Die neuen Protestanten Frankreichs

Junge Menschen in der Kirche von Palaiseau.
Foto: Dominique Hernandez
Die Bibel zieht junge Menschen in die Kirche von Palaiseau.
Die neuen Protestanten Frankreichs
In Frankreich ist jeder fünfte Protestant neu eingetreten. evangelisch.de hat vier Neulinge nach ihren Motiven gefragt.

Ethische Orientierung und Begegnung mit dem Pfarrer

Von hundert neuen Mitgliedern der Protestantischen Kirche Frankreichs waren 59 vorher katholisch, 28 ohne Religion, elf Angehörige einer anderen Religion, zwei muslimisch (IFOP).

In Frankreich ist der Eintritt in die protestantische Kirche ein Zusammentreffen von ethischer Neu-Orientierung und Begegnung mit einem Pfarrer vor Ort. Das stellt den protestantischen Pfarrern in Frankreich ein gutes Zeugnis aus: Sie leisten eine solide Arbeit im Feld. Wichtiger als Großveranstaltungen der Kirche sind für die neuen Mitglieder, dass in der Kirche vor Ort ein Pfarrer da ist und zuhört, wenn die seelischen Probleme hochgekocht sind. Wenn man Anerkennung braucht, wie Emilie im Fall ihrer Homosexualität, oder Morgan im Falle seines Konflikt zwischen Christentum und Management. In Frankreich kommen die Neuen in die protestantische Kirche, weil sie eine bestimmte Auffassung von der Nachfolge Jesu haben, die sie in ihrer Ursprungskirche oft nicht finden, aber mit anderen teilen wollen. Die Argumente der vier Befragten, warum sie Protestanten wurden, sind Kernpunkte der lutherischen Theologie: Solidarität mit den geistig Armen, direkter Dialog mit Gott über die Bibel, Gott als direkter Segensspender, Warnung vor dem Mammon.

Julien Guitard, 35, Paris: "Eine Liebes-Einladung, die Christus im Evangelium ausspricht"

"Ich habe mich taufen lassen vor allem, um auf einen Ruf zu antworten, auf eine sehr tiefe Überzeugung. Auf eine Liebes-Einladung, die Christus im Evangelium ausspricht. Eine Anrufung. Eine Berufung. Dadurch hat sich mein Leben vor allem auf spiritueller Ebene verändert: Es ist ein Vertrauen. Eine Hoffnung. Wenn man Christus hat, hat man alles. Es geht darum, die ethischen Fragen neu anzugehen: Fragen der Solidarität mit den Armen. Mit allen, die arm sind. Und zwar nicht arm im materiellen Sinne. Sondern die in einer Armut des Geistes leben. Das sind ethische Fragen, die schon in meiner Familienkultur präsent waren.

Ich bin EDV-Ingenieur. Meine Großmutter war lutherisch. Aber ich habe erst mit dreißig Jahren meine Taufe empfangen. Deshalb, weil ich Pfarrer Alain Joly getroffen habe, auf der Taufe meines Neffen. Das ist der Anlass gewesen, einen spirituellen Weg einzuschlagen. Ich bin Christus begegnet. Ich bin dann in der protestantischen Gemeinde Les Billettes in Paris getauft worden, im Jahr 2012. Im 19. Jahrhundert war einer meiner Vorfahren ein elsässischer protestantischer Pfarrer: Eugène Menegoz. Ich kannte die Gemeinde Les Billettes, weil ich in der Nähe dieser Kirche wohne."

Amandine Lebarbier, 31, Palaiseau bei Paris: "Einen beruhigten Dialog mit Gott wiederaufnehmen"

"Der Protestantismus hat mir Lust gegeben, mehr über die Geschichte der Religionen und die Texte zu erfahren. Er hat mir Lust gegeben, mich mehr für die anderen einzusetzen. Er hat es mir ermöglicht, einen Dialog mit Gott aufzunehmen, der ruhig ist, und in dem die kirchliche Struktur keine Bremse ist, sondern sehr wohl eine Hilfe auf meinem Weg. Ich bin Doktorandin der Vergleichenden Literaturwissenschaft. Ich bin Protestantin geworden, nachdem ich vor vier Jahren einen Bibelkreis besucht habe. Zuerst bin ich aus reiner intellektueller Neugier dorthin gegangen; als Französisch-Lehrerin wollte ich mehr über die Bibel erfahren. Aber meine Begegnung mit Dominique Hernandez, Pfarrerin der protestantischen Kirche von Palaiseau, ist bestimmend gewesen für meinen Willen, den Protestantismus anzunehmen. Infolge dessen haben mein Mann und ich angefangen, regelmäßig in die Kirche zu gehen.

Was mich gleich interessiert hat, ist der neue Bezug zum biblischen Text, den die protestantische Exegese anbietet: eine historisierte, vorsichtige, offene, vielfältige und niemals versteifte Lesart.

Ich bin katholisch erzogen worden, bin aber viele Jahre nicht mehr zur Messe gegangen. Ich fühlte, dass ich nicht mehr in Übereinstimmung war mit dem, was mir die Katholische Kirche anbot, aber ich war immer noch bewogen von einer Lust, mich Gott anzunähern."

Emilie Gomez, 36, Palaiseau (bei Paris): "Die Protestantische Kirche hat eine Einsegnung für homosexuelle Paare"

"Ich bin seit einem Jahr Mitglied der Protestantischen Kirche; wegen meiner Homosexualität: Ich lebe mit einer Frau zusammen. Vorher war ich katholisch. Ich habe in einer marianistischen religiösen Einrichtung studiert. Ich habe die Kommunion und die Firmung empfangen. Ich bin immer gläubig gewesen. Aber meine Homosexualität wurde in meinem Umfeld schlecht angesehen. Darum habe ich die katholische Kirche und meine Familie verlassen. Ich lebte damals in Südfrankreich. Ich hatte der Kirche den Rücken gekehrt bis zum Heranwachsen meiner beiden Kinder: Mein Sohn bat mich, ihn beim Katechismus anzumelden. Da habe ich mich wieder daran erinnert, dass ich eine umfangreiche religiöse Kultur hatte. Das hat meine alten religiösen Überzeugungen wiederhochkommen lassen. Und so habe ich im Internet gesucht und schließlich die Protestantische Kirche gefunden: sie hatte einen Gottesdienst und eine Einsegnung für homosexuelle Paare. Dann habe ich Pfarrerin Dominique Hernandez kennengelernt. Die Gemeinschaft dort habe ich sympathisch gefunden. Und ihr Kirchenvorstand hat unserer Anfrage um Einsegnung als Paar stattgegeben."

Morgan Lefebvre, 35, Lyon: "Man kann glücklich sein ohne ausschweifenden Konsum"

"Der Glaube und die Rückkehr in die Kirche haben mir erlaubt zu erfahren, dass man glücklich sein kann ohne Materielles und ohne ausschweifenden Konsum. In unserer Gesellschaft werden wir dazu angereizt, immer das schönste Auto zu wollen und den großen Fernseher. Das ist ein Wettlauf nach dem Glück, bei dem es kein Ende gibt. Wenn man sich hingegen wieder auf die Werte Christi besinnt, schafft man es, sich von diesem Wettlauf zu lösen und ein Glück zu finden, das gesünder ist und einfacher. Dieses Glück ist wahrhaftig und nicht an das gebunden, was man besitzt.

Ich habe für eine Bank gearbeitet: Das Management kann uns dazu antreiben, einen bestimmten Teil des Unternehmens-Personals zu isolieren. Man tut Dinge, die alles sind außer Brüderlichkeit; alles außer christlich. Aber es gibt Momente im persönlichen und im Berufsleben, in denen man auf der Suche nach Werten ist, nach Sinn. Und die Kirche kann auf Fragen antworten. Die Kirche erlaubt mir heute, bewusst Entscheidungen zu fällen. Auch im persönlichen Leben treffe ich heute politische Entscheidungen nach Maßgabe des Glaubens und der Lehre Christi.

Ich bin seit drei Jahren Mitglied der Protestantisch-Unierten Kirche Frankreichs. In der Lyoner Gemeinde Rive Gauche. Ursprünglich bin ich im katholischen Glauben erzogen worden. Viele Funktionsweisen der Katholischen Kirche gefielen mir nicht, denn meine Glaubenskonzeption und mein Bezug zur Schrift sind anders. Darum habe ich mich von der Katholischen Kirche entfernt. Ich habe im Internet gesucht und die Protestantisch-Unierte Kirche Frankreichs entdeckt."