Die Reformation der Waldenser

Die Skulptur des Petrus Waldus am Lutherdenkmal in Worms erinnert an den Begründer der von der katholischen Kirche verfolgten Waldenser
Foto: epd-bild / Andrea Enderlein
Die Skulptur des Petrus Waldus am Lutherdenkmal in Worms erinnert an den Begründer der von der katholischen Kirche verfolgten Waldenser.
Die Reformation der Waldenser
400 Jahre vor Luther sagen die französischen Waldenser: "Jesus ist einziger Anwalt bei Gott Vater." Und stutzen die sieben Sakramente auf zwei zusammen: Taufe und Abendmahl.

"Jesus Christus ist geboren in einer von Gott Vater bestimmten Zeit, will heißen, zur Stunde, in der alle Ungleichheit überfloss, und nicht, um die guten Werke allein zu tun. Denn alle waren Sünder, sondern damit er uns Gnade und Barmherzigkeit erweise, als der Wahrhaftige. Wir erachten fest, dass es keinen anderen Vermittler und Anwalt bei Gott Vater gibt, als Jesus Christus. Wir haben immer geglaubt, dass es eine Abscheu ist, dass man vor Gott nur alle von Menschen erfundenen Dinge vorbringen soll, wie die Heiligen-Feste und Heiligen-Gebete sind, und das so genannte Weihwasser, wie sich an bestimmten Tagen des Fleisches zu enthalten, anderer Lebensmittel, und ähnliche Dinge, hauptsächlich die Messen. Wir glauben, dass die Sakramente sichtbare Zeichen oder Formen unsichtbarer Gnade sind. Wir haben keine anderen Sakramente gekannt als die Taufe und das Abendmahl."

Diese Sätze stehen im Jahr 1120 im Glaubensbekenntnis der Alten Waldenser, einer christlichen Laienbewegung aus dem 12. Jahrhundert. Ihr Gründer ist vermutlich der Lyoner Kaufmann Petrus Valdes (gestorben 1206). Weil die Waldenser ohne Genehmigung des Papstes predigten, wurden sie jahrhundertelang als Ketzer verfolgt und ermordet. Erst im Zeitalter der Aufklärung beginnt ihre Gleichberechtigung. 2015 hat Papst Franziskus die Waldenser in Turin um Vergebung gebeten "für all jene unchristlichen, ja unmenschlichen Handlungen und Einstellungen, die wir in der Geschichte gegen euch gerichtet haben" (Domradio, 22. Juni 2015).

Folgt man Pastor Antoine Monastier in seiner Histoire de l'Eglise Vaudoise ("Geschichte der Waldenser-Kirche", Genf 1847), steht am Anfang der Waldenser-Kirche ein Erweckungserlebnis des Lyoner Kaufmanns Petrus Valdes. Auf einer Vergnügungsreise mit einem Freund hat er eine Vision: er will Christus näher stehen, nackt dem nackten Christus folgen. Prompt übergibt er seinen Besitz seiner Frau, sendet seine Töchter ins Kloster und zieht als Prediger durch die Lande. Hunderte machen es ihm bald nach. Zuerst im französischen Dauphiné, dann im norditalienischen Piemont. Als Petrus Valdes den Papst schriftlich um Genehmigung seiner Bewegung bittet, erteilt Rom ihm eine kalte Abfuhr. 1215 erklärt Papst Innozenz III. die Waldenser zu Ketzern. Katholiken dürfen ihnen keine Gastfreundschaft mehr erweisen.

Tod auf dem Scheiterhaufen

Wie sieht diese Bewegung genau aus? Alle Gläubigen sind zum Priesteramt berufen. Weite Teile der Bibel haben die Waldenser schon im 13. Jahrhundert in den französischen Dialekt Languedoc übersetzt. Der katholische Inquisitor Rainier Sacco sagt um 1254 über die Waldenser: "Sie vermeiden den Hochmut in ihren Kleidern, die weder aus kostbaren noch aus gemeinen Stoffen sind. Sie leben von ihren Arbeiten als Handwerker; ihre Doktoren sind sogar Schuhmacher. Sie häufen sich keine Reichtümer an, sondern geben sich mit dem Notwendigen zufrieden. Sie sind keusch, vor allem die Frommen von Lyon. Sie halten sich im Essen und Trinken zurück."

Was der Inquisitor mit "Doktoren" bezeichnet, sind die so genannten "Barben", das heißt: "Onkel". Bis 1630 heißen so die waldensischen Pastoren. Sie haben ohne katholischen Segen ihre eigene Priester-Ausbildung aufgebaut: der Schüler geht auf Wanderschaft und studiert bei älteren Barben. Er lernt Matthäus, Johannes und die kanonisierten Episteln auswendig, Teile der Bücher Salomos, Davids und der Propheten. Nach zwei Jahren ist er selbst Barbe. Es gibt unter den Barben keine Hierarchie, nur eine Unterscheidung des Alters, der erwiesenen Dienste und der persönlichen Wertschätzung. Durch diese Freigabe des Predigerrechts an Laien sieht die Katholische Kirche ihre Existenz in Frage gestellt: insgesamt verurteilen deren Inquisitoren allein in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts eine Million Waldenser aus dem südfranzösischen Albi zum Tod auf dem Scheiterhaufen.

Freunde finden die Waldenser dagegen in der Schweiz: 1530 reisen die waldensischen Pastoren Georges Morel de Mérindol und Pierre Masson aus dem Dauphiné in das frisch reformierte Bern zum Reformator Guillaume Farel (1489-1565) und stellen seinem Kollegen Johannes Oekolampad (1482-1531) ihre französischen Gemeinden vor. Oekolampad antwortet darauf erfreut in einem warmherzigen Brief: "Wir erkennen an, dass Christus in Euch ist, darum lieben wir euch wie Brüder." Auf der Synode von Chanforans (bei Angrogna) verfassen die Schweizer Protestanten und die Waldenser 1532 ein gemeinsames Glaubensbekenntnis, das das Waldenser Bekenntnis von 1120 bestätigt. Es gibt nur zwei Sakramente: Taufe und Abendmahl.

Ende des 17. Jahrhunderts ziehen 2.600 Waldenser in die Schweiz und nach Deutschland. Der württembergische Herzog Eberhard Ludwig (1676-1733) heißt siebenhundert Waldenser willkommen: bei Maulbronn, Calw und Neu-Isenburg gründen sie Siedlungen und geben ihnen die Namen ihrer französischen Heimatdörfer: Villar, Pinache, Serres, Luserne, Queyras, Pérouse. Sie legen Sümpfe trocken und pflanzen die bis dahin in Württemberg unbekannte Kartoffel an. Im Bezirk Maulbronn bauen sie 1700 eine Straße in gerader Linie. Der preußische König Friedrich Wilhelm I. (1688-1740) erteilt den Waldensern Landstriche in Brandenburg, in Stendal einen ganzen Stadtteil. Zu Gunsten waldensischer Studenten schafft er zwei Stipendien an der Universität Berlin.

Aber auch für die Waldenser in Savoyen setzt er sich ein: Am 6. Januar 1725 gesucht er deren König Viktor Amadeus II. (1666-1732), er möge den Waldensern wieder das Recht zugestehen, an den katholischen Festtagen zu Hause zu arbeiten. Außerdem möge er die Bücher, die zur Ausübung der protestantischen Religion notwendig seien, nicht mehr am Zoll einziehen. Schließlich stellt Napoleon Bonaparte (1769-1821) in Frankreich 1805 die Waldenser als Protestanten unter Staatsvertrag.

Heute gibt es weltweit etwa 98.000 Waldenser, organisiert im Kirchenrat Tavola Valdese in Rom. In Frankreich gibt es keinen Waldensertag, weil die Waldenser in Frankreich schon 1532 in der Reformierten Kirche aufgegangen sind. 2012 hat Waldenser-Präsidentin Maria Bonafede erklärt, es sei wünschenswert, dass der Papst (damals Benedikt XVI.) das Primat der Römisch-Katholischen Kirche über die anderen Kirchen aufgebe. Die Waldenser segnen heute homosexuelle Paare. Auf dem deutschen Waldensertag 2016 in Karlsruhe hat der badische Landesbischof Jochen Cornelius-Bundschuh in der Waldenserkirche den Gottesdienst gehalten. Badische Studenten der evangelischen Theologie studieren an der Waldenser-Fakultät in Rom. Umgekehrt besuchen römische Studenten Seminare in Heidelberg. In der Leuenberger Konkordie von 1973 erklären die Unterzeichner – unter anderem Lutheraner, Reformierte, Methodisten und Waldenser – in Artikel 33c, dass sie gegenseitig ihre Ordinationen anerkennen.