Streit um das "protestantische Profil" im Reformationsjubiläum

Der evangelische Theologe Professor Friedrich Wilhelm Graf hält eine "anspruchsvolle Religionsdebatte" in Deutschland für überfällig.
Foto: epd-bild / Dirk Johnen
Der evangelische Theologe Professor Friedrich Wilhelm Graf hält eine "anspruchsvolle Religionsdebatte" in Deutschland für überfällig.
Streit um das "protestantische Profil" im Reformationsjubiläum
Der evangelische Theologe Friedrich Wilhelm Graf vermisst beim Reformationsjubiläum 2017 das "protestantische Profil".

Das Jahr 1517, als Martin Luther seine 95 kirchenkritischen Thesen veröffentlichte, sei ein "mythisches Ursprungsdatum" verschiedener protestantischer Kirchen gewesen, sagte Graf in einem Gespräch mit dem Ratsvorsitzenden der evangelischen Kirche, Heinrich Bedford-Strohm, das die "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Montag) abdruckte. Da könne man schlecht von einem ökumenischen "Christusfest" reden. Bedford-Strohm wies die Kritik zurück: "Luther selbst hätte die Idee eines Christusfestes ganz gewiss gefallen."

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hob Fortschritte im Verhältnis zur katholischen Kirche hervor. Auch diese spreche inzwischen von "versöhnter Verschiedenheit" zwischen den Konfessionen, selbst Papst Franziskus habe den Begriff verwendet. Niemand wolle heute eine kirchliche Wiedereingliederung unter römische  Oberhoheit ("Jurisdiktionsprimat"). "Christus muss der gemeinsame Bezugspunkt der Kirchen werden, und ich sehe da auch eine Dynamik!", sagte der bayerische Landesbischof.

Graf wandte sich indes dagegen, Unterschiede mit "diffusen Formeln" zu überdecken. Er nannte insbesondere die Frauenordination und die Haltung zur Homosexualität als Beispiele für Verschiedenheit. Die Frage des gemeinsamen Abendmahls konfessionsverschiedener Eheleute sei gar kein ökumenisches, sondern ein katholisches Problem, da beim evangelischen Abendmahl kein Katholik an der Teilnahme gehindert werde.

"Eine Sensibilität für eigene Verfehlungen ermöglicht uns Selbstdistanz"

Beide Theologen, die für verschiedene Denkschulen im Protestantismus stehen, waren sich einig darin, was die eigentliche Bedeutung der Reformation Luthers ausmacht. "Der entscheidende Punkt ist, dass Luther sich statt auf äußere Autorität auf das Gewissen bezog", sagte Bedford-Strohm: "Das ist ein geistesgeschichtlicher Durchbruch."

Der Münchner Theologieprofessor Graf wandte sich aber gegen das Wort "Kirchenspaltung". Das mache er sich nicht zu eigen. "Das Auseinanderfallen des Corpus Christianum (mittelalterliche Auffassung der Gesamtgesellschaft, Anm. der Red.) war das Beste, was uns passieren konnte", sagte er. Trotz Gewalt und Kriegen, die darauf folgten, "sind wir doch im Kern alle froh und dankbar dafür. Nur so gab es den weltanschaulich neutralen Verfassungsstaat." Die Reformation sei insgesamt ein "positives Ereignis". Kritik der akademischen Theologie an der Gestaltung des Jubiläums rühre daher, dass die EKD nicht sage, "was sie 2017 eigentlich will."

Bedford-Strohm sagte, ihm sei es wichtig, auch heute schwer vermittelbare theologische Anliegen Luthers zur Geltung zu bringen. Sünde und Buße seien zentrale Themen Luthers gewesen. "Eine Sensibilität für eigene Verfehlungen ermöglicht uns Selbstdistanz", erklärte der Repräsentant von rund 22,3 Millionen evangelischen Christen. "Wie viele Ehen weniger würden geschieden, wenn die Frage von Schuld und Vergebung stärker präsent wäre." Dafür sei Übung nötig. Für die Kirche komme es darauf an, solche auf den ersten Blick fremden Seiten des Christentum mutiger ins Gespräch zu bringen.

Die Protestanten feiern 2017 den Beginn der Reformation, der durch die Thesen-Veröffentlichung Luthers 1517 in Wittenberg markiert wird. Der legendäre Thesenanschlag löste die Spaltung in evangelische und katholische Kirche aus.