Polen und die "parteiische Kirche"

Das Kreuz vor dem Präsidentenpalast zum Gedenken an die Opfer von Smolensk 2010.
Foto: Jens Mattern
Das Kreuz vor dem Präsidentenpalast zum Gedenken an die Opfer von Smolensk 2010.
Polen und die "parteiische Kirche"
Trennung von Staat und Kirche? Wie in keinem anderen EU-Land beeinflusst die katholische Kirche die Politik in Polen: Verschärfung der Abtreibungsregeln, teilweise Rücknahme der verkaufsoffenen Sonntage und noch mehr. Eine gefährliche Verbindung von "Kirche, Polentum und Nation".

"Die Bischöfe sind dabei, eine parteiische Kirche zu bilden" dieser Vorwurf des emiritierten Weihbischofs Tadeusz Pieronek sorgte Anfang November in Polen für Unruhe. Der Geistliche glaubt, dass die katholische Kirche auf Seiten der regierenden Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) unter Premierministerin Beata Szydlo agiere und diese Parteinahme sei "die wohl die größte Gefahr für die Kirche."

Das Episkopat reagierte betont gelassen, dies sei eine individuelle Meinung, zudem wäre der der 84-jährige Amtsbruder bereits in die Jahre gekommen.

Doch die Vorhaltung Pieroneks ist nicht neu, vor allem der liberale Teil Polens erhebt sie, nach Umfragen glauben 48 Prozent der Befragten, dass das Verhältnis zwischen Kirche und Regierungspartei "zu nahe" sei. Und das Thema ist von Interesse – schließlich bekennen sich über 90 Prozent der Bevölkerung Polens zum römisch-katholischen Glauben. Die Katholische Kirche spielte dort in den Achziger Jahren als moralischer Beistand der Solidarnosc-Bewegung, welche schließlich 1989 die ersten halbwegs freien Wahlem im Ostblock erzwingen konnte, eine wichtige Rolle.

Lebensschutz als Wahlkampfthema

An dem Wahlsieg der Nationalkonservativen vor zwei Jahren scheint die Bischofskonferenz auch nicht ganz unschuldig. Denn in einem Wahlbrief, der von den Kanzeln verlesen wurde, forderte sie die Gläubigen auf, bei der Stimmabgabe zu bedenken, dass "das Leben eines jeden Menschen geschützt werden muss, von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod". Gemeint war ein Verhindern der Abtreibung, hierzu gab es das Versprechen der PiS, die Gesetzesregelung zu verschärfen.

Zuvor hatte sich die Kirchenführung von der liberal-katholischen "Bürgerplattform" (PO) entfremdet, die von 2008 bis 2015 regierte. So stiess sie sich an dem Versuch der Partei, gesetzliche Regelungen für gleichgescheschlechtliche wie heterosexuelle Paare zu etablieren, sowie an der durchgesetzten staatlichen Unterstützung für die künstliche Befruchtungsmethode "In Vitro".

Auch der von der Kirche gewünschten Verschärfung der Abtreibungsregelung wollte die Partei nicht nachkommen. Die im Jahre 1993 mühsam ausgehandelte Novelle erlaubt eine Abtreibung nur bei einer Behinderung des Kindes, der gesundheitlichen Beeinträchtigung der Mutter sowie nach einer Vergewaltigung. Die Kirche und konservative Politiker wie Vereinigungen verlangten jedoch immer wieder ein Totalverbot.

Wenn die Politik der Kirche entgegenkommt

Während die Nationalkonservativen die staatliche Förderung von In Vitro bald nach Regierungsbeginn kappten und derzeit ein Gesetz ausgearbeitet wird, das Kommunen bestraft, sollten sie die Befruchtungsmethode bezuschussen wollen, ist ein Verändern des Abtreibungsgesetzes für die Regierung riskanter. Als das Totalverbot im vergangenen Herbst im Sejm diskutiert werden sollte, protestierten zehntausende Frauen in den großen Städten. Die PiS kippte darum den Antrag der Organisation "Pro Life", der mit Unterstützung des Klerus gestellt wurde, um zu große Konfrontationen zu vermeiden. Abtreibungsgegner haben jedoch erneut eine halbe Million Unterschriften gesammelt, um demnächst eine Gesetzesverschärfung im Sejm diskutieren zu lassen, die von Premierministerin Beata Szydlo und weiteren PiS-Politikern unterstützt wird. Dieser Vorschlag will allein eine Abtreibung bei einer Behinderung des Kindes verbieten, da dies den größten Teil der offiziellen Abbrüche ausmacht. Frauenorganisationen und polnische Liberale werden dann wieder auf die Straße gehen, wie sie es auch bei einigen anderen Entegenkommen der PiS gegenüber dem Klerus erbrachten.

So wurde bereits die Rezeptpflichtigkeit für die "Pille danach" eingeführt, die teilweise Rücknahme des verkaufsoffenen Sonntags beschlossen, sowie dem Klerus der Handel mit landwirtschaftlichen Grundstücken gestattet. Auch werden in Kirchenpublikationen viele Anzeigen staatlicher Firmen geschaltet.

Die PiS, deren "Wandel zum Guten" den Polen eine Art Hinwendung zu mehr Kirche und Patriotismus vermitteln soll, sieht sich wiederum selbst als eine Art Hüter des Katholizismus, eine Art Monokultur von Staat und Kirche, so kann man zumindest den einflussreichen Parteichef Jaroslaw Kaczynski verstehen: "Die Kirche ist sehr stark mit dem Polentum und der Nation verbunden. (...) Eine Attacke auf die Kirche ist im größten Maße eine Attacke gegen Polen."

"Warum soll das Unglück anderer Länder zu unserem Unglück werden?"

Bisher hat sich die Kirche auch nicht sehr deutlich in der Frage um die Flüchtlinge engagiert. Die polnische Regierung weigert sich seit dem Anschlag in Brüssel 2016 Asylsuchende aus den Lagern in Italien und Griechenland aufzunehmen.

Eine wichtige Rolle in dieser Entwicklung spielt auch Pater Tadeusz Rydzyk, der der römisch-katholischen Ordensgemeinschaft der "Kongregation des Heiligsten Erlösers" angehört und der nach der Wende in Polen mit "Radio Maryja" ein Medienimperium schuf, das vor allem diejenigen ansprach, die sich als Verlierer der neuen Marktwirtschaft mit ihren sozialen Härten sahen. Aufgrund seiner fremdenfeindlichen und polarisierenden Predigten wurde der Geistliche anfangs vom Episkopat geschnitten.

Mittlerweile haben sich viele Bischöfe an Rydzyks Ton angepasst. Ausgerechnet einer der bekanntesten Hardliner, Marek Jedraszewski, wurde im vergangenen Dezember von Papst Franziskus zum Erzbischof von Krakau ernannt. Dabei pflegte diese Stadt eine eher liberale Tradition. "Warum soll das Unglück anderer Länder zu unserem Unglück werden?" erklärte der Geistliche zur Flüchtlingsfrage und warnte vor "terroristischen Zentren", die in Polen entstehen könnten.

Doch zuletzten häufen sich auch kritischere Stimmen aus den Reihen der Kirchenoberen. Als Zäsur gilt das Veto des Staatspräsidenten Andrzej Duda gegen zwei umstrittene Justizreformen, die der PiS eine größere Kontrolle über die Gerichtsbarkeit verschaffen sollte. Ein Tag vor seiner Entscheidung traf er Vertreter der Bischofskonferenz im Kloster Jasna Gora in Tschenstochau. Nach dem Veto dankte der Vorsitzende des Episkopats dem Staatspräsidenten und betonte in einem offenen Brief, dass "die katholische Soziallehre die Demokratie als ein System schätzt, dass (...) die Teilhabe der Bürger an politischen Entscheidungen sichert."

Der Experte Marcin Zyla, Leiter des Ressorts "Glaube" bei dem katholischen Wochenmagazin  "Tygdnik Powszechny", beobachtet eine laufende Veränderung in der Kirchenleitung: "Es gibt dort einen Streit, der nicht nach außen dringt" erklärte er auf Anfrage.

Nach Zyla habe die Kirche nun erkannt, dass eine zu große Nähe zu einer Partei ihr schaden könne. Zudem sähen die Bischöfe die Gefahr, von Nationalisten vereinnahmt zu werden. Diese zogen kürzlich, von der Regierung protegiert, zu 60.000 unter dem Motto "Wir wollen Gott" durch die Straßen der Hauptstadt Warschau. Bei diesem Marsch anlässlich des polnischen Unabhängigkeitstags war so mancher Priesterrock zu sehen, so Augenzeugen. 

Rückkehr zu einer barmherzigen Kirche gefordert

Wojciech Polak, der Primas Polens und Erzbischof von Gnesen (Gnezno) hat zuvor angekündigt, dass jeder Geistliche seiner Diözese, der bei einer fremdenfeindlichen Demonstration mitmacht, suspendiert werde.

Piotr Kandyba Mitglied der Vereinigung "der offene Katholik".

Auch Piotr Kandyba hofft auf Stimmen wie die von Polak. Der bekennende Sozialliberale ist Mitglied der Vereinigung "Der offene Katholik", die sich gegen die Parteinahme der Kirche und die nationalistischen Tendenzen innerhalb des Klerus wendet und die Rückkehr zu einer barmherzigen Kirche fordert.

"Die Kirche entspricht nicht mehr der Vermittlerrolle innerhalb der Nation", meint der 48-jährige Geschäftsmann. Viele Katholiken seien enttäuscht, darunter Anhänger der Solidarnosc, die in den Achziger Jahren Beistand der Kirche erfuhren, aber auch viele jüngere wie er. In seiner Heimatgemeinde in einem Ort in der Nähe von Warschau fühle er sich nicht mehr wohl, da die anderen Besucher ihn als Kritiker der Verhältnisse kennen. Die meisten, die so dächten wie er, würden mittlerweile die Pfarrei meiden. Mit der Internetseite will er Fehlverhalten von Geistlichen veröffentlichen und eine weitere Diskussion über die Rolle der Kirche in Polen bewegen.