Aus dem Abgrund zurück ins Leben

Foto: epd/Odile Jolys
Aus dem Abgrund zurück ins Leben
Von der Familie verstoßen, vom Staat eingesperrt: Ein Schwangerschaftsabbruch bedeutet für eine Frau im Senegal oft das soziale Aus, wenn er entdeckt wird. Eine Organisation will ihnen zur Rückkehr in die Familie und die Gesellschaft verhelfen.

Aïcha, so will sie genannt werden, hat sich leicht geschminkt, trägt eine Perücke mit glatten Haaren und Goldschmuck über einem Blumenkleid, als sie ihre Geschichte erzählt. Dreieinhalb Jahre hat die heute 42-jährige Senegalesin wegen Kindstötung in Haft gesessen. Abtreibung ist der zweithäufigste Grund, warum Frauen im Senegal ins Gefängnis kommen.

Ein Schwangerschaftsabbruch ist in dem westafrikanischen Land verboten - außer bei unmittelbarer Lebensgefahr, die von drei Ärzten bescheinigt sein muss. Seit vier Jahren führen Frauenorganisationen eine Kampagne, um Abtreibung im Fall von Vergewaltigung, Inzest oder Gefahr für die Gesundheit der Mutter zu legalisieren. Bis jetzt ist keine Gesetzesänderung in Sicht. Das muslimisch geprägte Land ist konservativ. In Westafrika hat nur Ghana ein liberaleres Abtreibungsgesetz. Dort ist ein Abbruch der Schwangerschaft bei medizinischer, ethischer und sozialer Indikation erlaubt.

Aïcha hat nie eine Schule besucht

Ob Aïcha ein neues Gesetz geholfen hätte? Mit 25 Jahren wurde sie schwanger. Die Hochzeit stand bevor. Doch ihr ältester Bruder verbot plötzlich die Ehe nach Streitigkeiten mit dem Bräutigam. Das Kind wurde geboren und Aïcha als ledige Mutter sogar in ihrer eigenen Familie stark ausgegrenzt. Als sie von einem anderen Mann wieder schwanger wurde, beschloss sie, abzutreiben. Der Mann hatte sie verlassen.

Das amerikanische Guttmacher-Institut schätzte 2012, dass es über 50.000 illegale Abtreibungen im Senegal gab. Die Zahl dürfte sich kaum verändert haben. Wie viele Frauen ihr Leben dabei verlieren, bleibt unklar. Aïcha hatte sich Hilfe bei einer Hebamme gesucht. Wochenlang musste sie ein Mittel einnehmen, als Blutungen einsetzten, war sie schon im vierten Monat. Auf dem Weg zur Hebamme verlor sie das Bewusstsein. Als sie ins Krankenhaus kam, zeigte ein Arzt sie an.

Aïcha hat nie eine Schule besucht. Mit zwölf wurde sie Dienstmädchen. Niemand sprach mit ihr über Sexualität und Verhütung. Ein typischer Fall, findet die Sozialarbeiterin Aïssatou Kébé: "Es trifft oft Mädchen und Frauen aus armen Verhältnissen." Sie wüssten sich nicht zu helfen. "Wenn sie außerhalb der Ehe schwanger werden, geraten sie in Panik", sagt die Leiterin des Gefängnisprogramms der Organisation Tostan. Den Frauen würde vor allem helfen, wenn sie das Recht bekämen, den Vater zu nennen. Heute kann niemand einen Mann zwingen, die Vaterschaft anzuerkennen.

"Meistens brechen die Familien mit der Frau"

Nicht die Enge und die warme modrige Luft plagten Aïcha im Gefängnis, auch nicht der Umgang mit Frauen, die im Drogengeschäft waren, sondern die Sorge um das Leben danach: "Wie werde ich meinen Eltern ins Gesicht schauen können?", fragte sich die stämmige Frau. "In Afrika kannst Du allein nicht leben", betont sie. Ihr Vater wollte nichts mehr von ihr wissen, nur die Mutter kam regelmäßig.

Eine Gefängnisstrafe ist an sich schon ein Stigma. "Meistens brechen die Familien mit der Frau", erläutert Kébé. Das sei nicht hinzunehmen. "Diese Frauen gehören zur Gesellschaft. Sie müssen in ihre Familien zurück", sagt sie entschieden.

Kébé arbeitet seit 2003 als Vermittlerin bei familiären Konflikten: "Die Frauen nennen uns einen Bruder oder einen Onkel, die wir ansprechen sollten." Dann besucht ihr Team den Marabout, den muslimischen Geistlichen des Vaters, oder den Dorfchef, um Zugang zu der Familie zu bekommen.

Aïcha lernte dank Tostan im Gefängnis Stoffe zu färben und nach ihrer Entlassung schloss sie sich einer Frauenkooperative an. Sie wohnt heute in einem kleinen Zimmer im Haus ihrer alten Tante und ist mit ihrem Verdienst zufrieden. Sie kann auch der Familie helfen. Aïcha suchte sogar selbst ihren Vater auf. "Im Gefängnis habe ich zu sprechen gelernt", sagt sie dankbar.

Inzwischen heiratete sie einen Gefängniswärter, aber die Ehe scheiterte. Nun ist Aïcha geschieden. Was sie sich jetzt wünscht, ist eine gute Zukunft für ihre Tochter, die zur Schule geht. Und sie möchte gerne die Pilgerfahrt ihrer Eltern nach Mekka, ein Haus und ein Auto für sich bezahlen können. Aber vermutlich wird sie bald wieder heiraten. Denn als geschiedene Frau ist sie wie "Freiwild". Männer klopfen oft an ihre Tür. Aïcha will nicht ins Gerede kommen.