TV-Tipp: "Unter Verdacht: Die Guten und die Bösen" (Arte)

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TV-Tipp: "Unter Verdacht: Die Guten und die Bösen" (Arte)
10.11., Arte, 20.15 Uhr: "Unter Verdacht: Die Guten und die Bösen"
Sie kommen ohne Eltern oder andere Angehörige aus Ländern wie Afghanistan und Syrien nach Deutschland, werden in Heimen aufgenommen – und irgendwann sind sie weg: Tausende junge Flüchtlinge sind in den letzten Jahren spurlos verschwunden.

Da die zuständigen Behörden ohnehin schon völlig überlastet sind, bleiben die Jugendlichen ihrem Schicksal überlassen. Viele werden als Dealer rekrutiert, andere landen in der Prostitution. "Die Guten und die Bösen", die 28. Episode aus der herausragenden ZDF-Reihe "Unter Verdacht", behandelt eine dritte Möglichkeit: Der Suizid eines 13-Jährigen bringt Eva Prohacek (Senta Berger) und ihren Mitarbeiter Langner (Rudolf Krause) aus der Abteilung für interne Ermittlungen bei der Münchener Polizei auf eine Spur, die nicht minder schockierend ist. Trotzdem wird der Film polarisieren, denn er bezieht klar Stellung; der Titel ist mit Bedacht gewählt.

Es gibt in "Unter Verdacht" selten einen Zweifel daran, wer in der Welt der Kriminalrätin die Guten und die Bösen sind, und in der Regel sind die Guten zahlenmäßig deutlich unterlegen: weil Prohacek und Langner meist allein gegen alle kämpfen. Außerdem ist der Feind immer dann, wenn die Politik ins Spiel kommt, in Gestalt des Vorgesetzten Claus Reiter (Gerd Anthoff) auch noch in den eigenen Reihen vertreten. Diesmal aber haben Michael Gantenberg (Buch), Johannes Grieser (Regie) und Produzent Mario Krebs offenbar bewusst in kauf genommen, dass ihnen schlichte Schwarzweißmalerei vorgeworfen werden kann. Das beginnt schon mit dem Polizistenpaar, das zu Beginn der Handlung auf einen offenbar verwahrlosten Jungen aufmerksam wird: Die Beamtin versucht, Kontakt zu dem Teenager herzustellen, ihr grobschlächtiger Kollege will ihn ohne großes Federlesen in ein Heim bringen. Dort angekommen, gerät das Kind in Panik, beißt den Beamten, der schlägt zurück; der Junge, er heißt Walid, reißt sich los und die rennt die Treppe hinauf aufs Dach. Die Polizistin redet auf ihn ein, dann taucht der laute Kollege auf, und Walid springt vom Dach in die Tiefe.

Dieser Einstieg ist einerseits erschütternd, andererseits in der Zeichnung der Figuren aber auch sehr schlicht, zumal gerade der männliche Beamte auch in der Befragung durch Prohacek nicht von seiner Linie abweicht und der Leiterin der Unterkunft (Bibiana Beglau) die Schuld am Tod des Kindes gibt. Später wird sich rausstellen, dass der Polizist einem "besorgten Bürger" für dessen Website "Der gute Nachbar" polizeiliche Informationen zukommen lässt, und am Ende wird er den Tod eines weiteren jugendlichen Flüchtlings zu verantworten haben. Dieser Breininger, auch äußerlich nicht gerade ein einnehmender Mensch, hält die Jugendlichen im Flüchtlingsheim für "Wilde" und dürfte mit seinen Äußerungen manchem AfD-Wähler aus der Seele sprechen. Dass der Schauspieler Rainer Haustein den Mann konsequent unsympathisch verkörpert, versteht sich von selbst; und spätestens jetzt kommt die Frage ins Spiel, ob es sich die Verantwortlichen gerade bei der Schilderung der Polizeiarbeit nicht zu leicht gemacht haben.
Natürlich gibt es solche Menschen auch bei der Polizei, aber weil der Beamte gerade im Unterschied zu Prohacek und Langner so negativ wirkt, findet keine echte Auseinandersetzung mit seinen Aussagen statt; Zuschauer, die ähnlich denken, dürften sich wahlweise bestätigt oder stigmatisiert fühlen. Die Kluft zwischen den internen Ermittlern und dem uniformierten Kollegen wird noch durch die Sprache betont: Breininger redet starken Dialekt, Prohacek und Langner hochdeutsch. Auch das passt zum Weltbild jener Leute, die in ihrem tiefen Misstrauen gegenüber den Eliten überzeugt sind, "die da oben" steckten alle unter Decke. Dabei ist zumindest der Politiker, den Tim Seyfi immer wieder mal in "Unter Verdacht" spielt, auf ihrer Seite: Vor den Kameras gibt sich der Staatssekretär zahm, im Gespräch mit Reiter macht er aus seinen Ansichten keinen Hehl. Er sagt auch den Satz des Films: "Rechts von rechts beginnt der Abgrund".

Heikel ist zudem die nicht näher erläuterte Andeutung, die Polizei solle Gesetzesverstöße der ausländischen Jugendlichen nicht weiter verfolgen. Auch das dient eher der Verstärkung von Verschwörungstheorien: Viele AfD-Sympathisanten sind überzeugt, die Ordnungshüter seien in der Tat angehalten, mit zweierlei Maß zu messen und bei Delikten von Flüchtlingen ein Auge zuzudrücken; in den entsprechenden Netzwerken kursiert eine Vielzahl solcher angeblich authentischer Fälle. Dass die Besorgnis der Beamten angesichts vieler junger Männer voller Energie, aber ohne Beschäftigung durchaus berechtigt ist, fällt dagegen komplett unter den Tisch. Die Leiterin des Heims ist als Gegenentwurf zu Breininger ein überzeichneter "Gutmensch", was die Sache nicht besser macht. Für sie sind die Jugendlichen, wie es der Polizist formuliert, lauter kleine Engel. Ins Bild passt auch die Besetzung Andreas Guenthers als zwielichtiger Flüchtlingschauffeur; der Schauspieler wird außerhalb des Rostocker "Polizeirufs", in dem er auch nicht gerade einen Sympathieträger verkörpert, grundsätzlich als Schurkendarsteller engagiert.

Immerhin gibt es unter den jungen Männern ebenfalls Gute und Böse. Der Afrikaner Chandu (Bortey Wendler) verhält sich zwar moralisch zweifelhaft, aber er steht unter enormem Druck, weil er dringend Geld braucht, um seiner Schwester die Reise nach Deutschland zu finanzieren. Während die anfängliche Verfolgung des Jungen dank einer ausgezeichneten Kombination von Kamera, Musik und Schnitt sowie kurzer Rückblenden sehr dynamisch ist, hat Grieser die Bilder vom Schicksal der jungen Frau radikal reduziert: Wenn der Bruder sie anruft, liegt sie mit anderen Frauen wimmernd irgendwo in einem Zelt, offenbar und zu recht mit dem Schlimmsten rechnend. Chandus Gegenspieler, Djamal (Tan Ipekkaya), ist dagegen ein richtig schlimmer Finger, für dessen Verhalten der Film keinerlei Entschuldigung sucht. Bei einer Vernehmung provoziert er die Kriminalrätin so geschickt, dass sie ihm eine Ohrfeige gibt; eine drastische Entgleisung, die umso wirkungsvoller ist, weil sich Prohacek derartige Blößen nur höchst selten gibt. Aber auch bei Reiter, durch seine Scheidung schwer angeschlagen, liegen die Nerven blank. Ausgerechnet er belehrt seine Mitarbeiter: "Die Guten und die Bösen. Aber so einfach ist das nicht." Der Film ist trotz der Vorbehalte sehenswert, doch er muss sich am überdurchschnittlich hohen Maßstab der Reihe messen lassen; andere Episoden haben ihre zum Teil ähnlich brisanten Themen deutlich differenzierter behandelt.