„Wie das Wort Lebens-Kraft bekommt“

Gottesdienst
„Wie das Wort Lebens-Kraft bekommt“
Rundfunkgottesdienst aus der Paul-Gerhardt-Kirche in Waldkirch-Kollnau (Schwarzwald)
19.02.2017 - 10:05
Über die Sendung

Worte wirken. Oft merkt man das im Negativen: Wenn ein böses Wort oder Hassmails verletzen, wenn falsche Nachrichten Menschen in die Irre führen. Wenn Wahlen gewonnen werden mit lauten und dreisten Parolen. Die Kraft zum Guten ist unscheinbarer, aber das Worte haben auch diese Kraft: Ein Trost heilt Wunden. Wahre Worte lösen Blockaden, decken Lügen auf und machen frei. Neue Erkenntnisse lösen Verkrustungen und verändern die Welt. Worte versöhnen und stiften Frieden. Worte der Liebe machen Menschen neu lebendig. Womöglich, weil in solchen Worten ein Geist wirkt, durch den Gottes Zukunft wächst. Das Gleichnis Jesu von der Saat, die - einmal ausgesät- wie von selbst aufgeht (Markus 4,26-29) lässt diesen Gedanken aufkeimen und macht ihn stark.

 

Wie bekommen Worte gute Kraft? Diese Frage zieht sich als roter Faden durch Gottesdienst aus der Paul-Gerhardt-Kirche in Waldkirch-Kollnau. In der Lesung aus dem Jesajabuch, in den Gebeten und in der Predigt lassen Pfarrerin Therese Wagner und die Lektoren der Paul-Gerhardt-Gemeinde manchmal leise ahnen, aber auch ganz deutlich erleben wie Gutes aus dem Wort wächst. Nicht indem man sich vorlaut Gottes Wort bemächtigt, sondern in dem man zuerst zu- und hinhört. Erst zuhören, bevor man selbst das Wort nimmt. Für Christen ist so gesehen alles Reden „Antwort“: Auf das Wort, das Gott am Anfang gesprochen hat und immer wieder neu spricht. Und aus den guten Worten, so hoffen Christen, wird dann auch kluges, menschenfreundliches und gutes Handeln.

 

Wer dem Wort zuhört, bei dem nimmt es auch Gestalt an. Das gilt nicht nur für gesprochene Worte, sondern auch für die Musik. Der Trompeter Rudolf Mahni, die Organistin Andrea Schroen und die Elztalkantorei an der Paul-Gerhardt-Kirche beleben den Gottesdienst mit der Kraft der Musik.

 

Die evangelische Paul-Gerhardt-Kirche in Kollnau ist noch jung. Gerade einmal gut 50 Jahre alt. Aber in ihrer Einfachheit eine Schönheit. Und sie beherbergt etwas Besonderes: Welche Kirche kann schon von sich sagen, dass Ihre Orgel aus dem Ort selbst stammt? Die Paul-Gerhardt-Kirche kann das. Denn Kollnau ist ein Stadtteil von Waldkirch und dieses darf sich stolz und zu Recht „Zentrum des Orgelbaus“ nennen.

Sendung nachhören

Haben sie heute schon mit ihrem Kaffeevollautomaten gesprochen?

 

So ganz direkt, meine ich. Beispielsweise so: "Okay Kaffee! Mit Milchschaum! Okay" und schon duftet es nach frischgebrühten Kaffee.

"Die Sprachtechnologie ist einer der wichtigsten Technologien unseres Jahrhunderts", so lese ich es im Fachartikel.

Dass Sprache unseren Lebensalltag mitbestimmt, ist nun allerdings nicht erst eine Erfindung unserer Zeit.

Um dies festzustellen, brauchen wir nur in das 1. Jahrhundert zurückzublicken. Einer Zeit, in der Jesus nicht von der Sprachtechnologie, sondern von der Sprache Gottes, seinem Wort, erzählt.

Gottes Wort: Es verändert unser Leben und unsere Welt von Grund auf.

Jesus veranschaulicht Gottes Wort und seine Wirkung, indem er uns mit auf einen Acker nimmt und erzählt:

 

"Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn einer Samen aufs Land wirft; er schläft und steht auf, Nacht und Tag. Und der Same sprosst und wächst empor, er weiß nicht wie. Von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann das volle Korn in der Ähre. Wenn aber die Frucht es zulässt, schickt er sogleich die Sichel, denn die Ernte ist da." (Mk 4,26-29)

 

 

"Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn einer".

Liebe Gemeinde,

Wer streut den Samen - dort auf dem Feld? Wer ergreift das Wort - hier in unserem Leben?

 

Ihr juckt es schon in den Händen. Ihr liegt es schon auf der Zunge.

Sie schätzt die große Bühne. Gekonnt setzt sie das Wort an der richtigen Stelle ein. In Diskussionen steigt sie sofort voll ein. Am Ende redet sie häufig fast allein.

Sie blickt in die Gesichter der Menschen um sie herum. Einige schauen sie gespannt an, andere haben längst abgeschaltet.

Manchmal versteht sie nicht, warum nicht noch mehr Menschen im Raum zu diesem Thema etwas zu sagen haben.

 

Ein kleiner Junge. Er hat die anderen schon längst aus dem Blick verloren.

Er trägt sein Herz auf der Zunge. Stille in einem Raum mit 24 anderen Kindern erträgt er kaum. Es ist die 6. Stunde. Das Ruhesignal dringt nicht mehr durch das Stimmengewirr im Klassenraum. Ein Kind meldet sich. "Ich habe Kopfschmerzen", klagt es.

 

Auch mir dröhnt der Kopf. Seit einer Stunde sitze ich bei einem Ehepaar beim Kaffee. Immer wieder versuche ich einem der beiden aufmerksam in seinem Redefluss zu folgen, da fällt ihm der andere ins Wort. Ein neues Thema. Im Hintergrund läuft der Fernseher.

 

Wer ergreift das Wort?

Wer es ergreift, hat Macht. Rhetorisch ausgefeilt, polternd laut oder kurz und knackig – das Wort prägt unseren Raum, unsere Beziehungen, in denen wir leben. Ja, manchmal braucht es keine große Rede, sondern nur ein paar Buchstaben oder Andeutungen: Am Anfang nur ein kleine Twitter-Botschaft übers Smartphone

und schon macht die Nachricht ihre Runde.

Und auf einmal wirkt das Wort nicht mehr wie ein Samenkorn, sondern wie ein Virus. Unaufhaltsam breitet er sich aus, setzt sich in den Köpfen der Menschen fest und bringt nichts mehr hervor, außer Geschwüren, wie Hass, Angst und Neid. Unter dem absichernden Nachsatz "Man wird ja wohl noch sagen dürfen" habe ich schon die ein oder andere unverschämte und abgründige Bemerkung zu lesen und zu hören bekommen.

 

 

Liebe Gemeinde hier in der Kirche und am Radio,

"Mit dem Reich Gottes ist es, wie wenn einer".

Wie verführerisch ist es, den einen auf dem Feld mit seiner eigenen Person zu füllen.

Einfach loszulegen. Dynamisch, selbstbewusst.

Doch vor all unseren Worten setzt Gott einen Anfang.

"Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott."

Gott setzt sein Wort an den Anfang seiner Beziehung zu uns Menschen.

"Und Gott sprach…".

Durch sein Wort erschafft er den Lebensraum des Menschen, seine Wirklichkeit. So wie Schöpfungsgeschichte dies beschreibt, ist dabei für mich beispielhaft. Gott redet nicht ununterbrochen, so wie der Sämann nicht Tag und Nacht aussät. Gott spricht und Gott schaut.

Am Ende des Tages schaut er abschließend auf sein Werk.

So als würde er noch einmal darüber nachdenken:

Was habe ich da heute alles gesprochen und dient es auch wirklich dem Guten? "Und siehe, es war gut", dann beschließt er den Tag, lässt eine Nacht vergehen bis er sich dem nächsten zuwendet.

"Und es war Abend und es war Morgen, der nächste Tag".

Stück für Stück entsteht ein Raum, der Platz schafft für alles Leben in seiner ganzen Vielfalt.

 

Wie viele Menschen tun dies am Ende eines Tages, am Ende einer Woche. In Gedanken, im Gebet gehen sie noch einmal zurück:

Was ist heute alles auf mich eingedrungen, was war wertvoll, was wenig von Belang?

Wo hat der Kollege eher seinen eigenen Frust abgebaut, als wirklich mich zu meinen? Wann hätte ich lieber die Klappe halten oder tatsächlich mal den Mund aufmachen sollen? Wofür bin ich dankbar? Immer wieder höre ich in mein Leben, in die Gespräche und Begegnungen hinein, die Gott an so vielen Stellen reich macht durch sein Wort.

Doch manch einer, der versucht, hineinzuhören, fragt sich:

"Ja, wo denn bitte sehr? Wo höre ich Gottes Wort?"

Neben den Blick auf die vielleicht eigene schmerzhafte Lebensgeschichte, verunsichern mich die Schlagzeilen, die fettgedruckten Überschriften.

Ich fühle mich ohnmächtig, ja, fange an zu zweifeln: Ob die Welt, in der wir leben, überhaupt oder noch in Gottes Hand ist?

"Geschichte schreiben doch längst andere Mächte."

Ja, manch einer fordert auch: Wir brauchen wieder einen großen Mann der Geschichte. Einen Typ, der allen einmal laut und deutlich klarmacht:

"Hier geht’s lang!" Ein Mann der Tat!

Und da ist es wieder: ein Mann, eine Frau der Geschichte möge doch auferstehen und sich selber als Sämann auf Gottes Acker aufspielen.

Für Recht und Gerechtigkeit sorgen.

Solange bis die Sichel, also Gottes Urteil kommt, können wir nicht warten.

 

Gegen allen Macht- und Machbarkeitswahn seiner und unserer Zeit setzt Jesus dieses Gleichnis.

Im Gegenüber zur Frage vom Anfang: "Wer streut den Samen? Wer ergreift das Wort?" steht nämlich die Gegenfrage: Hören wir noch zu? Wirklich zu?

Und legen nicht schon im Hören die Antwort, das eigene Argument zurecht oder - fast noch schlimmer – verabschieden uns innerlich von allem?

Manchmal wünsche ich mir statt des Satzes "Darüber müssen wir noch einmal in Ruhe sprechen" den Vorschlag "da müssen wir uns noch einmal in Ruhe zuhören".

Jede Gemeinschaft lebt von Mitspracherecht jedes einzelnen, aber auch von der Bereitschaft, den anderen wirklich an- und zuzuhören.

Wie schrecklich nur noch seine eigene Stimme zu hören, im Selbstgespräch der Ich-Botschaften versunken zu sein.

Denn wie schnell vergisst dieses Ich, dass es erst durch das Du lebendig wird.

 

Wenn ich das Du des anderen nicht mehr höre, verkümmere ich.

Ich selber kann mir Wertschätzung und Liebe nicht zusprechen.

Ein anderer tut dies. Tag für Tag, vom Anfang bis zum Ende meines Lebens.

Von Anfang an und immer wieder spricht Gott mich an. "Du, du bist mein geliebtes Menschenkind". Und in dieser Anrede werde ich sein geliebtes Gegenüber.

 

Dieses Du begleitet mich. Ich höre es, wenn jemand es ehrlich mit mir meint und nicht nur sein eigenes Ich profilieren oder Vorurteile pflegen will.

"Du, da müssen wir uns noch einmal in Ruhe zuhören".

Dem anderen Gehör zu schenken, ja, davon lebt jede unserer Beziehungen – dadurch entsteht ein Lebensraum, in dem wir uns vorbehaltlos begegnen und auch unglaublich Schweres miteinander in Erinnerung rufen, tragen und teilen können.

Ende Januar eröffnete sich für mich so ein Raum in unserer Stadt in Waldkirch.

 

Auf dem Vorplatz unserer katholischen Schwesterkirche Sankt Margarethen haben wir uns versammelt: Menschen allen Alters, Menschen verschiedener Herkunft, Menschen unterschiedlicher Religionen. An diesem Abend wurde hier das Mahnmal enthüllt, das an den Holocausts von 1941/42 in Litauen erinnert. Ein Mann aus Waldkirch, unserer Stadt hier, hat damals die Massaker an 138272 litauischen Juden und anderen Opfer angeordnet.

Mein Blick richtet sich wieder und wieder auf die fünf Basaltsteine.

Als Mahnmal ragen die Steine vor uns in den Himmel.

"Ja", denke ich, "es schreit zum Himmel, immer noch – all die Opfer".

Die fünf Steine erinnern uns an das fünfte Gebot "Du sollst nicht töten".

"Du sollst nicht töten - das alles waren meine geliebten Menschenkinder",

höre ich Gott sagen. Alle gleich wert, gleich lieb, gleich geachtet - unabhängig welcher Religion oder Herkunft.

Gott trauert mit uns an diesem Ort und an allen Orten, wo diesem Wort kein Gehör mehr geschenkt wird.

Uns allen gilt dieses Wort vom Anfang: "Gott spricht: Du bist mein geliebtes Menschenkind." Vergessen wir das nicht, wenn wir dem anderen begegnen: Hier begegnet mir ein Mensch, ein Mensch, von Gott geliebt.

Später am Abend werden viele Menschen dann auch von der Musik berührt. Eine Frau singt alte jüdische Lieder, einige von ihnen sind damals im Ghetto entstanden und gesungen worden. "Gott wird bleiben", so heißt eines. So singt sie. Gott bleibt und mit ihm sein Wort: "Du bist mein geliebtes Menschenkind." Auf dieses Wort gebe ich Antwort, ja trage Ver-antwortung. Gott legt sein Wort in unser Herz und unseren Mund. Wir öffnen Herz und Mund, gerade dort, wo wieder Menschen anfangen, nur nach Herkunft, Religion oder Geschlecht zu urteilen.

In aller Vielfalt sind wir zuerst Menschenkinder, von Gott vorbehaltlos geliebt.