Flucht in den Norden

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Viele Griechen kommen hoffnungsvoll nach Deutschland. Doch geht es ihnen hier besser?
Flucht in den Norden
Eine Folge der Eurokrise: Es wandern immer mehr Griechen nach Deutschland aus, weil sie in ihrem Land keine Perspektive mehr sehen. Hier hoffen sie auf ein besseres Leben. Doch sind sie erstmal hier, stellt sich die Frage: Wohin? Farah Haidari und Pfarrer Jürgen Mattis bieten Unterstützung in der evangelischen Beratungsstelle in Frankfurt.
18.10.2012
evangelisch.de

In den sechziger und siebziger Jahren kamen bereits viele Griechen nach Deutschland. 1964 haben Sie mit dem Beratungsangebot auf Griechisch begonnen. Was hat sich seit dem geändert?

Farah Haidari: Im Grunde kommen die Griechen aus den gleichen Motiven wie seinerzeit: Vor allem junge Menschen finden keine Arbeit, sie sehen keine Zukunft in ihrem Land.

Jürgen Mattis: Doch ein Punkt ist heute anders: Damals kamen Griechen als angeworbene Gastarbeiter mit gesicherten Arbeitsverträgen, häufig aus ländlichen Regionen ohne qualifizierte Ausbildung. Heute kommen gut ausgebildete Griechen auf gut Glück hier her, als EU-Bürger, die sich hier niederlassen, arbeiten und die gleichen Rechte wahrnehmen wollen.

"Wie sich die Situation entwickelt, hängt davon ab, wie es in Griechenland weitergeht"

Nachdem Sie einige Jahre lang keine Beratung auf Griechisch angeboten haben, bieten Sie nun wieder eine Beratung speziell für Einwanderer aus Griechenland an. Warum?

Haidari: In letzter Zeit kommen verstärkt Griechen zu uns, die kein deutsch sprechen. Viele melden sich bei uns, weil sie wissen, dass wir eine mehrsprachige Beratung anbieten, nur hatten wir keinen Mitarbeiter, der eine Beratung auf Griechisch angeboten hätte. Manche Griechen können Englisch oder bringen jemanden mit, der deutsch spricht. Aber für die, die weder Deutsch noch Englisch können, brauchen wir wieder eine griechischsprachige Beratung. Sie sind darauf angewiesen. Was jetzt auf uns zukommt, wissen wir nicht. Das hängt auch davon ab, wie es in Griechenland weitergeht. Die Mitarbeiterin, die die Beratung von nun an anbietet, hat bereits für uns gearbeitet und ist bei den Griechen hier bekannt – manche fragen gezielt nach ihr.

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Warum macht die evangelische Kirche dieses Angebot speziell für Griechen?

Mattis: In den Sechzigerjahren bekam die katholische Kirche mit den sogenannten Gastarbeitern viele neue Mitglieder aus Spanien, Portugal, Italien und Kroatien, die bei der Caritas nach Hilfe suchten. Die EKD hat mit der Bundesregierung damals vereinbart, die griechischen Arbeitsmigranten zu betreuen. Sie waren orthodox und hatten keine Gemeinden, Vereine und Beratungsstellen. Die evangelische Kirche in Frankfurt gründete daraufhin 1964 eine Beratungsstelle für Griechen. Es war für uns als evangelische Kirche eine ganz konkrete erste ökumenische Öffnung unserer Arbeit. Heute arbeiten wir interkulturell mit Menschen unterschiedlicher Konfessionen und Religionen.

Das Wirtschaftsproblem ist nicht nur in Ländern wie Griechenland, sondern längst bei uns angekommen.

Worauf achten Sie bei Ihrer Beratungsarbeit?

Mattis: Als Kirche haben wir den Anspruch, den Menschen als Ganzes zu beraten. Wir wollen nicht nur Informationen weitergeben. Die Menschen kommen aus einer wirtschaftlichen Not, sie suchen nicht nur Arbeit und eine Wohnung, sie haben auch beispielsweise Probleme familiärer Trennungen zu bewältigen.

Haidari: Rechtlich ist die Situation gar nicht so einfach. Viele denken, als EU-Bürger können sie sich in ganz Europa niederlassen. Aber die Gesetzgebung in Deutschland ist komplizierter. Als Berater müssen wir den Einwanderern deutlich machen, welche Zukunft sie in Deutschland haben. Und wenn es keinen anderen Weg gibt, müssen wir ihnen auch raten, besser wieder nach Griechenland zurück zu gehen - da haben sie wenigstens ein Dach über dem Kopf. Doch zunächst versuchen wir natürlich, ihnen Wege zu zeigen, wie sie hier bleiben können.

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Wie sieht die Situation der Griechen vor Ort aus?

Mattis: Hier in Frankfurt ist es so, dass viele griechischstämmige Familien seit Monaten Besuch aus Griechenland haben. Auf Dauer ist das kein Zustand, wenn zum Beispiel im Kinderzimmer eine andere Familie lebt. Viele sind mit der Verantwortung überfordert. Durch die Familien, die in die Beratungsstellen kommen, bekommen wir das mit. Wir müssen die Gesellschaft darauf aufmerksam machen, dass es nicht nur ein Wirtschaftsproblem in Ländern wie Griechenland gibt, die Nöte sind längst hier angekommen.  

Mit welchen Problemen kommen die Menschen zu Ihnen?

Haidari: Es sind die existenziellen Fragen: Wo kann ich wohnen? Wo finde ich Arbeit? Vor kurzem kam eine junge Griechin in die Beratung, die in Frankfurt geboren und aufgewachsen, aber später nach Griechenland gegangen ist. Dort hatte sie eine gute Arbeit. Doch sie hat in Griechenland keine Zukunft für sich und ihre Familie gesehen und stand bei uns vor der Tür. Inzwischen hat sie einen Minijob gefunden, sie möchte hier bleiben. Sie ist noch besser dran, als andere Griechen hier: Sie spricht Deutsch und kennt sich ein wenig aus. Sie hat von ihrem Freundeskreis erzählt, von vielen jungen Griechen, die hier sind und sich durchschlagen. Das sind vor allem junge Familien, ausgebildete Fachkräfte, die in Griechenland gute Jobs hatten und dann arbeitslos wurden.