Gläubig und schwul

Hamilton da Silva Filho (li.) und sein Ehemann Welkenson de Lima bei einem Gottesdienst in der Igreja Crista Contemporanea
Foto: epd-bild/Alberto Veiga
Hamilton da Silva Filho (li.) und sein Ehemann Welkenson de Lima bei einem Gottesdienst in der Igreja Crista Contemporanea.
Gläubig und schwul
Eine evangelikale Kirche in Brasilien heißt Homosexuelle willkommen
In katholischen oder evangelikalen Kirchen sind Schwule und Lesben in Brasilien meist nicht erwünscht. Homosexualität sei nicht mit dem Glauben vereinbar, heißt es. Ein Pastor wollte das nicht hinnehmen und wurde aktiv.

Mitreißende Gospelmusik erfüllt den einstigen Kinosaal. Schlagzeug, E-Gitarre und die laute Stimme einer Sängerin sorgen für gute Stimmung zu Beginn des Gottesdienstes in der Igreja Cristã Contemporânea in Rio de Janeiro. Es wirkt wie in allen anderen zahlreichen evangelikalen Kirchen in Brasilien - mit einem Unterschied: Viele der 200 Gläubigen, die von der Musik beschwingt auf den Stühlen sitzen, sind Lesben und Schwule.

Besonders groß ist der Ansturm auf die Kirche an Feiertagen wie Ostern. Denn diese Anlässe werden in Brasilien mit der gesamten Familie gefeiert. "Da vielen unserer Mitglieder in anderen Kirchen gesagt wird, dass Homosexualität schlecht ist, bringen sie ihre Familien hierher", erzählt der Pastor und Gründer der Kirche, Marcos Gladstone Canuto. "Hier können sich alle wohlfühlen."

Die "Christliche Zeitgenössische Kirche", die sich ICC abkürzt, ist eine Ausnahme unter den unzähligen evangelikalen Kirchen Brasiliens. Sie wirbt damit, für alle Menschen offen zu sein, ohne Vorurteile. Die Einladung richtet sich vor allem an Homosexuelle, die weder in katholischen noch in den immer einflussreicheren Pfingstkirchen willkommen sind.

Erste Amtshandlung: eine Umarmung

Aufmerksam und sichtlich gerührt verfolgt Jean, der seinen Nachnamen aus Angst vor Diskriminierung nicht nennen will, die Predigt von Pastor Canuto. Es geht um die Geschichte von Jakob, um Vater-Sohn-Beziehungen und das Erstgeburtsrecht. Seit zwei Jahren besucht der 25-Jährige jede Woche die Kirche im Stadtteil Madureira im Norden der Stadt, fernab der mondänen Strandviertel wie Copacabana oder Ipanema.

Früher ging Jean in eine anderen evangelikalen Kirche. Dort musste er seine sexuelle Orientierung verbergen. "Ich fragte mich, wie ich meinen Glauben an Gott leben und zugleich schwul sein kann," erinnert er sich. Als der Pastor ihm sagte, dass Gott ihn in dieser Form nicht akzeptieren werde, verließ Jean die Kirche. Nie wird der Angestellte einer Verpackungsfirma seinen ersten Tag in der ICC vergessen: "Wenn du hierher kommst, bekommst du als allererstes eine Umarmung. Ich fühlte mich sofort geliebt und aufgehoben", sagt Jean.

Canuto gründete die Kirche vor gut zehn Jahren. Während seines Studium in den USA erkannte der Theologe, dass Religion und Homosexualität kein Widerspruch sein müssen. Inzwischen unterhält die Igreja Cristã Contemporânea mehrere Gotteshäuser in Rio sowie in São Paulo und Belo Horizonte. Die Kirche versteht sich als Teil der evangelikalen Bewegung, die im größten katholischen Land der Welt rasch wächst. Weit über 20 Prozent der Bevölkerung bezeichnet sich inzwischen als evangelisch, wobei ein Großteil Anhänger von Pfingstkirchen ist.

Auch Pastor Canuto verließ einst eine traditionelle evangelikale Kirche, da seine Liebe zu Männern dort nicht toleriert wurde. Heute leitet er die ICC gemeinsam mit seinem Ehemann, dem Pastor Fábio Inácio Canuto. Sie heirateten, als gleichgeschlechtliche Ehen in Brasilien 2013 erlaubt wurden. Neun von zehn Mitglieder der Gemeinde haben ähnliche Erfahrungen gemacht. "Wir nennen Menschen, die in anderen Kirchen vor die Wahl zwischen Glauben und sexueller Orientierung gestellt wurden, 'desigrejados - entkirchlichte' Menschen. Bei uns finden sie ein neues Zuhause", sagt Marcos Canuto.

Da für die, die ausgestoßen wurden

Auch jenseits der Gottesdienste ist die Kirche für ihre Mitglieder da. Neben der seelsorgerischen Arbeit nimmt die Beratung und juristische Unterstützung bei Adoptionen großen Raum ein. Auch Canuto und sein Mann haben drei Kinder adoptiert. Dennoch versteht sich der Pastor nicht als Teil der Homosexuellen-Bewegung. Aber: "Während die Aktivisten gleichgeschlechtliche Ehen fordern, veranstalten wir die endlich erlaubten Hochzeiten in unseren Kirchen."

Am Ende des Gottesdienstes sehen die Menschen zufrieden aus. Die Stimmung ist ausgelassen, noch lange stehen die Gläubigen in Gruppen zusammen und reden. Pastor Canuto ist etwas erschöpft, er hat fast eine Stunde lang gepredigt. Den Erfolg seiner Kirche erklärt er so: "Wir machen genau das, was Jesus einst auf Erden machte: Die Nähe derjenigen suchen, die ausgestoßen wurden."