"Mut bedeutet, was zu machen, was nach hinten losgehen kann"

Ein Gottesdienst, auch "Celebration" genannt, in der ICF Zürich.
Foto: ICF Zürich
In der Samsung Hall in Zürich treffen sich jedes Wochenende mehr als 2.200 Gläubige zu den "Celebrations" der ICF Zürich.
"Mut bedeutet, was zu machen, was nach hinten losgehen kann"
Interview mit Nicolas Legler, dem Mediensprecher der ICF Zürich
Ungefähr 3.200 Besucher gehen jedes Wochenende zu den als "Celebrations" bezeichneten Gottesdiensten der International Christian Fellowship (ICF) Zürich. Die ICF ist eine überkonfessionelle Freikirche, die den christlichen Glauben nach eigenem Verständnis "am Puls der Zeit, kreativ und innovativ" lebt – dazu gehört auch, dass sie seit Anfang 2018 Spenden in sechs verschiedenen Kryptowährungen akzeptiert.

Das Medienecho auf diese Entscheidung war enorm, wie Nicolas Legler, Mediensprecher der ICF Zürich, bestätigt. Im evangelisch.de-Interview spricht er über die Hintergründe der Entscheidung, den Umgang mit den Kryptospenden, die Rolle des Geldes in der Bibel und welche Chancen Kirchen durch die motivierte Mitarbeit Ehrenamtlicher haben.

Herr Legler, seit drei Monaten akzeptiert die ICF Zürich mittlerweile Spenden in den sechs Kryptowährungen Bitcoin, Bitcoin Cash, Bitcoin Diamond, Ethereum, Stellar Lumen und Ripple. Wie ist die Kirche darauf gekommen?

Nicolas Legler: Das ist eine längere Geschichte. Einer unserer Werte ist, eine Kirche am Puls der Zeit zu sein. Und das gilt auch für unsere Mitglieder: wir haben in unserer Kirche einige Leute, die schon seit einiger Zeit privat in diesem Bereich der Kryptowährungen unterwegs sind. Als das Thema dann gegen Ende vergangenen Jahres fast täglich in den Medien aufgetaucht und ein richtiger Hype darum entstanden ist, da hatten wir dann die Idee zu sagen: "Lasst uns doch als Kirche - vor allem vor dem Hintergrund, dass wir am Puls der Zeit sein wollen - dieses Thema, das in aller Mund ist, aufnehmen und Spenden aus Kryptowährungen möglich machen." Es war nicht per se unsere Motivation, mehr Spenden zu generieren. Wir wollten einfach nur diesen Wert, am Puls der Zeit zu sein, wiederspiegeln und als Kirche in diese Diskussion einsteigen.

Wie viele Menschen kümmern sich bei Ihnen um diesen Bereich?

Legler: Das läuft bei uns tatsächlich eher so nebenbei. Wir haben im IT-Bereich zwei Vollzeitmitarbeiter, die für unsere Webseiten zuständig sind und den ganzen IT-Bereich betreuen. Und diese zwei leiten ein Team von IT-Spezialisten, die einfach Besucher unserer Kirche sind und die einfach ihre Kompetenzen aus diesem Bereich einbringen wollen. Die kennen sich privat mit Kryptowährungen aus, sind mit dem Markt sehr vertraut und bilden sich da regelmäßig weiter, in dem sie Blogs lesen, YouTube-Videos schauen und so weiter.  Und diese Gruppe begeisterter Ehrenamtlicher trifft sich einmal die Woche abends in sogenannten "Hack-Nights".  Und da entwickeln sie dann Projekte für unsere Kirche.

"Unsere Kirche ist auch ein Mindset"

Welche Art Mitarbeiter braucht es, um so etwas auf die Beine zu stellen?

Legler: Ich denke, man braucht vor allem Leute, die einfach mit den neuen Technologien vertraut sind. Wir haben in diesem Fall bei uns vor allem Leute aus dem IT-Bereich, die sich einfach für alles interessieren, was irgendwo an Technologie läuft. Und davon sind die Blockchain Entwicklungen und Kryptowährungen ein Teil. Außerdem braucht es auch ein gewisses Wissen darüber, wie man auf einer Website überhaupt die Möglichkeit für eine Kryptospende schaffen kann. Grundsätzlich denke ich aber, dass es vor allem um Leute geht - und die suchen wir auch aktiv in unserer Kirche - die grundsätzlich innovativ und offen für Neues sind. Denn solche Menschen schauen auch immer wieder aus eigener Initiative heraus, was es für neue Trends, Techniken und Entwicklungen gibt, die wir umsetzen könnten. Unsere Kirche ist auch ein Mindset, das ist eigentlich eine Einstellung, die die Leute mitbringen sollten. Wir haben in unserer Kirche so viele Leute, die den ganzen Tag in allen möglichen Bereichen arbeiten und wenn wir es schaffen, diese Leute in Teams, einzubinden die in unserer Kirche Projekte umsetzen, dann haben wir da als Kirche wirklich viele Möglichkeiten.

Welche Bilanz ziehen Sie denn nach den ersten Monaten, in denen die ICF Zürich Spenden in Kryptowährungen akzeptiert hat? Wurde diese Möglichkeit überhaupt schon genutzt?

Legler: Ja, wir haben tatsächlich schon Spenden aus Kryptowährungen bekommen. Wir haben in diesem Zusammenhang auch ein paar interessante Geschichten erlebt. Unsere Entscheidung hat ja ein riesiges, weltweites Medienecho ausgelöst - die ganze Welt hat darüber geschrieben, bis hin zur Newsweek USA. Und insbesondere der Artikel in der amerikanischen Newsweek hat dazu geführt, dass Kryptospezialisten aus China, die gerade am World Economic Forum in Davos waren, unsere Kirche besucht und dann auch Geld in Kryptowährungen gespendet haben. Es sind dadurch wirklich ganz viele verrückte Geschichten entstanden. Aber im Prinzip sind da jetzt keine fürchterlich großen Summen überwiesen worden.

Als "laut, fröhlich und leidenschaftlich" bewirbt die ICF Zürich ihre Celebrations.

Auch wenn es keine Großspenden in Kryptowährungen gab, stellt sich trotzdem die Frage: Was machen Sie dann mit den erhaltenen Spenden?

Legler: Wir haben ein Team, das dafür verantwortlich ist, diese Kryptowährungen dann in Fiat-Geld (Hierbei handelt es sich um Geld, welches durch die Zentralbank eines Landes ausgegeben und als legales, offiziell anerkanntes Tauschmittel gehandelt wird, Anm. d. Red.) umzuwandeln. Es geht uns nicht darum, mit den Spenden in Kryptowährungen zu spekulieren. Das ist uns ganz wichtig und das haben wir auch so kommuniziert. Nicht, dass die Leute das Gefühl haben, wir nehmen jetzt Spendengelder und spekulieren damit. Es ist wirklich nur eine zusätzliche Möglichkeit für die Leute, in Kryptowährung zu spenden. Und diese Kryptowährungen werden dann in normale Währungen umgewandelt, wenn wir das Gefühl haben, dass der Kurs gerade sinnvoll ist. Das machen wir bei Euro- oder Dollar-Spenden genauso - die wandeln wir dann auch um in Schweizer Franken. Denn grundsätzlich können wir ja mit diesen Kryptowährungen nichts anfangen, wenn wir es nicht in normale Währung umwandeln.

Welche Rolle kann die Kirche im Dialog über Kryptowährungen spielen?

Legler: Ich möchte das nicht überbewerten. Grundsätzlich habe ich beobachtet, dass man bei Kryptowährungen sehr unterschiedlicher Meinung sein kann: Da gibt es die Leute, die davon überzeugt sind, dass Kryptowährungen die Zukunft sind. Andere sind der Meinung, dass es eine Blase ist und auch sonst negative Auswirkungen hat. In unserer Kirche sind von absolut überzeugten Fans bis zu total Ablehnenden alle Fraktionen vertreten. Das ist aber eigentlich bei allen Themen so. Wir als Kirche halten uns aus dieser Diskussion raus, weil es sehr schwierig zu sagen ist, ob Krypto effektiv eine Zukunft hat, inwiefern sich diese Währungen durchsetzen oder sich ändern werden. Wir glauben aber, dass die ganze Blockchain-Technologie, die dahinter steckt, ganz sicher Zukunft hat.

Wie gestalten Sie den ethischen Diskurs über das Thema?

Legler: Es gibt verschiedene Aspekte, die man bedenken sollte. Auf der einen Seite gibt es positive ethische Aspekte. Dazu gehört, dass Kryptowährungen ganzen Bevölkerungen und Ländern den Zugang zu Finanzmärkten erlauben, die davon im Moment völlig ausgeschlossen sind. Auch die gesamte Dezentralisierung der Macht der Banken kann möglicherweise positive Auswirkungen haben. Und dann hat man auf der anderen Seite aber natürlich auch Bedenken, wenn es zum Beispiel um die Ressourcenverschwendung beim Schürfen dieser Währungen geht. Oder um den ganzen Bereich der Kriminalität, der über Kryptowährungen getätigt werden kann. Auf der anderen Seite muss man da sagen, dass heutzutage 99 Prozent der Kriminalität mit Bargeld verübt wird - das ist dann vielleicht manchmal eine etwas übertriebene Diskussion.

Als Freikirche finanziert sich die ICF Zürich komplett über Spenden. Ändert das etwas am Umgang mit Geld?

Legler: Es ist natürlich ein ganz anderes System als das der Landeskirchen, die über Kirchensteuern und öffentliche Gelder finanziert werden. Das ist auch der Grund, warum wir in unserer Kirche mehr über Geld sprechen müssen. Das wird uns dann auch häufig als negativ angekreidet - wir Freikirchen sind die Kirchen, die immer über Geld reden. Was natürlich so pauschal nicht stimmt. Es geht uns ja nicht darum, dass wir möglichst viel über Geld sprechen, um möglichst viel reinzuholen, sondern es geht ums Überleben unserer Kirche. Also müssen wir den Besuchern erklären, dass alles, was sie sehen, nur möglich ist, weil Menschen großzügig spenden. Deswegen lehren wir auch das Prinzip des Zehnten und haben regelmäßige Teachings über biblische Finanzprinzipien, damit die Leute verstehen, wie wir da unterwegs sind.

Was kann man sich unter biblischen Finanzteachings denn vorstellen?

Legler: Das ist unterschiedlich. Wir haben zum Teil Predigten, in denen wir über biblische Finanzprinzipien reden - das Prinzip vom Säen und Ernten und das Prinzip des Zehnten. Jesus hat in der Bibel ja mehr über Geld gesprochen als über Gebet und Fasten und all diese anderen Dinge zusammen genommen. Es scheint also eine sehr wichtige Sache zu sein. Der Umgang mit Geld ist ja auch ein sicherer Hinweis für das Herz des Menschen. Das ist ja das, was Jesus an vielen Orten sagt. Und darum reden wir über diese Dinge. Wir glauben nämlich, dass es Gott eben nicht egal ist, wie wir mit unserem Besitz umgehen und dass er möchte, dass wir treue Verwalter von dem sind, was er uns anvertraut hat. Aber es ist schon eine Herausforderung, darüber zu reden und dabei den richtigen Ton zu treffen. Man sagt ja nicht umsonst in der Schweiz: Über Geld spricht man nicht, man hat es. Hier ist Geld wirklich ein Tabuthema.

Was macht es mit Ihnen, dass Sie auf die Spendenbereitschaft ihrer Mitglieder angewiesen sind?

Legler: Wir sind als Kirche und als Kirchenleitung in der Pflicht, den Menschen einen Grund zu geben, warum sie ihren Zehnten an uns bezahlen, warum sie auch Projekte unterstützen sollten. Wenn wir mit diesem Geld dann nicht sinnvoll umgehen und keine sinnvollen Dinge umsetzen, wird es schwierig, die Leute langfristig zu begeistern, zu geben.

Was ist Ihr Wunsch für die Zukunft der Kirchen im Allgemeinen?

Legler: Mein Wunsch wäre, dass die Kirche wieder Trends setzt und den Mut hat, gewisse Dinge zu machen, die noch nicht zu hundert Prozent durchdacht sind. Natürlich hatte ich auch persönlich viele Kritiker, die gesagt haben: "Ja, das macht man doch nicht. Und ihr habt doch keine Ahnung, wie sich Kryptowährungen entwickeln." Aber wie gesagt: Mut bedeutet, auch mal was zu machen, was auch nach hinten losgehen kann. Aber das ist mir lieber als nichts zu tun.