Tote lügen nicht

Afghanische Sicherheitskräfte sind nach einem Anschlag in Kabul vor Ort.
Foto: dpa/Rahmat Gul
Afghanische Sicherheitskräfte sind nach einem Anschlag in Kabul vor Ort.
Tote lügen nicht
Seit Januar mehr als 1.600 getötete Zivilisten in Afghanistan
1.662 - so viele Zivilisten sind in den ersten sechs Monaten des Jahres im Konflikt in Afghanistan getötet worden. 3.581 Zivilisten sind verletzt worden, 23 Prozent mehr Frauen und Kinder wurden Opfer der Gewalt. Das ist die Realität im "sicheren" Afghanistan.

1.662 - diese Zahl könnte für vieles stehen: So viele Kilometer liegen zwischen Frankfurt am Main und der italienischen Stadt Brindisi. Oder so viel könnte eine einwöchige Urlaubsreise für zwei Personen kosten. All das ist möglich. Definitiv steht die Zahl laut Bericht der UN-Mission in Afghanistan (UNAMA) für eins: die Zahl der getöteten Zivilisten in Afghanistan. Im ersten Jahr 2017 sind mindestens 1.662 Zivilisten im Konflikt in Afghanistan getötet worden - einem Land, das von der Bundesregierung als so "sicher" bezeichnet wird, dass Flüchtlinge dorthin abgeschoben werden. 1.662 tote Zivilisten sprechen eine andere Sprache. Das sind zwei Prozent mehr als im gleichen Zeitraum im vergangenen Jahr. Die Zahl der verletzten Zivilisten ist um ein Prozent im Vergleichszeitraum auf 3.581 gefallen. Die Anzahl der zivilen Opfer stieg insgesamt in 15 der 34 afghanischen Provinzen an - 19 Prozent von ihnen wurden in Kabul verzeichnet. Da ein mehrstufiger Verifizierungsprozess vorgenommen wird, um die Zahl der Opfer nachverfolgbar zu machen, bezeichnet die UN die Angaben selbst als "eher konservativ".

Laut UN-Bericht gehen 1.141 oder 67 Prozent der getöteten Zivilisten auf das Konto von Anti-Regierungs-Gruppen, darunter 43 Prozent als Opfer der Taliban, fünf Prozent als Opfer des sogenannten "Islamischen Staat". Den Regierungstruppen schreibt der Bericht 327 zivile Opfer zu, ein Rückgang um 21 Prozent. Bei den übrigen Todesfällen ließen sich die Täter nicht eindeutig zuordnen.

Die UN-Statistik zeigt auch, dass die Zahl der verletzten und getöteten Frauen und Kinder angestiegen ist, nachdem sie im Jahr 2016 noch rückläufig war. Insgesamt wurden 23 Prozent mehr Frauen und Kinder von der Gewalt getroffen als noch im Vergleichszeitraum - Schuld daran sind laut UN-Angaben selbstgebaute Bomben und Luftangriffe in Wohngebieten.

"Die menschlichen Kosten dieses fürchterlichen Konflikts in Afghanistan - Verlust des Lebens, Zerstörung und immenses Leid - sind viel zu hoch", so der Leiter der Unama-Mission, Tadamichi Yamamoto. Er appelierte an die Taliban, von Attentaten auf Zivilisten abzusehen und forderte die Regierungskräfte auf, in bewohnten Gebieten keine schweren Waffen mehr einzusetzen.

Tragischer Höhepunkt der anhaltenden Gewalt in Afghanistan war die Explosion eines Tanklastwagens im Botschaftsviertel von Kabul am 31. Mai 2017. Damals starben mindestens 92 Zivilisten und fast 500 Menschen wurden teils schwer verletzt. Dieser Terroranschlag war der schwerste von der UNAMA-dokumentierte Anschlag seit 2001.

Zeid Ra'ad Al Hussein, UN-Hochkommissar für Menschenrechte, sagte: "Die Statistiken in diesem Bericht - so entsetzlich sie auch sind - können niemals das unglaubliche menschliche Leid der Menschen in Afghanistan transportieren. Jede einzelne Opferzahl steht für eine zerbrochene Familie, unvorstellbares Trauma und Leid und die brutale Verletzung der Menschenrechte dieser Menschen."

Seit Januar 2009, so die Zahlen der UN, sind mehr als 26.500 Zivilisten im bewaffneten Konflikt in Afghanistan getötet und etwas weniger als 49.000 verletzt worden.