Wie Pfarrer Wohlrab zur Comicfigur wurde

Pfarrer Michael Wohlrab im Comic
epd-bild/Guy Delisle
In seinem Comic "Aufzeichnungen aus Jerusalem" erzählt Guy Delisle Alltagsgeschichten aus dem Heiligen Land. Eine der Figuren: Michael Wohlrab, evangelischer Pfarrer an der Himmelfahrtkirche in Jerusalem.
Wie Pfarrer Wohlrab zur Comicfigur wurde
Kennengelernt haben sie sich am Strand von Tel Aviv. An dem für Menschen aus dem religiös hoch aufgeladenen Jerusalem überaus beliebten Ausflugsziel trafen sich Guy Delisle und Michael Wohlrab. Guy, ein Comiczeichner, und Michael, evangelischer Pfarrer an der Himmelfahrtkirche in Jerusalem.
02.06.2012
epd
Rainer Clos

Die zufällige Strandbekanntschaft bleibt nicht folgenlos: Der Comiczeichner quartiert sich in einem Nebenraum der Himmelfahrtkirche auf dem Jerusalemer Ölberg ein. Dort leitet Pfarrer Wohlrab mit seiner Frau Ulrike, ebenfalls Pfarrerin, das Evangelische Pilger- und Begegnungszentrum der Kaiserin-Auguste-Victoria-Stiftung.

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Und der Theologe Wohlrab vermittelt dem Francokanadier Delisle, der mit Kirche nichts am Hut hat, die für das Verständnis des Heiligen Landes unerlässliche Religionskunde. Dass er eines Tages zur Comicfigur werden sollte, konnte er damals allerdings nicht ahnen. Immer wieder tauchen Michael, selbst ein Comicfan, und die Himmelfahrtkirche in der 336 Seiten starken Chronik aus Jerusalem auf. Über die Samaritaner, die Feste und Bräuche der verschiedenen Religionsgemeinschaften und die Spannungen zwischen christlichen Gemeinschaften in der Grabeskirche klärt Delisle auf.

Französisches Comic-Festival zeichnet Delisles Werk mit Hauptpreis aus

In seinem "Atelier" in der Himmelfahrtkirche findet Delisle die Ruhe, die er für sein Schaffen braucht und zu Hause nicht hat. "Ich werde nie wieder im Leben einen so schönen Ort zum Arbeiten haben", bekennt der Zeichner. Lediglich Orgelklänge aus der Kirche dringen zu ihm. "Die Lutheraner sind berühmt für das Niveau ihrer Kirchenmusik. Johann Sebastian Bach war einer von ihnen", notiert der Künstler.

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Die Graphic Novel von Delisle wurde in diesem Frühjahr beim renommierten Comic-Festival im französischen Angouilême mit dem Hauptpreis ausgezeichnet. Darin beschreibt der Autor das Jahr, das er als sogenannter Expat im Ost-Jerusalemer Stadtteil Beit Hanina verbrachte - als mitreisender Ehemann, Hausmann, Vater von zwei Kindern und Zeichner. Seine Frau ist zwölf Monate für die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" in den palästinensischen Gebieten des Westjordanlandes und im Gazastreifen unterwegs. Zuvor hatte Delisle schon in viel beachteten Comics aus Birma, China und Nordkorea, ebenfalls nicht gerade konfliktfreie Länder, berichtet.

"Ich hatte mir Jerusalem moderner vorgestellt"

"Ich hatte mir Jerusalem moderner vorgestellt", bekennt der Reporter ganz am Anfang seines Buches. Ein neues Zuhause, Hitze, kokelnde Müllcontainer, Sesambrot und Humus, der schlafstörende Gebetsruf der nahen Moschee im Morgengrauen nach der Landung, ein schwer durchschaubares Nahverkehrssystem in einer religiös segmentierten Stadt, die palästinensische Haushaltshilfe, Burkas und die Tracht der gottesfürchtigen Juden in Mea Shearim, das Gedränge von internationalen Organisationen und vielfach demütigende Kontrollen an Checkpoints liefern den Stoff für faszinierend schlichte Geschichten aus dem Alltag in Jerusalem, die Delisle festhält.

Auch von seinen Abstechern nach Bethlehem, Hebron, in ein Flüchtlingslager, nach Eilat und zu einem alten Kloster in der judäischen Wüste berichtet er einfühlsam und ohne politisch aufgeladene Botschaft. Fasziniert zeigt sich der Zeichner von der monströsen Trennmauer, mit der sich Israel vor Anschlägen zu schützen sucht, die jedoch die Bewegungsfreiheit der Palästinenser stark beschneidet. "Man kommt sich vor wie am Eiffelturm oder vor den Pyramiden in Gizeh", heißt es in einer Bildzeile über die Scharen von Pilgern und Touristen in der Altstadt von Jerusalem.

"Im Kleinen funktioniert das friedliche Miteinander sehr gut"

In Nablus, Ramallah und Ostjerusalem bietet der Zeichner für Kunststudenten Workshops an - mit teilweise ernüchternden Erfahrungen. Die meisten Studenten hatten kaum eine Ahnung, was Comics sind, für einige war immerhin der Klassiker "Tim und Struppi" ein Begriff. In Abu Dis lehnt es eine verschleierte angehende Kunsterzieherin ab, Menschen zu zeichnen. Stattdessen bringt sie eine Blume zu Papier.

Israel sei ein anstrengendes Land, resümiert der Autor, nachdem er neugierig das Land durchstreift, seine Absurditäten und Kuriositäten aufgespürt, seine Konflikte studiert hat. Unter dem Eindruck des friedlichen Miteinanders jüdischer und muslimischer Mütter auf dem favorisierten Spielplatz in West-Jerusalem lässt er ein klein wenig Hoffnung aufscheinen: "Im Kleinen funktioniert das sehr gut. Und manchmal auch im Großen."