Schwarzer Tag – Das Leiden der Dalit

Ein Dalit Mädchen aus einer christlichen Familie aus der Region Villupuram.
Foto: laif/Michele Palazzi/contrasto
Ein Dalit Mädchen aus einer christlichen Familie aus der Region Villupuram.
Schwarzer Tag – Das Leiden der Dalit
Indiens Daliten, die sogenannten "Unberührbaren", leben in bitterer Armut am Rande der Gesellschaft. Doch auch unter den Ärmsten der Armen gibt es noch Unterschiede: vom Staat geförderte soziale und wirtschaftliche Programme gegen das Elend gelten nicht für Christen und Muslime. Dagegen begehren Indiens religiöse Minderheiten auf.

Der 10. August hat sich in die Erinnerungen und die Seelen der christlichen und muslimischen Dalit als Tag der Ungerechtigkeit eingebrannt. An diesem Datum im Jahr 1950 trat ein Gesetz in Kraft, das den Weg für soziale und wirtschaftliche Programme zur Überwindung von Armut und Elend der einstmals "Unberührbare" genannten Ärmsten der Armen, dem gesellschaftlichen Bodensatz des indischen Kastensystems, frei machte. Genaugenommen gilt das Gesetz aber nur für die "Gelisteten Kasten", ein weiterer Euphemismus für die rund 201 Millionen Dalit, die 16 Prozent der indischen Bevölkerung ausmachen. Zu den "Gelistete Kasten" aber gehören nur Hindus, Ureinwohner und durch eine spätere Ergänzung des Gesetzes auch Buddhisten und Sikhs. Nicht aber Christen und Muslime.

Deshalb haben die Kirchen Indiens den 10. August zum "Black Day" erklärt. In diesem Jahr begehen sie den "Schwarzen Tag" zum zehnten Mal mit allerlei Aktionen und Demonstrationen, mit denen die Dalit ihre Rechte einfordern. "Der Black Day ist eine ökumenische Veranstaltung. Der NCCI und der CBCI führen sie durch unsere Kirchen als gemeinsame Kampagne durch. Unsere muslimischen Freunde nehmen auch daran teil", erklärt Roger Gaikwad in einer E-Mail an evangelisch.de. Gaikwad ist der Generalsekretär des protestantischen Nationalen Kirchenrats von Indien (NCCI), während CBCI das Kürzel für die Katholische Bischofskonferenz Indiens ist.

Die Dalit begehen den 10. Black Day mit gemischten Gefühlen. Einerseits ist die Freude groß. Mit Ram Nath Kovind war am 25. Juli dieses Jahres ein Dalit Präsident Indiens geworden. Andererseits ist ungewiss, was von einem Daliten im prachtvollen Präsidentenpalast Rashtrapati Bhavan, dem ehemaligen Zentrum der Herrschaft der Engländer in British India in Neu Delhi, zu erwarten ist. Der indische Präsident hat repräsentative Funktionen, keine politische Macht. Der 71 Jahre alte Kovind wurde von der regierenden BJP von Premierminister Narendra Modi in das hohe Amt gebracht. Die BJP ist der politische Arm der Hindutva-Ideologie, die ein rein hinduistisches Indien zum Ziel hat, in dem religiöse Minderheiten keinen Platz haben.

Christentum und Islam seien "Indien wesensfremd"

Präsident Kovind ist seit langem Mitglied der "Nationalen Freiwilligenorganisation" (RSS), einer radikal-hinduistischen, hierarchisch strukturierten Hindutva-Kaderorganisation. Vor einigen Jahren sorgte Kovind mit der Aussage für Schlagzeilen, Christentum und Islam seien "Indien wesensfremd". Das lässt zumindest für die christlichen und muslimischen Dalit nichts Gutes ahnen. "Es kann sein, dass ein paar gut klingende Maßnahmen im Namen des Präsidenten angekündigt werden, je näher die Parlamentswahl (2019) rückt....Aber das würde für die Dalit im Allgemeinen und die christlichen und muslimischen Dalit im Besonderen nicht wirklich von Bedeutung sein", sagt Gaikwad. Deutliche Worte findet auch Pater Amal Raj, Dalitexperte des katholischen Bischofsrats von Bihar, jenem indischen Bundesstaat, in dem Kovind einst Gouverneur war. "Er ist ein Mann des RSS und der Hindutva-Ideologie. Daher wird er als Präsident eher nichts für die Dalit tun, sondern nur das, was die BJP von ihm will."

Mit der Machtübernahme von Modi und der BJP im Mai 2014 nahm aber auch die Gewalt hindu-nationalistischer Gruppen gegen Christen und Muslime sprunghaft zu. Die Organisationen der Hindutva-Bewegung haben unter Modi freie Bahn. Nicht zuletzt auch, weil die BJP seit 2014 auch bei einer Reihe von Landtagswahlen siegreich war. Zuletzt in diesem Jahr in Uttar Pradesh (UP), dem mit 204 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Bundesstaat. Aus dem stammt Präsident Kovind und jeder weiß, wer in Neu Delhi regieren will, muss in UP gewinnen.

Zur hindu-nationalistischen Machtsicherung weit über 2019 hinaus arbeite die BJP seit langem daran, die Dalit für sich zu gewinnen, weiß Sudha Pai, Mitglied des "Indian Council of Social Sciences". "Sie (die BJP) geht jetzt über ihre Basis in den höheren Kasten hinaus, um unter Einschluss der Dalit eine niedere oder ‚nicht-brahmanische Hindutva’ zu schaffen", schreibt Pai in einer E-Mail an evangelisch.de. Die Brahmanen sind die höchste Kaste. Obwohl das Kastenwesen offiziell seit Jahrzehnten abgeschafft ist, bestimmt es bis heute Politik und Gesellschaft Indiens, das sich gerne als ‚größte Demokratie’ der Welt preist.

Das Umwerben der Dalit durch die BJP war schon bei der Wahl 2014 erfolgreich. Enttäuscht von den vielen gebrochenen Versprechungen sozialer Gerechtigkeit der lange Indien regierenden Kongresspartei des Gandhi-Nehru-Clans sind viele Dalit den Versprechen von BJP-Premierminister Modi zur Modernisierung der indischen Wirtschaft mit Aufstiegschancen für alle erlegen. Pai sagt: "Die Wahl Kovinds bedeutet die Kombination von drei wichtigen Faktoren – er ist ein Dalit aus UP, dem für Wahlen wichtigsten Staat; sie trägt zur Schwächung der Einheit der Opposition bei; und es hilft der Strategie der BJP, die Pro-Hindutva-Kräfte in den unteren Schichten zu stärken."

Die Gewalt gegen religiöse Minderheiten durch die Hindu-Nationalisten reicht von Zwangskonvertierungen über Zwangsverheiratungen christlicher und muslimischer Mädchen mit Hindus bis zu nackter Gewalt wie Mord und Totschlag durch die sogenannten "Kuhrächer", die religiöse Minderheiten dafür bestrafen, dass sie in den für die Hindus heiligen Kühen nur essbares Schlachtvieh sehen.

Gemeinsam kämpfen die Kirchen gegen die Gewalt der Hindu-Nationalisten. Im Juni diesen Jahres erinnerte der NCCI in einem Brief Modi an seine Verantwortung als Regierungschef von Indien, gegen die "horrenden Formen der symbolischen, strukturellen und physischen Gewalt" gegen "Muslime und Dalit" vorzugehen. "Diese Vorfälle zersetzen nicht nur den säkularen Ethos des Landes, sondern schaden international dem Ruf von Indien", hieß es in dem Schreiben. Darin forderte der NCCI Modi auf, die Gewalt gegen Minderheitsreligionen gesetzlich zu verbieten. Im Juli forderten Vertreter der Protestanten, Katholiken und der Dalit in einer gemeinsamen Erklärung ein Ende der Gewalt. "Wir befürchten, dass diese Entwicklung nicht nur eine Gefahr für den Säkularismus darstellt, sonder auch die Verfassung und die demokratische Struktur bedroht."

Die Ausgrenzung der Dalit jedweder Religion nimmt im indischen Alltag in den Augen von Nicht-Indern absurde Formen an. Im Dorf Baidanpurwa in Uttar Pradesh lebt Yoshadhara. Die mehrfache Großmutter ist so bitterarm wie es die Dalit eben sind, aber sie ist eine Brahmanin. In Sichtweite ihrer Hütte liegt das winzige Dalit-Dorf Chamaranpurwa. Auf die Frage, ob sie von den Dalit Nahrungsmittel annehmen würde, antwortet sie nach kurzem zögern: "Gekochtes Essen auf keinen Fall." Vor einigen Jahren ließ der neue oberste Richter Indiens, ein Brahmane, das Büro ausräuchern, das er von seinem Dalit-Vorgänger übernommen hatte.

Das Kastenwesen ist eine hinduistische Erfindung und dürfte folglich unter den indischen Christen und Muslimen nicht existieren. Die Realität sieht anders aus. Die Minderheitsreligionen haben das Kastenwesen adaptiert und das reicht bis in den Tod, wie auf so manchen christlichen Friedhöfen durch die strikte Trennung von Dalitbegräbnisstätten von denen der Toten höherer Kasten zu sehen ist. Die Kirchen tun sich schwer, diesen tief verwurzelten Sitten ein Ende zu setzen. Immerhin versuchen sie es, die NCCI mit der Kampagne "Man kann nicht gleichzeitig Christus und dem Kastenwesen dienen".