TV-Tipp: "Götter in Weiß"

TV-Tipp: "Götter in Weiß"
15.11., ARD, 20.15: "Götter in Weiß"
Drama, Krimi, Thriller: Elmar Fischer standen alle Wege offen. Tatsächlich ist sein Film mal das eine, mal das andere, aber in erster Linie erzählt "Götter in Weiß" von einer mutigen Frau, die ihre Karriere aufs Spiel setzt, weil sie nicht schweigen will, als sie einen Skandal entdeckt.

Anna Hellberg (Claudia Michelsen) ist Oberärztin in der Chirurgie einer Kleinstadtklinik irgendwo in Mecklenburg. Als eines Tages ein kleines Mädchen mit kompliziertem Beinbruch eingeliefert wird, kommt es während der Operation zu einem Zwischenfall: Eine OP-Besteck-Verpackung ist beschädigt, die Klemme ist nicht mehr steril. Trotzdem beruhigt sie den Vater, Bernd Strasser, (Antonio Wannek): "ein normaler Routineeingriff". Kurz drauf ist es mit der Routine vorbei: Leah erleidet einen anaphylaktischen Schock, sie muss auf irgendetwas hochgradig allergisch reagiert haben. In ihrem Blut finden sich Spuren eines Antibiotikums, aber Anna hat dem Kind keinerlei Antibiotika verabreicht. Außerdem entdeckt das Labor einen multiresistenten Keim, der freie Bahn hatte, weil alle anderen Bakterien durch das Antibiotikum abgetötet worden sind. Anna geht dem Rätsel nach und findet raus, dass diverse OP-Berichte gefälscht worden sind. Aber der Preis für ihre Suche nach der Wahrheit ist hoch: Erst wird sie von den Kollegen, die um ihren Arbeitsplatz fürchten, geschnitten, dann wird sie kaltgestellt; selbst ihr eigener Mann und Kollege (Jan Messutat) scheint in das Komplott verwickelt.

Das Erzählmuster "Allein gegen alle" mag zunächst etwas schlicht klingen, aber das Drehbuch (Andrea Frischholz, Jörg Tensing) entwickelt die Geschichte sehr behutsam und eben nicht als "Medical Thriller", auch wenn eine Einstellung zu Beginn, als der Operationssaal durch die Schlitze der Klimaanlage gefilmt wird, ein unübersehbarer Hinweis ist. Fortan konzentriert sich der Film jedoch auf die Personen, zumal sich Anna durch ihre Nachforschungen zunehmend isoliert. Die Spannungen haben zur Folge, dass nicht nur ihre Ehe, sondern auch die Beziehung zur besten Freundin, OP-Schwester Franziska (Anneke Kim Sarnau), leidet. Die Mitarbeiter der Abteilung, die für die Sterilität des OP-Bestecks zuständig ist, sind ohnehin nicht gut auf sie zu sprechen, weil die defekte Verpackung nicht der erste Vorfall dieser Art war und Anna sie für den Keim verantwortlich macht. Tatsächlich hat der Skandal jedoch viel größere Ausmaße, als sie ahnt.

Dass die Autoren ihre Hauptfigur auch noch mit den typischen Problemen der Mutter eines pubertierenden Sohnes konfrontieren, hätte vielleicht nicht sein müssen, und Gatte Gunnar, dem sie vorwirft, er drücke sich vor jedweder Verantwortung, hätte als Figur auch ohne Peter-Pan-Syndrom funktioniert. Annas Chef (Sebastian Rudolph) ist als typischer Antagonist solcher Geschichten ebenfalls leicht überzeichnet. Das Überleben der Klinik ist dem ärztlichen Leiter wichtiger als das Wohl der Patienten, weshalb er Anna schließlich die Schuld für Leahs immer kritischeren Zustand in die Schuhe schiebt. Die multiplen Belastungen führen dazu, dass die Chirurgin in einer etwas übertriebenen Szene die im Garten abgestellten teuren neuen Fensterscheiben zerdeppert. Ansonsten aber verkörpert Claudia Michelsen ihre Rolle mit großer Glaubwürdigkeit: eben nicht als idealisierte Vorbildfigur, sondern als ganz normale Frau, die die entdeckten Missstände nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren kann und um der Wahrheit willen bereit ist, Karriere, Ehe und Freundschaft zu riskieren.

Weil das Drehbuch die Geschichte konsequent aus Sicht der Heldin erzählt, wird das zu Grunde liegende Thema beinahe beiläufig behandelt: Der eigentliche Skandal und damit auch die zentrale Botschaft sind natürlich die Zustände an deutschen Krankenhäusern, die unter einem immensen Rentabilitätsdruck stehen, weshalb Operationssäle unbedingt ausgelastet sein müssen und Patienten zu unnötigen OPs überredet werden. Im typischen Klinikdrama wird diese Ebene gern durch ein Mitglied der Verwaltung repräsentiert, und auch in "Götter in Weiß" geistert ein Controller (Stefan Ruppe) durch die Handlung, der die Belegschaft zu größerer Effizienz antreiben soll, weil das Krankenhaus Verluste macht. Trotzdem trägt Fischer, dank Filmen wie dem Wirtschaftskrimi "Im Dschungel" und erst recht dem Überwachungs-Thriller "Unterm Radar" eine Art Spezialist für Gesellschaftskritik, diese Botschaft nie vor sich her. Bis auf Annas Ausraster ist "Götter in Weiß" wohltuend sachlich inszeniert; es sagt im positiven Sinn viel über den Regiestil aus, wenn die Szene mit der größten Spannung und Dynamik der Auftakt mit einem Wettrennen zwischen Vater und Tochter Strasser ist, das schließlich zu Leahs Unfall führt.