hat sich nicht die Wahrheit durchgesetzt, sondern der schöne Schein.

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Sei es drum. Dank der fantasievollen Legende des Lukian liegt bis heute ein Hauch von Unsterblichkeit über der Ebene von Marathon und dem verträumten Küstenstädtchen gleichen Namens mit seinen aktuell rund 8.500 Einwohnern. Denn der lyrisch veranlagte Syrer Lukian hat uns 600 Jahre nach der Schlacht von Marathon mit seinem Ammenmärchen des sterbenden Boten eine Institution beschert, die die Welt nicht mehr missen will: den Marathonlauf.

Sportliche Langstreckenläufe gab es bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Die sogenannten Pedestrianisten lieferten sich in England und den USA Wettkämpfe über Distanzen zwischen 20 und 30 Meilen, also 32 und 48 Kilometern. Der Name Marathonlauf war allerdings noch unbekannt. Das änderte sich erst, als Archäologen 1890 bei Ausgrabungen in der Ebene von Marathon Hügel mit Gräbern der gefallenen Athener aus der Schlacht von Marathon freilegten. Erst danach erinnern sich Historiker wieder an die Schilderungen des Syrers Lukian über den sterbenden Boten Philippides mit der guten Nachricht.

42.195 Meter - festgelegt vom britischen Königshaus

Just in jenen Jahren konzipierte Pierre de Coubertin die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit in Athen 1896. Sein Freund, der Sprachwissenschaftler Michel Breal schlug ihm einen Wettbewerb vor, der an den langen Lauf des Boten von Marathon erinnern sollte. Pierre de Coubertin zögerte zunächst, denn er wusste, dass der längste Lauf der antiken Spiele nur knapp 5000 Meter lang gewesen war. Letztendlich gab er jedoch der charmanten Idee nach. Die Legende um den vermeintlichen Marathonlauf der Antike ist einfach zu sehr und auch zu kitschig mit Griechenland, dem Mutterland der Olympischen Spiele verbunden.

Die exakte Länge von 42.195 Metern wurde übrigens erst bei den Olympischen Spielen von 1908 in London festgelegt. Auf Wunsch des britischen Königshauses sollte der Start des Marathonlaufes von der Terrasse des Windsor-Schlosses aus zu sehen sei. Und weil der Lauf vor der königlichen Loge im White City Stadion enden sollte, ergab sich zufällig die krumme Zahl von 42.195 Metern.