Progressive Christen kämpfen für den Erhalt von "Obamacare"

Eine Person trägt einen Gipsverband mit der Aufschrift "I (heart) Obamacare".
Foto: dpa/Pool
Eine Person trägt einen Gipsverband mit der Aufschrift "I (heart) Obamacare".
Progressive Christen kämpfen für den Erhalt von "Obamacare"
In den USA ringt die progressiv eingestellte Christenheit um politischen Einfluss. Leicht ist das nicht. Häufig haben "linke" Christen das Nachsehen gegen ihre konservativen Glaubensbrüder und -schwestern, die im Weißen Haus ein- und ausgehen.

Ende Juli in Washington: Republikanische Politiker wollen mehr Marktwirtschaft bei der Krankenversicherung. Barack Obamas "Obamacare", die mit vielen Subventionen Millionen US-Amerikaner überhaupt erstmals in eine Versicherung brachte, soll weg. Als der Senat am 25. Juli mit hauchdünner Mehrheit beschließt, weiter an der Reform zu arbeiten, sind Protestrufe im Sitzungssaal zu hören. 21 Personen werden festgenommen. Die meisten von ihnen sind Geistliche und religiös motivierte Aktivisten. Derzeit ist in den USA viel zu hören von den progressiven Christen. Sie ringen um politischen Einfluss.

Vor dem Capitol, wo der Kongress tagt, schleppen die Protestierenden einen Sarg. "Wir wollen nicht die Toten begraben, die eure Gesetze unter die Erde bringen", sagte Robin Tanner dem Informationsdienst "Religion News Service". Die engagierte Pastorin gehört zur einer traditionell der Gewissensfreiheit und dem kritischen Denken verpflichteten Unitarier-Gemeinde in Summit im US-Staat New Jersey.

Zusammen mit Gleichgesinnten will sie versuchen, das Reformvorhaben der Republikaner zu verhindern. Die Abschaffung von "Obamacare" würde nach Berechnung des überparteilichen Haushaltsbüros im Kongress mehr als 20 Millionen US-Bürger die Versicherung kosten.

Die Sarg-Aktion Ende Juli ist bereits die dritte Gesundheits-Kundgebung glaubensmotivierter Reformgegner im Capitol. Schon Mitte Juli wurde etwa ein Dutzend Menschen festgenommen, weil sie vor dem Büro des republikanischen Mehrheitsführers im Senat, Mitch McConnell, protestierten. Man müsse handeln wie seinerzeit die Propheten, sagt die presbyterianische Pastorin Jennifer Butler. In der Bibel sind es oft die Propheten, die auf Missstände hinweisen oder unangenehme Wahrheiten aussprechen.

Auch 7.000 römisch-katholische Ordensschwestern hatten einen Protestbrief an McConnell geschrieben: Die Reform sei unmoralisch und verstoße gegen die katholische Glaubenslehre. Dazu kommen zahlreiche Kundgebungen gegen Trump - auf Spruchbändern fordern die Demonstranten mit Bibelzitaten den Schutz von Migranten, die Bewahrung der Schöpfung und soziale Gerechtigkeit.

Es gebe im Moment "eine Welle des Aktivismus unter religiösen Progressiven", hieß es diese Woche auf thinkprogress.org, einer der Demokratischen Partei nahe stehenden Plattform. Die Medien sind aufmerksam geworden. Seit dem Vietnamkrieg habe die "religiöse Linke" nicht mehr so viel "Lärm gemacht" wie heute, schrieb vor kurzem die "New York Times".

Einfluss der Evangelikalen reicht bis ins Weiße Haus

"Linker" christlicher Aktivismus hat in den USA Tradition. Er ist bunt und dezentral: In der Bürgerrechtsbewegung kamen die Impulse beispielsweise von afroamerikanischen Geistlichen. Beim Protest gegen den Vietnamkrieg waren es die Katholiken, die Akten zur Erfassung Wehrpflichtiger verbrannten. Katholischer Einfluss prägte auch die Solidarität mit Mittelamerika in den 80er Jahren. An der Friedensbewegung gegen Atomrüstung schließlich waren viele Kirchen beteiligt. Die protestantischen Gemeinden engagieren sich vor allem sozial.

Beim republikanisch kontrollierten Kongress bekommen die progressiven Christen dennoch kaum den Fuß in die Tür. Im Weißen Haus überhaupt nicht. Im gegenwärtigen Klima sei religiös motivierter Protest von links nicht leicht, sagt der Soziologe und Religionsexperte Brad Fulton von der Indiana Universität in Bloomington. Konservative Verbände aus dem evangelikalen Spektrum hätten mächtige Institutionen aufgebaut. Ihr Einfluss reicht weit in die Republikanische Partei, bis in den US-Senat und den Kongress hinein.

Vertreter der Demokratischen Partei hätten es indes nicht so mit der Religion. "Viele Demokraten verbinden mit Religion ausschließlich... die religiöse Rechte", bedauert Fulton. Die Demokratin Hillary Clinton habe die Menschen nicht begeistert mit ihren "stark verwässerte Statements" zu Religion und Glauben.

Distanz zur "organisierten Religion"

In progressiven politischen Bewegungen sind es vor allem junge Leute, die sich einbringen. Den progressiven Christen hilft das nur begrenzt: Umfragen zufolge distanzieren sich junge US-Amerikaner zunehmend von "organisierter" Religion. Laut dem "Public Religion Research Institute" haben 39 Prozent der jungen Menschen nach eigenen Angaben keine religiöse Bindung. Und der Direktor der Forschungseinrichtung "Public Religion Research Institute", Daniel Cox, schrieb im Statistikblog fivethirtyeight.com: Es gebe heute "viel weniger liberal eingestellte religiöse Menschen als vor einer Generation".

Und wie geht es weiter mit den Protesten progressiver Christen im Capitol? Die Gegner der republikanischen Krankenversicherung haben versichert, sie würden weiter machen, bis der Kongress in die Sommerpause fährt. Der Ausgang bleibt ungewiss.