Kirchentagsauftakt ohne Small Talk

Kirchentag 2017
Foto: epd/Stefan Arend
Kirchentagsauftakt ohne Small Talk
Mit Gottesdiensten, nachdenklichen Worten und dem "Abend der Begegnung" ist der evangelische Kirchentag in Berlin eröffnet worden. Trotz erhöhter Sicherheitsvorkehrungen lassen rund 200.000 Besucher Kirchentagsstimmung aufkommen.

Drei Frauen sitzen zusammen auf Papphockern, 65, 35 und 13 Jahre, aus Stuttgart, Berlin und Brandenburg. In der Hand ein Blatt mit Fragen: Wie viele Kirchentage hast du schon besucht? Würdest du ein Lied in der U-Bahn anstimmen? Die Älteste von den Dreien ist die mutigste, sie würde, je nach Stimmung, die ersten Töne angeben. Dazu wird sie sicherlich Gelegenheit haben in den kommenden Tagen: Bis zum Sonntag läuft der 36. Deutsche Evangelische Kirchentag in Berlin und Wittenberg, der am Mittwochabend mit drei Gottesdiensten in Berlin eröffnet wurde.

Die Zusammenkünfte am "Abend der Begegnung" danach, mit dem traditionell die evangelischen Kirchentage eröffnet werden, sind vielfältig zwischen Brandenburger Tor, Kanzleramt und Gendarmenmarkt. 200.000 Menschen sind gekommen. Die drei Frauen haben sich in der Nähe des Bahnhofs Friedrichstraße kennengelernt. Damit nicht alle aneinander vorbeilaufen oder nur mit denen sprechen, die sie schon kennen, haben sich die Organisatoren etwas ausgedacht: Auf 40 "Inseln der Begegnung" wird das Kennenlernen gezielt unterstützt, "wertvolle Gespräche statt oberflächlichem Small Talk" sind das Ziel.   

Tausende tummeln sich in einem großen Radius rund um den Reichstag, der drohende Regen ist ausgeblieben. Dort präsentiert sich an Ständen die gastgebende Landeskirche Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, abgekürzt EKBO. So unendlich wie der Name ist auch die Vielfalt der Landeskirche zwischen Meyenburg im Norden von Brandenburg bis hin zu Görlitz im Osten von Sachsen. Im kulinarischen Angebot sind unter anderem Schmalzstullen, Wraps, Bratwurst, afrikanisches Brot und Biolimonade. Auch heißer Kakao und Glühwein - warm ist es nicht. "Free hugs", kostenlose Umarmungen, bietet ein junger Mann an. Die orangefarbenen Kirchentagschals mit dem Motto "Du siehst mich" wärmen die Hälse.

Vor der britischen Botschaft mitten im Begegnungsgebiet weht der Union Jack nach dem Anschlag von Manchester auf Halbmast, in der Nähe des Eingangs liegen Blumen und brennen Kerzen. Die Polizei patrouilliert. Die Stimmung ist trotzdem entspannt. Ein Polizeisprecher sagt, es sei "bemerkenswert ruhig".

Veranstalter und Sicherheitsbehörden hatten erklärt, dass nach dem Terroranschlag von Manchester das Sicherheitskonzept noch einmal überprüft worden sei. Vor den Eröffnungsgottesdiensten gab es Taschenkontrollen, an mancher Seitenstraße stehen Sicherheitsgitter.

Trotzdem ist manch einer der rund 100.000 Dauerteilnehmer mit mulmigem Gefühl zu der protestantischen Großveranstaltung im Jahr des 500. Reformationsjubiläums gefahren. Er habe sich selbst beobachtet und festgestellt: "Du guckst jetzt anders auf Menschen zum Beispiel in der U-Bahn", sagt ein Mann Rostock. Eine Schülerin erklärt, sie wolle sich nicht davon abhalten lassen, "mein Leben zu leben". Und das geistliche Oberhaupt der Kirche von England, der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, erinnert in seinem Grußwort vor dem Reichstag an die Terroranschläge in Berlin und in Manchester und sagt auf Deutsch: "Ein feste Burg ist unser Gott."

Mit "Bless the Lord, my soul" sollte der Abend ausklingen - in einem Lichtermeer aus Kerzen auf dem Platz der Republik, am Brandenburger Tor und auf dem Gendarmenmarkt.