TV-Tipp: "Tatort: Dunkle Zeit" (ARD)

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TV-Tipp: "Tatort: Dunkle Zeit" (ARD)
17.12., ARD, 20.15 Uhr
Vor allem in den politischen Talkshows war der Umgang der ARD mit der rechtspopulistischen AfD nicht immer glücklich; die Kritik reichte von zu viel Aufmerksamkeit bis zu mangelnder Souveränität der Moderatoren. Der Krimi "Dunkle Zeit" widmet sich dem gesellschaftlichen Rechtsruck auf ganz anderer Bühne.

Das ist durchaus heikel, denn die Repräsentantin der fiktiven Partei Die neuen Patrioten (DNP), mit der der eher links denkende Bundespolizist Falke (Wotan Wilke Möhring) immer wieder aneinandergerät, ist permanent auf Wahlkampf gepolt und sondert auch im Vier-Augen-Gespräch entsprechende Propaganda ab. Niki Stein nimmt in kauf, dass manch’ ein Zuschauer, dessen Verachtung für die "Systemmedien" den "Tatort" nicht mit einschließt, beifällig nicken wird: Wo sie Recht hat, hat sie Recht.

Aber Stein weiß natürlich, was er tut. Er befasst sich in seinen Drehbüchern immer wieder mit brisanten und aktuellen Themen. In "Manila", einem Kölner "Tatort" aus dem Jahr 1998, ging es um internationalen Kinderhandel; in dem unter anderem mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichneten Drama  "Bis nichts mehr bleibt" um Scientology. Zuletzt hat er einen cleveren fiktionalen Dokumentarfilm über die wahren Gründe für den Untergang der DDR ("Öl") sowie einen auch filmisch faszinierenden "Tatort" aus Stuttgart über die Gefahren künstlicher Intelligenz ("Hal") gedreht. Weil Stein bei der Umsetzung seiner Stoffe kein Freund von Plakativität ist, hat er es auch vermieden, die unterkühlt auftretende Galionsfigur der deutschnationalen Partei zu karikieren: Nina Schramm (Anja Kling), Fraktionsvorsitzende der DNP im niedersächsischen Landtag, ist eine charismatische und hochintelligente Frau, die dem Neokonservatismus nicht nur aufgrund ihrer Erscheinung attraktive Züge verleiht.

Zum Krimi wird die Auseinandersetzung mit den Positionen der Rechtspopulisten, als der Gatte stirbt: Richard Schramm (Udo Schenk) kommt durch eine Autobombe ums Leben. Hätte sich nicht ein kurzfristiger Termin ergeben, hätte auch seine Frau in dem Wagen gesessen. Die Suche nach den Attentätern führt Falke und seine Kollegin Grosz (Franziska Weisz) naturgemäß ins linksradikale Lager. Schon ist die Rede davon, dass die politischen Erfolge der DNP eine Gemengelage entstehen lässt, die eine neue RAF hervorbringen könnte, da bekommen die Ermittler Zweifel an der Theorie: Was, wenn die Rechten das Attentat selbst inszeniert haben, weil Parteigründer Schramm lästig wurde und der Anschlag der Spitzenkandidatin bei der bevorstehenden Wahl einen weiteren Schub geben würde? Dass im Hintergrund auch noch Subventionsbetrug eine Rolle spielt, sorgt für eine weitere Komplexität des Drehbuchs.

Die Kombination der verschiedenen Aspekte, darunter auch die Angst der Menschen vor Überfremdung sowie entsprechende Verschwörungstheorien, ergibt eine äußerst reizvolle Mischung aus Krimi und Polit-Thriller. Es ehrt den Regisseur, dass er die rechten Politiker dabei nicht als Produzenten dumpfer Parolen darstellt. Von ähnlichem Kaliber wie Nina Schramm ist Generalsekretär Reinders, den der nicht minder attraktive Ben Braun unangenehm glaubwürdig als modernen Rattenfänger verkörpert. Dass die beiden darüber hinaus auch privat verbandelt sind, grenzt zwar an Kolportage, erhöht aber den Reiz der Geschichte. Davon abgesehen ist Steins Film auch auf der optischen Ebene gewohnt anspruchsvoll. Das Spektrum reicht von einem sehr authentisch wirkenden Internetvideo, das die DNP in die Nähe der NSDAP rückt und mit einem unverblümten Mordaufruf endet, bis hin zu hochaktuell wirkenden Aufnahmen von bürgerkriegsähnlichen Krawallen rund um einen Parteitag der Rechten. Ein interessantes Detail ist auch eine Website, die sich "Stolz und Vorurteil" und völkisches Gedankengut verbreitet; ihr Betreiber (Wilfried Hochholdinger) entpuppt sich als gruseliger rechter Strippenzieher. So populär wie das amerikanische Breitbart News Network, das nicht unmaßgeblich am Triumph Donald Trumps beteiligt war, sind deutsche Pendants zum Glück noch nicht. Nach Vorbildern für Nina Schramm sucht man hierzulande ebenfalls vergebens. Gerade für die öffentlichen Auftritte der Rechtspopulistin diente wohl eher Marine Le Pen als eine der AfD-Frauen als Vorbild. Für Anja Kling ist die Politikerin eine ebenso ungewohnte wie tolle Rolle. Davon abgesehen ist es durchaus mutig, die Fraktionsvorsitzende mit einer Sympathieträgerin zu besetzen, weil das den propagandistischen Ausführungen noch mal eine andere Wertigkeit gibt. Es wird nicht allen Mitgliedern der diversen ARD-Gremien gefallen, wie Nina Schramm über die "Systemmedien" herziehen darf.

Geschickt macht sich Stein zudem die unterschiedlichen Temperamente der beiden Ermittler zunutze, deren Mit- und Gegeneinander er gleichzeitig auf ein neues Niveau hebt: Während Falke offensiv die Auseinandersetzung mit Schramm sucht, ihre Parolen mit flott rausgehauenen Nazi-Vergleichen kontert und die Wähler der Rechten für "denkfaule Analphabeten mit Internetanschluss" hält, beißt sich Grosz förmlich auf die Zunge. Natürlich ist der Film auch als Warnung zu verstehen. Dass Stein dies nie in den Vordergrund stellt, macht einen nicht unbeträchtlichen Teil der Qualität aus.