Social-Media-Gottesdienst: Menschen in die Kirche holen?

Gläubige per WhatsApp kontaktieren? In der Konfirmandenarbeit ganz normal.
Foto: dpa/Ritchie B. Tongo
Gläubige per WhatsApp kontaktieren? In der Konfirmandenarbeit ganz normal.
Social-Media-Gottesdienst: Menschen in die Kirche holen?
Die Lippische Landeskirche hat am Sonntag ihren ersten Social-Media-Gottesdienst gefeiert. Pfarrer Wolfgang Loest, der den Gottesdienst vorbereitet hat, berichtet von den Reaktionen der Teilnehmer.

Dieser Text ist zuerst im Blog der Lippischen Landeskirche erschienen und wird hier mit freundlicher Genehmigung publiziert. Am Gottesdienst haben rund 50 Menschen in der Kirche und ebenso viele über die Social-Media-Kanäle teilgenommen.

Autor:in
Wolfgang Loest

Wolfgang Loest (@wtlx) ist Social-Media-Pfarrer in der Lippischen Landeskirche und Gemeindepfarrer in Detmold-Ost.

Am 12.3.17 fand in der Bad Meinberger Kirche der erste Social-Media-Gottesdienst in Lippe statt. Ein Experiment sollte es sein, und so haben wir um Feedback gebeten. Viel Positives zu Format und Musik und ein wenig Kritik an der Themenwahl bzw. an der Wahl des Bibeltextes.

Eine Rückmeldung, die mich zum Weiterdenken anregte, kam von einer Gottesdienstbesucherin im Alter einer Konfirmandenmutter. Beim Abbau der Technik kam ich öfters an ihrem Gespräch mit Gemeindepfarrer Matthias Zizelmann vorbei. Sie sagte unteranderem: "Müssen wir wirklich Gottesdienst auch in den Sozialen Medien feiern? Wir wollen doch die Menschen in die Kirche holen und nicht an die Bildschirme."

Puh, ich muss gestehen, dass ich bis jetzt vor allem daran dachte, Menschen die Möglichkeit zu geben bei einem Gottesdienst wenigstens durch ein Medium dabei zu sein, statt gar nicht. Ein paar Gedanken dazu:

Was genau ist unser Auftrag? Menschen in die Kirchen zu holen oder ihnen auf alle erdenkliche Art die frohe Botschaft der Liebe Gottes (das Evangelium) zu verkündigen? Letzteres trifft es wohl eher, auch wenn ich die soziale Komponente des körperlichen Zusammenkommens sehr wertschätze. Aus diesem Grund sind meine Gottesdienste eben nicht als One-man-Show allein vor der Kamera geplant, sondern als Erweiterung des Gottesdienstraumes ins Internet.

Gottesdienste im Stream schon mal "unverbindlich anschauen"

Die Zeit, in der Menschen aus Tradition oder "weil man das so macht" in den Gottesdienst gehen, ist vorbei. Wenn wir als Kirchengemeinden Menschen in die Kirchen (genauer: in die Gottesdienste im Kirchgebäude) holen möchten, dann müssen wir wohl etwas anders machen. Wir können entweder die überzeugten Gottesdienstgänger bitten, andere einzuladen, was bei traditionellen Sonntagsgottesdiensten in der Regel nicht gut funktioniert. Oder wir müssen neue Zielgruppen ansprechen, indem wir kleinere oder größere Änderungen an der Gottesdienstform vornehmen und damit Menschen überzeugen (nicht überreden ;-) zu kommen. (Um der guten Frau, die Grund dieses Artikel ist, kein Unrecht zu tun: Genau hier hat sie wichtige Hinweise und Ideen in das Gespräch mit dem Gemeindepfarrer eingebracht.)

Doch wie überzeugt man sie in einer Zeit in der viele nicht mal mehr ans Telefon gehen und lieber per WhatsApp kommunizieren oder dann zurückrufen, wenn sie sich bereit dafür fühlen?* Eine Möglichkeit kann das "vorher schonmal unverbindlich anschauen" sein. Auch diese Funktion haben meiner Meinung nach gestreamte Gottesdienste.

Ob sich die Menschen im Gottesdienst selbst willkommen fühlen, hängt dann wieder von vielen Faktoren ab. Die freundliche Begrüßung an der Tür (auch von unbekannten Personen und Konfis!**), die Art von Sprache und Musik, die Verständlichkeit von Ablauf und Predigt für Uneingeweihte, und eben auch die Beteiligungsmöglichkeiten. Bin ich als Gottesdienstbesucher mehr Konsument und kann ich als Nicht-Sänger nur Glaubensbekenntnis, Vater Unser und Psalm mitsprechen, oder ist mehr Interaktion möglich? In der neueren Theologie heißt es nicht mehr "das Evangelium predigen" sondern "Kommunikation des Evangeliums". Das bedeutet eine Zweiweg-Kommunikation. Wie sich die gestaltet und ob sie sich im liturgischen Ablauf eines Gottesdienstes wiederfindet, sollte jede Gemeinde selbst entscheiden – nur die Möglichkeit sollte sie irgendwo/irgendwie bieten.

Ob das Kirchengebäude oder der Livestream voll ist, ist zweitrangig

Jenseits der Beteiligung direkt im Gottesdienst kenne ich viele ältere Menschen, die nicht mehr (so gut) in die Kirche vor Ort kommen können. Sie nutzen als Behelfslösung die Fernsehgottesdienste und würden trotzdem am liebsten die Gottesdienste in "ihrer" Kirche sehen. Sprich: Manche Mensch können gar nicht in die Kirche vor Ort gehen (das gilt auch für Ex-Gemeindemitglieder, die umgezogen sind), möchten aber trotzdem bei Gottesdiensten dabei sein. Ich habe von einer interessanten Aktion gehört, bei der Konfis die Gemeinde-Gottesdienste per Tablet zu den nicht mehr mobilen Senioren der Gemeinde bringen. Sie kommen kurz vor Gottesdienstbeginn, feiern dann mit den Senioren und der Gemeinde via Livestream den Gottesdienst und manche lassen sich zu einem Kakao oder einem Stück Kuchen danach überreden. So verbinden sich neue Medien, Diakonie und Gottesdienst. Was für eine geniale Kombination!

Dann noch eine unschöne Sache: In den nächsten Jahren werden wir in der Lippischen Landeskirche (und auch in der restlichen Evangelischen Kirche in Deutschland) mit einem massiven Pfarrermangel konfrontiert werden. Ob die Gemeindemitglieder dann wesentlich weiter fahren, um einen Gottesdienst physisch mitzuerleben oder sich alternativen im Netz suchen bleibt abzuwarten. Was sie dann im Netz als spirituelle Angebote finden, reicht von gut bis gruselig. Von Sekten über andere Religionen bis hin zu konservativster christlicher Theologie ist so ziemlich alles zu finden. Deshalb sollten wir als landeskirchliche Gemeinden nicht wegen eines neuen Mediums davor zurückschrecken unseren Glauben auch dort fröhlich zu leben und die frohe Botschaft zu verbreiten. Ob nun das Kirchengebäude oder der Livestream voll ist, ist dabei für mich erstmal zweitrangig. Der Pfarrermangel wird unsere Kirche umgestalten – besser wir experimentieren frühzeitig, was geht und was nicht.

Zuletzt noch ein Funfact: Der Social Media Gottesdienst hatte Zuschauer im Stream, die weit hinter den Grenzen Bad Meinbergs und der Lippischen Landeskirche wohnen – er hat aber auch zwei Besucher in die Kirche von Bad Meinberg gelockt, die rund 60 km Anfahrt für diesen speziellen Gottesdienst auf sich genommen haben.

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Ein paar Eindrücke vom Gottesdienst gibt es hier (die gesamte Aufzeichnung des Livestreams kann leider aus lizenztechnischen Gründen nicht veröffentlicht werden):

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PS: Der nächste Gottesdienst dieser Art ist am 9. April 2017 um 11 Uhr in der Christuskirche in Detmold. Infos dazu gibt es kurz vorher auf evangelippisch.de.

PPS: Ein Erfahrungsbericht direkt zum Gottesdienst (auch mit technischen Einzelheiten) für alle, die auch mal so etwas machen möchten, kommt demnächst auf evangelippisch.de.

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*Das ist kein Phänomen das auf kirchliche Kommunikation beschränkt ist (ich behaupte eher, dass Kirche dieses Kommunikationsverhalten noch kaum wahrgenommen geschweige denn reflektiert betrachtet hat), über diese Beobachtung sprach ich letztens mit einem Autohändler.

**In manchen Gemeinden scheint es üblich zu sein bekannte Gottesdienstgänger herzlich zu begrüßen und den Konfis nur mit einem abschätzigen Blick ein Klembrett mit dem auszufüllenden Gottesdienstprotokoll in die Hand zu drücken. Aber das ist vielleicht mal einen anderen Blogeintrag wert…