Kirche in Frankreich: "Weder Kreuz, Kippa noch Kopftuch"

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Kirche in Frankreich: "Weder Kreuz, Kippa noch Kopftuch"
In unserer Serie "Staat und Kirche" widmen wir uns der Frage, wie Kirche bei unseren europäischen Nachbarn verfasst ist – von der Staatskirche im Norden bis zum Laizismus im Süden. Die epd-Korrespondentin Martina Zimmermann beschreibt das Verhältnis von Staat und Kirche in Frankreich.

Die Kirche Saint-Ambroise im elften Pariser Arrondissement ist am Sonntagmorgen voll. Nathalie Blanchet ist mit ihren drei Töchtern zur Messe gekommen. Die Teenager knien nieder, bekreuzigen sich und sitzen dann brav auf ihren Stühlen. Ihre Mutter hingegen ist auch während des Gottesdienstes in Bewegung. Denn sie kümmert sich um die frisch Getauften, denen der Gottesdienst gewidmet ist: "Damit es nicht nur bei der Taufe bleibt, beziehen wir sie gleich in das Gemeindeleben ein." Die 42-jährige Verkäuferin Nathalie ist praktizierende Katholikin und in ihrer Gemeinde sehr aktiv.

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Sie gehört zu den 51 Prozent der Franzosen, die sich in Umfragen als katholisch bezeichnen. "Für Religion ist Nathalie zuständig", meint ihr Mann Patrice, der sich eher den 31 Prozent der Franzosen zurechnet, die angeben, keiner Religion anzugehören. Die drei Töchter der Familie besuchten allerdings den Katechumenen-Unterricht in der Kirche Saint-Ambroise, denn in französischen Schulen gibt es keinen Religionsunterricht. Bereits 1883 schrieb der damalige Erziehungsminister Jules Ferry an die Lehrer: "Der Religionsunterricht gehört in die Familie und die Kirche, die moralischen Werte in die Schule."

Glauben ist in Frankreich Privatsache, Wissen hingegen ist "für alle". Dieses Prinzip findet auch Nathalie richtig. Dass ihre älteste Tochter Camille auf eine private katholische Gesamtschule geht, habe keine religiösen Gründe: "In diesem Collège steht das Kind im Vordergrund und nicht die Religion, denn es gibt da auch israelitische und muslimische Schüler." Seit 1850 gibt es in Frankreich katholische Privatschulen. Der Lehrplan ist derselbe wie in den staatlichen Einrichtungen, er wird vom Erziehungsministerium vorgegeben.

Keine religiösen Zeichen in der Schule

In den staatlichen Schulen müssen sich Lehrer aus religiösen Fragen heraushalten und auch die Schüler müssen ihre Überzeugungen zu Hause lassen: "Zeichen und Kleidung, die sichtbar die religiöse Zugehörigkeit der Schüler zeigen", sind seit 2004 verboten. Dazu gehören Schleier und Kippa ebenso wie große Kreuze. Die Idee dahinter: Wenn jeder seine Religion zu Hause lässt, ist ein besseres Auskommen untereinander möglich. Der Islam ist die zweite Religion in Frankreich, immerhin neun Prozent geben an, Muslime zu sein, was bis zu fünf Millionen Menschen entspricht.

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Der Rektor der Pariser Moschee, Dalil Boubakeur, bedauert, dass die Muslime auf Spenden angewiesen sind: "Viele muslimische Gemeinden werden aus dem Ausland unterstützt, bekommen Geld für ihre Moscheen, ihre Betsäle, ihre Imame." Damit der Islam nicht außer Kontrolle gerät, gründete Ex-Präsident Nicolas Sarkozy 2002, als er noch Innenminister und damit auch für den Kult zuständig war, den Rat der französischen Muslime. Die Muslime haben seither genauso wie Juden, Katholiken und Protestanten ihre Sprecher.

Aufgrund der strikten Trennung von Kirche und Staat gibt es keine offiziellen Daten über die Religionszugehörigkeit. Die Zahl der französischen Juden wird auf eine halbe Million Menschen geschätzt, die Föderation der Protestanten Frankreichs zählt mindestens 800.000 evangelische Gläubige, 1400 Kirchen und 1650 Pfarrer, davon 200 Pfarrerinnen. Die Protestanten gelten als progressiver als die Katholiken und überwiegend dem politisch linken Lager zugehörig.

Mitgliedsbeiträge statt Kirchensteuer

Finanzieren müssen sich alle Kirchen wie ein Sportverein in Deutschland: mit Mitgliedsbeiträgen. Kirchensteuer gibt es nicht. Im Gesetz von 1905 steht: "Artikel 1: Die Republik garantiert die Gewissensfreiheit und das Recht auf freie Ausübung der Religionen. Artikel 2: Die Republik (...) bezahlt und subventioniert keinen Kult." Die protestantischen Kirchen arbeiten im Evangelischen Bund von Frankreich zusammen.

Die Mitgliederstärkste ist die reformierte Kirche, aber es gibt sogar eine deutsche Gemeinde in Paris. Auch diese lebt weitgehend von Mitgliedsbeiträgen, selbst das Gehalt des Pfarrerehepaares wird über Beiträge oder Spenden finanziert. Auch aus diesem Grund ist in der Evangelischen Deutschen Kirche in der Rue Blanche fast immer etwas los: Wenn kein Gottesdienst stattfindet, wird die Kirche für Plattenaufnahmen oder Konzerte genutzt. "Vermietet" darf man das offiziell nicht nennen, denn das erlaubt das Vereinsstatut nicht. Für die Nutzung wird eine "Kostenbeteiligung" erhoben. Die Gaben der Gemeindemitglieder sind freiwillig. Die Katholikin Nathalie Blanchet spendet für ihre Familie an die Gemeinde Saint-Ambroise etwa das, was ein viertes Kind kosten würde: "Ich gebe gern, aber die Geste ist symbolisch."

Als "älteste Tochter der Kirche" hat Frankreich katholische Bauwerke, die als Kulturerbe wertvoll sind und deshalb staatliche Gelder erhalten - vom "Palast der Päpste" in Avignon über Klöster in Südwestfrankreich, die Paradebeispiele mittelalterlicher Architektur sind, bis hin zur Pariser Kathedrale Notre-Dame, die als kulturelles Erbe und Touristenattraktion vom Staat erhalten wird.

Die Geschichte des Landes ist auch Kirchengeschichte

Die französische Geschichte ist mit der Katholischen Kirche eng verknüpft. Katholische Führer waren einflussreich, unterstützten Könige, Konservative und Reaktionäre. 1795 erreichten die Revolutionäre zum ersten Mal die Trennung von Kirche und Staat. Mit der Restauration 1814 wurde der katholische Glaube dann aber zur Staatsreligion. 1871 dekretierte die Pariser Kommune erneut die Trennung und die Verstaatlichung der Güter der Geistlichen. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts feilte eine Kommission dann lange an dem bis heute geltenden Gesetz zur Trennung von Staat und Kirche, das 1905 mehrheitsfähig war und verabschiedet wurde.

Die strikte Trennung von Kirche und Staat ist für die Historikerin Jacqueline Lalouette ein "französischer Mythos"; die Pariser Tageszeitung Libération nannte die Laizität einmal gar eine "heilige Kuh". Nur noch 58 Prozent der Franzosen glauben an einen Gott, 27 Prozent bezeichnen sich als "religiös" und zehn Prozent als "sehr religiös" - die niedrigsten Werte in ganz Europa.

Die protestantischen Kirchen befinden sich dennoch im Aufwind. Auch Afrikaner, Maghrebiner und Asiaten sorgen für Zulauf. Allein im Pariser Vorort-Departement Seine-Saint-Denis gibt es 106 evangelische Gemeinden. 200.000 bis 300.000 Gläubige wirken außerhalb der Organisation der französischen Protestanten. Am 8. April brach im Pariser Vorort Stains während eines Gottesdienstes ein Dach ein und forderte zwei Menschenleben. Der tragische Unfall zeigte, unter welch schlechten Bedingungen evangelische Gläubige vor allem in der Pariser Region ihren Kult ausüben: 400 evangelische Gottesdienste finden in Lagern, Privathäusern oder Empfangssälen statt.