TV-Tipp: "Tatort: Borowski und das Land zwischen den Meeren" (ARD)

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TV-Tipp: "Tatort: Borowski und das Land zwischen den Meeren" (ARD)
25.2., ARD, 20.15 Uhr
16 Fälle lang hat Klaus Borowski mehr oder weniger allein ermittelt, ehe er 2011 eine Partnerin bekam. Er musste sich ein bisschen öffnen, aber im Grunde hat sich damals nicht viel geändert, zumal er die Kollegin allzu oft als Blitzableiter missbraucht hat. Nun ist er wieder unbeweibt …

In seinem ersten Solofall nach sieben Jahren ermittelt er tatsächlich auf einer Insel: Auf Suunholt ist ein Mann in der Badewanne seiner Freundin ertrunken. Der Tote entpuppt sich als der frühere Kieler Bauamtmitarbeiter Oliver Teuber, der nach einem Korruptionsfall spurlos verschwunden ist und auf dem Eiland ein neues Leben begonnen hat. Selbstverständlich ist er keines natürlichen Todes gestorben, und der Korruptionsskandal spielt ebenfalls eine Rolle, zumal zwei zwielichtige Abgesandte aus dem Kieler Rotlichtmilieu auf der Insel auftauchen; aber der Todesfall könnte auch einen ganz anderen Hintergrund haben.

Wenn ein Kommissar aus der Stadt in der Provinz ermittelt, ist das Erzählmuster meist ähnlich: Die Einheimischen bilden eine verschworene Gemeinschaft, der Polizist trifft auf eine Mauer des Schweigens. In diesem Fall sorgt schon allein die Bildgestaltung dafür, dass sich Borowski fremd fühlt: Regisseur Sven Bohse und Kameramann Michael Schreitel haben dafür gesorgt, dass die Bilder betont unwirtlich sind. "Borowski und das Land zwischen den Meeren" ist letztes Jahr im März und im April entstanden, aber von Frühling kann keine Rede sein; die Nebelbilder sorgen für eine melancholische Trostlosigkeit, die fast mit Händen zu greifen ist. Kein Wunder, dass sich der Kommissar hinreißen lässt: Famke (Christiane Paul), die Freundin des Toten, ist der einzige Mensch auf Suunholt, der ihm nicht mit Ablehnung begegnet. Als sie überfallen wird und bei ihm Zuflucht sucht, verbringen sie die Nacht in seinem Hotelbett. Neben all’ den anderen Qualitäten dieses Films, zu denen wie stets die Leistung Axel Milbergs gehört, ist diese Drehbuchidee (Peter Bender, Ben Braeunlich und Bohse) womöglich der Grund dafür, warum der Film noch ein bisschen mehr als "nur" ein überdurchschnittlich guter "Tatort" ist, denn spannend im herkömmlichen Sonntagskrimisinn ist er eher nicht; selbst wenn es noch drei weitere zum Teil recht unappetitliche Mordfälle gibt (ein Schweinezüchter wird seinen eigenen Tieren zum Fraß vorgeworfen). Die Tatsache, dass auch Borowski – wie offenbar die meisten männlichen Insulaner – der rätselhaften Famke verfällt, beschert der Geschichte eine spezielle emotionale Spannung, zumal der Auftakt dafür sorgt, dass ihre Unschuld außer Frage steht: Der Film beginnt mit Famkes Rückkehr vom morgendlichen Schwimmen im kalten Meer und der Entdeckung Teubers in der Wanne.

Sven Bohse hatte sein Talent schon mit einigen sehenswerten Filmen bewiesen, allen voran die Degeto-Produktionen "Weihnachten für Einsteiger" und "Mein Schwiegervater, der Stinkstiefel" (2014/2015), eher er mit "Ku’damm 56" (2016) sein Meisterstück abgeliefert hat. Mit "Ostfriesenkiller" (2017), ebenfalls mit Christiane 

Paul und Auftakt zu einer weiteren norddeutschen Krimireihe des ZDF, hat er sich erstmals dem Krimigenre zugewandt, das er nun ebenfalls adelt. Schon allein die Atmosphäre, an der auch die stets Unheil verheißende Musik (Jessica de Rooij) großen Anteil hat, macht "Borowski und das Land zwischen den Meeren" zu einem besonderen Film. Während andere Kameraleute Drohnen meist nur nutzen, um möglichst viel Landschaft einzufangen, sorgen Schreitels vertikale Bilder für eine Vereinsamung der Figuren. Die Aufnahmen von Borowskis knallrotem Auto in der grauen Gegend (gedreht wurde unter anderem auf Amrum und Fehmarn) betonen wiederum seinen Status als Eindringling. Einige Einstellungen, darunter eine Meeraufnahme mit Fähranleger als Bildteiler, sind regelrecht komponiert. Faszinierend ist auch eine Traumsequenz Borowskis, in der er in seinen Handflächen die Stigmata eines Gekreuzigten entdeckt und überm Meer einen Tornado auf sich zukommen sieht. Die Wunden bleiben ein Mysterium, die Wasserhose wird Wirklichkeit.

Ganz entscheidend ist auch Bohses Arbeit mit den Schauspielern. Selbst nach dreißig "Borowski"-Filmen gelingt es Axel Milberg, der Figur neue Seiten abzugewinnen, ohne ihr dabei untreu zu werden. Genauso wichtig sind die Rollen der Insulaner, zumal viele der Einheimischen knapp am Klischee vorbei kalkuliert sind; so etwas kann auch leicht kontraproduktiv werden. Bestes Beispiel dafür ist Anna Schimrigk als übereifrige junge Polizistin, eine Rolle, die in einer anderen norddeutschen Krimireihe vermutlich zum Pausenclown geworden wäre, hier aber eine zarte kleine Komik entwickelt. Selbst eine gruselige Gestalt wie die aufdringliche und stets vom stummen Sohn (Leonard Carow) begleitete Frömmlerin (Heike Hanold-Lynch), die Borowski eindringlich vor Famke warnt ("ein zutiefst verdorbenes Weib"), wirkt nicht lächerlich, zumal sie die Geschichte in einen historischen Zusammenhang bettet. Friesenkrimis beziehen sich ja gern auf uralte Bräuche. Dafür sorgt diesmal die Rungholt-Legende: Der Sage zufolge sind die Einwohner der reichen Insel vor Jahrhunderten von Gott mit einer Sturmflut für ihr lästerliches Verhalten bestraft worden. Theodor Storm erzählt die Geschichte in seiner Novelle "Eine Halligfahrt", die Borowski abends im Hotelbett liest und aus der Christiane Paul aus dem Off mehrfach vorliest. Storm schreibt darin von den "Gespenstern des Glücks"; auch das trifft die Stimmung des Films ausgezeichnet. Mit der Krimiebene hat diese Legende nur insofern zu tun, als die alte Frömmlerin mit einer erneuten Strafe Gottes rechnet, und die Handlung würde auch ohne den Bezug funktionieren; aber er bereichert sie um eine weitere Ebene und sorgt so dafür, dass dem Kommissar das Eiland und die Ereignisse noch ominöser erscheinen. Bohse greift diese Unsicherheit auf, indem er bei vielen Szenen offen lässt, ob es sich um Wunschtraum oder Realität handelt. Das gilt auch für die gemeinsame Nacht, die blutig endet: Famke steht auf und geht ins Bad. Es ertönt ein leises Klirren, dann spritzt Blut an die Türscheibe; eine der wenigen plakativen Szenen. Vermutlich wäre es nicht fair, die anderen Friesenkrimis an einem Film wie "Borowski und das Land zwischen den Meeren" zu messen, zumal Reihen wie "Nord Nord Mord" oder "Friesland" (beide ZDF) ausdrücklich auch amüsieren sollen; aber die Krimis aus Kiel sind, um es mit dem Titel einer NDR-Regionalreihe zu sagen, "Das Beste am Norden".