Sonderfahrspur nach Olympia

Foto: dpa/Michael Kappeler
Sonderfahrspur nach Olympia
Sie haben die größte Ehre des Sports erhalten: Ihre Stadt - London - darf die Olympischen Spiele austragen. Doch für viele Londoner sind die Spiele ein Ärgernis. Sie leiden jetzt schon: Unter zu vollen Zügen, zu vollen Straßen und Raketen in der Nachbarschaft.
26.07.2012
Anette Schweizer

"London ist bereit", verkündete Boris Johnson, Bürgermeister der britischen Hauptstadt, vor wenigen Tagen. Sieben Jahre hatte die Stadt Zeit, sich auf die Olympischen Spiele vorzubereiten; die Baumaßnahmen verliefen planmäßig und nahezu mustergültig. Trotzdem sehen die Londoner der Ausrichtung der Sportwettbewerbe und den begleitenden Kulturveranstaltungen mit gemischten Gefühlen entgegen.

Ihre Hauptsorge gilt den Verkehrsproblemen, die das Mega-Event mit sich bringt. "London ist sowieso schon überlaufen, die Pendler sind genervt", sagt Finanzberater Gavin Bhunnoo. "Nur wegen der Strapazierfähigkeit und Gelassenheit der Londoner funktioniert das Alltagsleben in der Stadt überhaupt. Aber im Nahverkehr und auf den Straßen gibt es keine freien Kapazitäten, da ist schlichtweg kein Platz mehr."

Taxifahrer sind wütend

Auch der Bürgermeister selbst ist offenbar nicht davon überzeugt, dass das notorisch überlastete Londoner Nahverkehrsnetz dem erwarteten Ansturm von zwei Millionen Besuchern standhält. Seit Monaten beschwört er die Bürger seiner Stadt, während der Dauer der Spiele zumindest zu den Hauptverkehrszeiten keine Fahrten zu tätigen. Wer kann, solle seine Arbeitszeit nach hinten verschieben, das Fahrrad nehmen oder am besten ganz zu Hause bleiben, so der Bürgermeister. "Wir haben mit unseren Monatskarten und Steuern für das Transportsystem bezahlt, und nun sollen wir es nicht benutzen dürfen", sagt Gavin Bhunnoo dazu. "Die Leute sind echt sauer."

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Auch Pendler, die mit dem eigenen Auto unterwegs sind, müssen mit erheblichen Einschränkungen rechnen: Ab Mittwoch dieser Woche wird auf den Straßen Londons das Olympic Route Network eingerichtet. In der Praxis bedeutet das, dass Fahrbahnen im gesamten Stadtgebiet zu "olympic lanes" erklärt werden, die nur von den teilnehmenden 11.000 Athleten und den Funktionären der Spiele benutzt werden dürfen. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass zumindest die Hauptakteure pünktlich zu den Wettkampfstätten gelangen.

Londons Taxifahrer machten ihrem Ärger darüber, dass sie die Sonderfahrpuren nicht mitbenutzen dürfen, bereits vor einigen Wochen mit Demonstrationen Luft. Und als am Montag dieser Woche die ersten "olympic lanes" in Betrieb genommen wurden, sorgte das für stundenlange Staus und viel Frustration bei den Autofahrern – ein Vorgeschmack auf die kommenden Wochen.

Londoner müssen Raketen in der Nachbarschaft dulden

Das zweite große Thema der Stadt ist in diesen Tagen die Sicherheit von Bewohnern und Besuchern. "Ich bin in London aufgewachsen, da ist man daran gewöhnt, das Ziel von Terroristen zu sein", sagt zwar James S., der als Aufseher in einem Londoner Museum arbeitet. Frühere Anschläge der IRA sowie die Bombenattentate in der Londoner U-Bahn kurz nach Bekanntgabe der Stadt als Austragungsort der Olympischen Spiele 2012 mögen viele Einwohner der Stadt unempfindlich für terroristische Bedrohungen gemacht haben.

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Doch bei Politikern und Veranstaltern herrscht weniger Gelassenheit. Die Nerven liegen blank, seit die mit der Sicherheit beauftragte Firma G4S gerade mal 16 Tage vor der Eröffnungsfeier zugab, dass sie die – zusätzlich zu den eingesetzten 20.000 Polizisten und Militärkräften – benötigten 10.400 Ordner nicht zusammenbekomme. In letzter Minute müssen deshalb nun 3.500 Soldaten einspringen; manche von ihnen sind gerade erst vom Einsatz in Afghanistan zurückgekehrt. Wer die Kosten für das Organisationschaos übernehmen wird, G4S oder die Steuerzahler, soll erst nach dem Ende der Spiele entschieden werden.

Sicherheitsbedenken ganz anderer Art haben dagegen Bewohner mehrerer Wohngebiete in und um London. Durch die Installation von Boden-Luft-Raketen auf den Dächern hoher Gebäude oder Türmen in ihrer Nachbarschaft, die der Abwehr von etwaigen terroristischen Angriffen aus der Luft dienen sollen, fühlen sie sich nicht beschützt, sondern bedroht. Die Anwesenheit der missiles könnte sie selbst in den Fokus von Terroristen rücken lassen, argumentierten die Anwohner vor dem Londoner High Court. Doch das Gericht sah keinen Grund, das Vorhaben des Verteidigungsministeriums zu revidieren, und befand, dass die Menschen die Raketen in ihrer Nachbarschaft für die Dauer der Spiele dulden müssten.

Mehr oder weniger bereit?

Sorgen dürfte sich auch Olympia-Sponsor British Telecom machen. Seit vor ein paar Wochen der Konkurrent O2, größter Mobilfunkanbieter in Großbritannien, einen zweitägigen Blackout hatte, fragen Experten und Medien, wie stabil das Netzwerk ist.

Eine Antwort steht noch aus. Die riesigen Datenmengen, erzeugt von hunderttausenden Besuchern, die Photos, Videos und Textnachrichten per Smart- und I-Phone in alle Welt versenden, wird das Mobilfunknetz jedenfalls auf eine ernsthafte Belastungsprobe stellen.

Wenigstens das Wetter scheint es gut zu meinen mit den Olympioniken, Zuschauern und Einwohnern – nach einer wochenlangen Schlechtwetterperiode lacht nun endlich die Sonne über der City. London ist bereit – mehr oder weniger.