TV-Tipp: "Tatort: Auge um Auge" (ARD)

TV-Tipp: "Tatort: Auge um Auge" (ARD)
12.11., ARD, 20.15: "Tatort: Auge um Auge"
Der MDR hat seine Sonntagskrimis aus Dresden im vorigen Jahr mit amüsanten Seitenhieben auf die Schlagerbranche begonnen. Später sorgte im Grunde nur noch Martin Brambach als leicht skurriler Kommissariatsleiter für amüsante Momente. "Auge um Auge", Fall Nummer vier für das weibliche Ermittlerduo Sieland und Gorniak (Alwara Höfels, Hanczewski), ist eine Abrechnung mit dem finsteren Treiben der Versicherungsbranche und überhaupt nicht mehr komisch, zumal sich der Chef des Duos als potenzielles Pegida-Mitglied outet.

Der Film beginnt mit einem Attentat: Der Leiter einer Versicherungsfirma ist aus großer Distanz in seinem Büro erschossen worden. Während Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) überzeugt ist, dass ein wütender Kunde hinter dem Attentat steckt, finden seine beiden Oberkommissarinnen Sieland (Alwara Höfels) und Gorniak (Karin Hanczewski) raus, dass zwischen den Mitgliedern der Belegschaft zum Teil purer Hass herrscht. Das dominierende Thema von "Auge um Auge", dem vierten "Tatort" aus Dresden, lässt sich daher recht bald identifizieren: "Wer Kollegen hat, braucht keine Feinde". Das gilt nicht nur für die Mitarbeiter der Versicherung, in deren Dresdener Filiale Mobbing, Handgreiflichkeiten und Psychoterror offenbar Alltag sind. Auch zwischen Sieland und ihrem Chef kracht es gewaltig, und diese Ebene ist fast interessanter als die Suche nach dem Mörder. Bislang war der zu geschmacklosen Scherzen neigende Schnabel zwar erkennbar konservativ, aber in seiner Rückständigkeit eher amüsant als bedrohlich, zumal Martin Brambach, früher lange auf Schurken abonniert, längst als Sympathieträger etabliert ist. Diesmal jedoch wird mehr als nur angedeutet, dass sich der Abteilungsleiter montags abends zu all den anderen gesellt, die gegen die Islamisierung des Abendlands protestieren.

Diese Zuspitzung der Figur – ein leitender Beamter mit rechtsextremen Neigungen als Reihenhauptrolle – ist ebenso konsequent wie mutig vom MDR. Womöglich war man andererseits aber auch ein bisschen erschreckt über diese Courage, weshalb Schnabel natürlich ein Gegenstück braucht: Die von ihm prompt als "Gutmensch" titulierte Kollegin Sieland engagiert sich in der Flüchtlingshilfe, und weil sie einer Syrerin den ausgemusterten Computer ihres Chefs überlassen hat, kommt es zur Eskalation. Bislang sind solche Konflikte im "Tatort" aus Dresden zumeist komödiantisch aufgelöst worden, aber in "Auge um Auge" verkörpert Brambach den Vorgesetzten nicht mehr als Parodie auf einen Ewiggestrigen, sondern als Repräsentanten einer Bewegung.

Damit Sieland besonders dünnhäutig auf Schnabels Bemerkungen reagiert, dichtet ihr das Drehbuch auch noch eine Beziehungskrise an, was des Guten jedoch zuviel ist. Autoren sind Ralf Husmann und Peter Probst, aber da im Vorspann auch die Regiefassung von Franziska Meletzky ausdrücklich erwähnt wird, hat die Regisseurin die Vorlage offenbar stärker als üblich bearbeitet. Vielleicht ist das die Erklärung dafür, warum vom typischen Husmann-Touch nicht mehr viel zu spüren ist. Der zweifache Grimme-Preisträger ("Stromberg", "Dr. Psycho") steht für bissige Dialoge und schräge Figuren. Sein Drehbuch für den ausgesprochen gelungenen ersten Krimi aus Dresden, "Auf einen Schlag" (Koautor: Mika Kallwass), war fast eine Satire aufs Schlagerwesen, und "König der Gosse", der zweite Fall, hatte mit drei Obdachlosen immerhin ein skurriles Trio zu bieten (Koautor in beiden Fällen: Mika Kallwass). In Episode Nummer drei, "Level X", sorgte allein Brambach mit seinen unnachahmlich dargebotenen Preziosen für komische Momente; "Auge um Auge" aber ist durch und durch Krimi. Allein die gelegentlichen boshaften Seitenhiebe erinnern noch an jene Elemente, die dem "Tatort" aus Dresden gerade beim Auftakt zu einem gewissen Alleinstellungsmerkmal verholfen haben. Das Trio ist also im Alltag des Sonntagskrimis angekommen, doch es wird auch nicht mehr so getan, als sei Dresden eine Stadt wie jede andere. Der Begriff "Pegida" fällt zwar kein einziges Mal, aber die Andeutungen sind unmissverständlich. Zum Glück hat Meletzky, zu deren besten Arbeiten nach wie vor ein Doppel-"Tatort" aus Hannover gehört ("Wegwerfmädchen" und "Das goldene Band", 2012), darauf verzichtet, den Film mit dieser Botschaft zu überfrachten; selbst wenn die Syrerin, die Schnabels Computer bekommt, ein auffallend attraktiver und sympathischer Flüchtling ist.

Sehenswert ist "Auge um Auge" auch und gerade wegen der Schauspieler. Für das Ermittler-Team gilt das ohnehin, zumal sich Alwara Höfels und Karin Hanczewski immer besser ergänzen. Unangenehm überzeugend ist auch Arnd Klawitter: Rainer Ellgast, Stellvertreter des Mordopfers, steht für das andere große Thema der Geschichte, "Versicherungen sind alle Verbrecher". Diese Ebene funktioniert nicht ganz so subtil, weil das Anliegen offenbar unmissverständlich deutlich gemacht werden sollte: Der Konzern hat diversen Kunden, die aus verschiedenen Gründen berufsunfähig geworden sind, die Versicherungsleistung verweigert. Repräsentiert werden sie von einem Unternehmer (Peter Schneider), der seit einem Arbeitsunfall nicht mehr laufen kann. Ihm gilt zu Beginn die zweite Einführung, als er lebensmüde mit seinem Rollstuhl eine abschüssige Straße hinunterrast. Ellgast und Schnabel sind sich schnell einig, dass solche Leute ohnehin ausnahmslos Simulanten sind; bei den Ansichten über Homosexuelle und Ausländer sind sie ebenfalls einer Meinung.

Klawitter und Brambach spielen diese als Biedermänner getarnten Brandstifter auf fast schon gruselige Weise glaubwürdig, weshalb das Bedauern der Kommissarinnen, als sie Ellgast von der Liste der Verdächtigen streichen muss, gut nachzuvollziehen ist: Der Mann wird ebenfalls beschossen, und zwar auf dem Weihnachtsmarkt, wo er am Stand der Versicherung als Nikolaus auftritt. Die Szene der anschließenden Panik war wegen der begrenzten Mittel sicher nicht einfach umzusetzen. Am Ende rückt die zweifelhafte Zahlungsmoral der Versicherungen dann doch recht unübersehbar in den Vordergrund. Die Klage gipfelt in der Feststellung, die schwarzen Schafe bildeten mittlerweile die Herde, was immerhin ein sehr anschauliches Bild ist, und Schnabel macht als besorgter Vorgesetzter doch noch ein paar Sympathiepunkte gut.