Kirchentag erinnert mit Schweigeminute an Sterben im Mittelmeer

Kirchentag erinnert mit Schweigeminute an Sterben im Mittelmeer
Für eine Minute herrschte Stille auf dem evangelischen Kirchentag: Die Teilnehmer gedachten Tausender Flüchtlinge, die im Mittelmeer ums Leben kamen. Ein Anschlag auf Kopten in Ägypten überschattete das Christentreffen in Berlin.

Das Schicksal von Flüchtlingen im Mittelmeer hat am Freitag zur Halbzeit den evangelischen Kirchentag in Berlin beherrscht. Ein Bündnis aus kirchlichen und nichtkirchlichen Organisationen erinnerte an den Tod von mehr als 10.000 Menschen, die in den vergangenen drei Jahren auf ihrer Flucht nach Europa ums Leben kamen. Für eine Schweigeminute um 12 Uhr unterbrach der Kirchentag sein gesamtes Programm. Im Mittelpunkt stand außerdem ein Auftritt von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, der die Politik aufrief, das Vertrauen in die Demokratie nicht durch Populismus und unerfüllbare Versprechungen zu gefährden.

Auf einer Gedenkveranstaltung am Berliner Hauptbahnhof wurde mit Musik, Berichten von Flüchtlingen und Seenotrettern der Toten gedacht und Fürbitte gehalten. Die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan als Schirmherrin der Kampagne "'#Fluchtgedenken" kritisierte die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung scharf. "Wir müssen das Maul aufmachen", sagte sie. Auch die Kollekte des Festgottesdienstes in Wittenberg zum Abschluss des 36. Deutschen Evangelischen Kirchentags kommt zwei Hilfsorganisationen zugute, die Flüchtlinge aus Seenot im Mittelmeer retten, SOS Méditerranée und Mediterranean Hope.

Überschattet wurde der Kirchentag von einem Angriff auf koptische Christen in Ägypten. Dabei wurden laut Medienberichten mindestens 26 Menschen getötet und 25 weitere verletzt. Ditib-Generalsekretär Bekir Alboga äußerte sich bestürzt über den Anschlag. "Wir verurteilen die Tat auf das Schärfste", sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Rand des Kirchentags. "Wir verurteilen jede Art von Terrorismus als Unmenschlichkeit."

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) unterbrach wegen der Meldung ein Gespräch mit dem ägyptischen Geistlichen Scheich Ahmad Mohammad al-Tayyeb bei dem Protestantentreffen. Al-Tayyeb, eine der höchsten Autoritäten des weltweiten sunnitischen Islams, sprach den Opfern sein Beileid aus.

Zuvor warnte der Scheich vor einer Spirale des fundamentalistischen Terrors. Er sprach von einem drohenden "Rückfall ins Mittelalter" und sprach islamistischen Attentätern das Muslimsein ab. Terror könne kein Werk von Gläubigen sein, sagte Al-Tayyeb. Es müsse Schluss sein mit Verbrechen im Namen von Religionen. Er forderte zum Dialog der Religionen auf und bat die westlichen Religionsgemeinschaften, gegen das Bild eines gewaltsamen Islams einzutreten.

SPD-Chef Schulz sagte, unrealistische Politikversprechen, einfache Lösungen für komplexe Probleme und populistische Kampagnen, die auch vor Lügen und Falschinformationen nicht zurückschrecken, führten zu einem Vertrauensverlust in der Bevölkerung. "Diese Entwicklung ist brandgefährlich", betonte er auf einer Podiumsveranstaltung beim Kirchentag.

Die obersten Repräsentanten von katholischer und evangelischer Kirche in Deutschland, Kardinal Reinhard Marx und Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, sprachen sich für eine "Ökumene der Geschwisterlichkeit" aus. Für die Bemühungen der Kirchen um Einheit könne der europäische Einigungsprozess als Vorbild dienen, sagte der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Marx, in einer gemeinsamen Bibelarbeit mit dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bedford-Strohm.

Der am Mittwoch eröffnete 36. Deutsche Evangelische Kirchentag findet bis Sonntag in Berlin und Wittenberg statt. Das Protestantentreffen steht im Zeichen des 500. Reformationsjubiläums. Zum Festgottesdienst in Wittenberg werden für Sonntag mehr als 100.000 Menschen erwartet.