TV-Tipp: "Tatort: Fangschuss" (ARD)

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Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Tatort: Fangschuss" (ARD)
2.4., ARD, 20.15 Uhr: "Tatort: Fangschuss"
Es ist vermutlich Zufall, aber die Parallelen sind verblüffend. Die ansonsten nicht weiter der Rede werte "Wilsberg"-Episode "Der Betreuer" (ausgestrahlt im Januar) zeichnete sich unter anderem durch die leider nur vorübergehende Einführung eines Ensemblemitglieds aus, das dem Film viel frischen Wind bescherte: Janina Fautz spielte die minderjährige Nichte der Kommissarin, die sich munter in die Ermittlungen einmischte. Die junge Schauspielerin konnte quasi gleich in Münster bleiben, denn in "Fangschuss" wirkt sie ebenfalls mit, und auch hier hinterlässt sie einen derart guten Eindruck, dass sie unbedingt Stammkraft werden sollte.

Die Vorstellung, dass sich Frank Thiel (Axel Prahl) an den Gedanken gewöhnen muss, eine Tochter zu haben, ist ohnehin reizvoll. Der Hauptkommissar ist ja bereits Vater eines Sohnes, aber der Knabe wird allenfalls mal erwähnt. Nun steht eines Tages eine junge Frau mit blauem Haarschopf vor seiner Tür und eröffnet ihm, dass bloß zwei Männer als ihr Vater in Frage kommen; und der andere war bei der Begegnung mit ihrer Mutter bereits sterilisiert.

Natürlich ist das nicht die Geschichte des Films, aber die junge Leila ist weit mehr als bloß ein Vorwand, um Prahl die Möglichkeit zu geben, auch mal andere Seiten Thiels zu zeigen. Zum Krimi wird "Fangschuss", als der zweite "Vater" quasi vor den Augen des Mädchens ermordet wird: Jens Offergeld (Christian Maria Goebel) war Enthüllungsjournalist, und die leben im Krimi grundsätzlich gefährlich. Weil sie einmal dabei sind, sorgen die Autoren Stefan Canz und Jan Hinter für weitere Klischees: Selbstredend war der Mann Alkoholiker, wie Rechtsmediziner Boerne (Jan Josef Liefers) angesichts der Leber in der Nierenschale mitteilt, und Thiel darf zum Besten geben, dass Journalisten bekanntermaßen erst nach einer Flasche Rotwein in Fahrt kommen.

Abgeschmackte Scherze wie diese ziehen sich durch den gesamten Film. Canz und Hinter, in der "Tatort"-Gemeinde als Väter des Duos aus Münster ansonsten sehr geschätzt, erreichen hier bei weitem nicht die Form früherer Arbeiten. Die Gagdichte ist zwar hoch, aber das meiste verpufft. Auch die Geschichte ist nicht restlos überzeugend. Einiges wirkt konstruiert, anderes wie ein Vorwand, um die verschiedenen Handlungsebenen miteinander zu verknüpfen, weil in der Praxis nicht so reibungslos gelingt, was in der Theorie vielleicht sogar plausibel klang. Dass Boerne den Jagdschein macht, soll einerseits für heitere Momente sorgen und andererseits mit der Jägerin Freytag (Jeanette Hain wie üblich als Eiskönigin) eine Figur einführen, die auch für die Mordermittlungen eine Rolle spielt. Offergeld war nicht das erste Opfer; zuvor ist ein Mann vom Balkon gestürzt, der für den Journalisten Recherchearbeiten übernommen hat, aber diese Verknüpfung stellt sich erst später raus. Zunächst konzentriert sich Thiel auf einen Vater (André Hennicke), dessen Tochter bei einem Autounfall gestorben ist. Der Fahrer des Unfallwagens war Offergeld, der jedoch freigesprochen worden ist, und tatsächlich besitzt der Vater, auch er ein Jäger, eine Pistole von just jener Art, mit der der titelgebende tödliche Fangschuss auf den Journalisten abgegeben worden ist.

Diese Nebenebene wirkt allerdings halbherzig und macht den Eindruck, als hätten nicht mal die Autoren selbst sie mit letzter Überzeugung gestaltet. Ein weiterer Erzählstrang wird ebenfalls bloß pro forma verfolgt: Offergeld ist anscheinend einem Import von kontaminiertem Gemüse aus der Ukraine auf die Spur gekommen; zu Recht fragen sich die Ermittler, ob der Importeur (Michael Schenk) deshalb wirklich zum Mörder geworden ist. Tatsächlich ist das Tatmotiv ein völlig anderes, und dieser Teil der Geschichte ist ziemlich clever eingefädelt, zumal sich nun auch zeigt, dass Boernes Jagdfieber mehr als bloß eine Marotte ist; auch wenn einige Herrenwitze ("deutscher Stecher") eigentlich unterm üblichen "Tatort aus Münster"-Niveau sind. Weil er sich auch bei der Arbeit auf die mündliche Prüfung vorbereitet, weist Silke Haller (ChrisTine Urspruch) ihren Chef darauf hin, dass sein "Gefieder" ebenfalls immer lichter werde. Fortan bemüht sich Boerne, dem Haarausfall Einhalt zu gebieten. Immerhin hat dieser Nebenschauplatz zur Folge, dass sich am Ende einige Kreise schließen.

Andere Dialoge wirken in ihrem Entwurf jedoch allzu routiniert, selbst wenn sie witzig vorgetragen sind. Die Gehässigkeiten zwischen Thiel und Boerne oder die Verbalscharmützel im Institut für Rechtsmedizin, bei denen "Alberich" dem Professor trotz ihrer Kleinwüchsigkeit auf Augenhöhe begegnet, sind zwar spaßig, erinnern zuweilen aber auch an ein Theaterensemble, dass seit 15 Jahren in unveränderter Besetzung immer wieder die gleichen Boulevardkomödien aufführt. Das gilt auch für die Regie. Der Amerikaner Buddy Giovinazzo hat sowohl für den "Polizeiruf" ("Mit anderen Augen", 2006) wie auch für den "Tatort" ("Platt gemacht, 2009) einige sehenswerte Beiträge gedreht. Der dritte Film des Duos aus Münster, "Dreimal schwarzer Kater", war 2003 eine seiner ersten deutschen Regiearbeiten. Damals war nicht nur die Konstellation Polizist/Rechtsmediziner, sondern auch der Tonfall der Krimis ungewohnt. "Fangschuss" ist handwerklich solide inszeniert und leidlich amüsant, aber angesichts der hohen Erwartungen gerade an den "Tatort" aus Münster muss ein Film natürlich mehr bieten.

Liefers und Prahl erinnern mittlerweile ohnehin an ein altes Ehepaar. In solchen Fällen wirkt die Einführung einer neuen Figur manchmal Wunder, wie der "Tatort" aus Ludwigshafen gezeigt hat, bevor die alte und die junge Kommissarin einen völlig überflüssigen Zickenkrieg vom Zaun brechen mussten. Janina Fautz senkt nicht nur den Altersdurchschnitt des Ensembles beträchtlich, es macht auch Spaß, ihr dabei zuzuschauen, wie sie sich gegen die beiden Platzhirsche behauptet. Dass Leila versucht, den Mörder zu erpressen, ist zwar etwas an den blauen Haaren herbeigezogen, aber gerade noch plausibel. Überflüssigerweise lassen die Autoren sie aber auch ihre Handlungen im ständigen Selbstgespräch kommentieren ("Verdammt, Leila, du hast echt zu viele Filme gesehen"). Und der akustisch nur telefonisch präsente Killer klingt wie ein preiswert synchronisierter Schurke aus einem x-beliebigen Action-Trash.