"Nicht sofort aufgeben"

Foto: Max Brunnert
"Nicht sofort aufgeben"
Sieben Wochen Ohne sofort - 6. Fastenmail 2017
Jesus sagte ihnen aber dies Gleichnis: Es hatte einer einen Feigenbaum, der war gepflanzt in seinem Weinberg, und er kam und suchte Frucht darauf und fand keine. Da sprach er zu dem Weingärtner: Siehe, drei Jahre komme ich und suche Frucht an diesem Feigenbaum und finde keine. So hau ihn ab! Was nimmt er dem Boden die Kraft? Er aber antwortete und sprach zu ihm: Herr, lass ihn noch dies Jahr, bis ich um ihn herum grabe und ihn dünge; vielleicht bringt er doch noch Frucht; wenn aber nicht, so hau ihn ab. (Lukas 13,6-9)

Liebe Mitfastende,

mittlerweile ist es spürbar Frühling geworden. Man kann merken, dass die Fastenzeit sich ihrem Ende und Höhepunkt zuneigt. Man kann der Natur zuschauen, wie das Leben wieder nach außen dringt. Und wir können uns freuen zu erkennen, dass die Natur es ähnlich macht wie wir in diesem Jahr: Nicht sofort! Langsam wird es grüner. Merklich, aber eben nicht auf einen Schlag, erwacht alles vor unseren Augen. Der Frühling lädt zwanglos dazu ein, ebenfalls wach zu werden und sich und die eigene Umgebung zu putzen und frisch zu machen. Manche Menschen entwickeln eine große Freude daran, ein möglich umfängliches "Großreinemachen" zu veranstalten. Man putzt nicht nur, sondern schaut auch mal genau hin, wovon man sich gern trennen möchte.

Die Geschichte, die uns in dieser Woche begleiten soll, passt in dieses Bild vom Frühjahrsputz. Einer, der einen Weinberg hat, schaut sich um und merkt, der Feigenbaum, den er mitten unter den Reben stehen hat, mittlerweile drei Jahre lang keine Früchte mehr trägt. Er bittet seinen Gärtner darum, den Feigenbaum zu fällen. Der aber scheint an dem Feigenbaum zu hängen und bietet dem Besitzer an, sich ein Jahr lang besonders um den Baum zu kümmern Dann könne man ja noch mal schauen, und wenn es immer noch keine Früchte gibt, wird der Feigenbaum eben dann umgehauen. Der Besitzer des Weinbergs hat gute Gründe, dass er den Feigenbaum fällen lassen will. Er hat ihn zwischen den Reben stehen lassen, obwohl er im Grunde genommen ein Konkurrent für seinen Wein ist. Er entzieht dem Boden tatsächlich "Kraft", die den Weinreben fehlt. Andererseits ist er ein schöner Luxus. Im Sommer spendet er angenehmen Schatten, und die Früchte schmecken süß. Nur leider trägt dieser Feigenbaum seit Jahren keine Früchte mehr.

Wir leisten uns solche Feigenbäume auch in unserer Umgebung. Wir mögen solche "Exoten", weil sie eben etwas Besondere bereithalten. Eine Monokultur von Weinreben ist vielleicht wirtschaftlich von Vorteil, doch langweilt sie uns auch nach einiger Zeit. Wer auf einem Weinberg arbeitet, freut sich eine Zeit lang, wenn die Trauben reif sind, an ihrem Geschmack. Aber bald wird er froh über eine Feige sein. Bestimmt haben Sie auch solche "Feigenbäume", die Sie sich leisten, weil sie etwas Besonderes bieten, einen kleinen Luxus, der das Einheitliche durchbricht. Beim Frühjahrsputz kann es durchaus vorkommen, dass uns auffällt, dass mancher von diesen "Feigenbäumen" ausgedient hat. Manchmal sind es tatsächlich Pflanzen, vielleicht sogar Feigenbäume. Ein Ficus, der einmal schön aussah und das Raumklima verbesserte, und der mittlerweile nur noch wenige Blätter hat, dafür aber viel Staub. Raus mit ihm? Oder noch ein Jahr behalten?

Der Pfiff am Gleichnis vom Feigenbaum ist aber nicht allein die Barmherzigkeit des Gärtners, dem Baum noch eine Chance zu geben. Vielmehr verspricht er, sich dem Baum ein Jahr lang besonders zu widmen. Er will ihn düngen und seinen Wurzeln mehr Raum geben. Das ist eine Menge Arbeit, aber er will sie tun. Viele Dinge, von denen wir uns gern trennen möchten, obwohl sie uns einmal am Herzen lagen, hätten eine solche Chance verdient. Eine geerbte Uhr, die immer noch an der Wand hängt, obwohl sie nicht mehr läuft. Silberbesteckt, das angelaufen ist, und in der Schublade schläft. Bücher, die im Regal Platz wegnehmen, weil man sie immer noch mal lesen wollte. Denken Sie einmal nach und finden Sie Ihre eigenen "Feigenbäume". Suchen Sie diese Gegenstände einmal auf, und fragen Sie sich: "Bin ich bereit, hier noch etwas zu investieren?" Wenn ja, dann machen Sie einen gut sichtbaren Zettel an den Gegenstand, der Sie auffordert: "Bring mich zum Uhrmacher!", "Polier mich!", oder "Lies mich!" Auf diese Weise geben Sie diesen Gegenständen eine echte weitere Chance. Wenn Sie dann feststellen, dass Sie das Ticken nicht mehr hören möchten, dass Sie doch nicht mehr vom Silberbesteck essen, weil man es nicht in die Spülmaschine tun darf, oder dass das Buch Sie gelangweilt hat, dann trennen Sie sich davon. Aber vielleicht wollen Sie Ihren "Feigenbäumen" ja tatsächlich eine echte Chance geben.

Und dann machen Sie noch einen weiteren Schritt: Schauen Sie nach den "Feigenbäumen" in Ihren Beziehungen. Wo kümmern Freundschaften vor sich hin? Welche Beziehungen könnten es vertragen, einerseits auf den Prüfstand gestellt zu werden und andererseits "umgegraben und gedüngt"? Wenn Sie solch eine Beziehung entdecken, machen Sie sich ebenfalls einen Plan, wieviel Kraft Sie noch einmal investieren möchten. Solch ein Plan ist wichtig, denn er bewahrt davor, zu viel in Feigenbäume zu stecken, wenn man doch eigentlich einen Weinberg bewirtschaften will. Schauen Sie genau hin, wofür Sie wie viel Engagement aufbringen können und möchten.

Ich wünsche Ihnen viel Freude bei Ihrem Frühjahrsputz mit ein paar zweiten Chancen.

Herzliche Grüße und eine gesegnete Woche!

Ihr Frank Muchlinsky