"Selbst denken!"

Foto: Patrick Desbrosses
Reformationsbotschafter Christopher Posch.
"Selbst denken!"
Anwalt und RTL-Moderator Christopher Posch über die Bedeutung der Reformation
Die evangelische Kirche feiert 500 Jahre Reformation – und der Anwalt und RTL-Moderator Christopher Posch feiert mit. Weil er Menschen schätzt, die wie Martin Luther Haltung zeigen, die sich und die Welt hinterfragen.

Herr Posch, die evangelische Kirche feiert 500 Jahre Reformation. Warum feiern sie mit?

Christopher Posch: Vor 500 Jahren hat Martin Luther eine Lawine losgetreten, indem er die Kirche seiner Zeit hinterfragt hat. Das hat zu dramatischen gesellschaftlichen Umbrüchen geführt. So riesengroße Sprünge sind heute nicht mehr nötig. Aber es bleibt wichtig, dass wir die Welt hinterfragen! Wie oft wird uns erklärt: "So war das schon immer, so müssen wir das lassen, daran darf sich nichts ändern!" Das ist nicht gut. Wenn man im Kleinen nicht anfängt mit dem Hinterfragen, dann werden die Probleme regelmäßig wesentlich größer. Wenn ich Nachrichten sehe, denke ich oft: An dieser Stelle würde Reformation gut tun. Dann würde ich den Menschen am liebsten das Brett vorm Kopf wegnehmen, ihnen sagen: Lasst euch doch nicht immer das vorsetzen, was euch die da oben, rechts oder links einflüstern, sondern traut euch, selbst zu denken. So wie Luther das getan hat.

Sie setzen sich vor der Kamera und vor Gericht für Menschen ein. Steckt da ein Luther in Ihnen?

Posch: Soweit würde ich nicht gehen. Aber ich mag es, mich zu reiben, Dinge zu hinterfragen und für Überzeugungen zu kämpfen. Das gehört zu meiner Arbeit als Rechtsanwalt und Strafverteidiger. Ich kann aber auch andere Meinungen stehen lassen – und lasse mich gern überzeugen. So wie ich es schätze, wenn Menschen sich selbst hinterfragen. Als Strafverteidiger erlebe ich stattdessen oft, wie mit dem Finger auf andere gezeigt wird. Vor Gericht würde es dem einen oder anderen manchmal gut tun, sich selbst zu hinterfragen: Kann mir das auch passieren? Wenn ja, wie würde ich dann reagieren? Wie würde ich erwarten, dass mit mir umgegangen wird? Dann würden wir oftmals gnädiger zueinander sein, würden einander eher vergeben.

"Es ist nicht die Regel, dass man denjenigen verteidigen darf vor Gericht, an dessen Seite man stehen möchte."

Vielen Menschen fällt es schwer, sich zu hinterfragen.

Posch: Das ist auch nicht leicht. Aber auch das ist für mich Reformation. Ich frage mich oft: Mache ich das richtig, was ich da gerade tue? Bin ich jetzt gerade fair mit jemandem umgegangen? Ich finde es gut, wenn Menschen erst einmal vor der eigenen Haustüre kehren, sich selber überprüfen, bevor sie mit dem Finger auf andere zeigen.

Auch Martin Luther stand vor Gericht: Beim Reichstag zu Worms war er des Hochverrats angeklagt. Hätte es Sie gereizt, ihn zu verteidigen?

Posch: Aber klar. Das ist doch das Salz in der Suppe jedes Verteidigers, diejenigen zu verteidigen, mit denen man sich identifizieren kann, an deren Seite man sich stellen möchte. Aber das ist nicht die Regel. Ich werde oft gefragt, wie ich jemanden verteidigen kann, von dem ich weiß, dass er etwas Verbotenes getan hat. Ich antworte mit einer Gegenfrage: Stell dir vor, dir passiert etwas. Wärst du dann nicht froh, die Nummer von jemandem zu haben, der dir bedingungslos zuhört und der nur dafür zuständig ist, dass deine Rechte gewahrt bleiben? Jeder Mensch hat das Recht auf eine optimale Verteidigung. Deshalb bin ich Anwalt geworden.

Sie sind auch evangelisch, sogar gern evangelisch. Warum?

Posch: Zunächst einmal habe ich viel Glück gehabt: Glück, dass ich in einem Elternhaus aufgewachsen bin, die mich evangelisch erzogen hat. Glück, dass ich als Jugendlicher in meiner Gemeinde auf einen Pfarrer gestoßen bin, der mich mit seinen Predigten erreicht hat. Sie hatten immer aktuelle Bezüge und brachten mich auf neue Gedanken. Ich habe immer etwas aus dem Gottesdienst mitgenommen! Rückblickend ist das eine wichtige Erfahrung. Ich glaube an Gott – und ich mag die evangelische Kirche, weil sie Pfarrerinnen und Pfarrer hat, die unglaublich schöne Predigten halten.

Was verbindet Sie außerdem mit der evangelischen Kirche?

Posch: Sie ist bereit, sich immer wieder zu verändern. Das entspricht mir, hat etwas mit meinem Beruf zu tun, mit meiner Haltung Menschen gegenüber. Ich schätze es, wenn Menschen offen sind und bereit, andere Religionen, überhaupt andere Menschen, ihr Anders-Sein zu akzeptieren. Ich mag es nicht, wenn man Menschen erst einmal fragt: Woher kommst du? Was bist du? Was kannst du? Vielmehr sollten sie zunächst einmal mit offenen Armen empfangen werden. Das repräsentiert die evangelische Kirche für mich am ehesten.

Wer ist Gott für Sie?

Posch: Der, der immer bei mir ist. Der da ist, wenn man ihn braucht – egal in welcher Situation. Der mich nie verrät, der immer zu mir steht. Diesen Glauben kann mir niemand nehmen. Und den lasse mir auch von niemandem verbieten. Jeder Mensch braucht so ein Fundament. Das wird für mich immer dann wichtig, wenn ich für mich bin und ins Nachdenken komme. Wenn es zum Beispiel um die Krankheit eines nahen Menschen geht, um den Tod, um ernste persönliche Situationen. Dann möchte ich mich irgendwo hinwenden und bete zu Gott.

"Luther wäre eine glaubhafte, weil unabhängige Instanz"

Hilft Gott Ihnen dann?

Posch: Das ist schwierig zu sagen. Hilft Gott einem in dem Moment? Ich denke schon. Beim Beten kann ich natürlich nicht jedes Problem lösen. Wenn sich die Arbeit auf dem Schreibtisch türmt, muss ich da durch. Aber ich kann meine Gedanken im Gebet sortieren. Ich habe oft das Gefühl, dass mich das Gebet irgendwie reinigt, ja! Und oftmals lerne ich auch etwas dabei: Ja, in dieser Richtung kann es weitergehen.

Luther hat viele Sprüche hinterlassen: Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Wenn du ein Kind siehst, hast du Gott auf frischer Tat ertappt. Aus einem verzagten Arsch kommt kein fröhlicher Furz. Welchen finden Sie gut?

Posch: Mein Favorit ist die Nummer eins. Ich schätze Menschen, die Haltung zeigen und vertreten – bis sie vielleicht vom Gegenteil überzeugt werden.

Nehmen wir an, Luther würde heute eine Sendung bei RTL machen. Welche wäre das?

Posch: Luther müsste seine Talente in einer One-Man-Show ausspielen. Er könnte die Menschen im übertragenen Sinne aufklären. Wie viele Menschen gibt es heute, die Dinge unhinterfragt übernehmen? Wir haben neue Parteien, die versuchen, den Menschen Flöhe ins Ohr zu setzen und immer nach den einfachen Lösungen suchen. Wir haben so viele Verschwörungstheoretiker … Luther wäre eine glaubhafte, weil unabhängige Instanz, die dem aus tiefster Überzeugung entgegenwirkt. Er würde wohl auch versuchen, uns den Wert der Freiheit nahezubringen.

Haben wir den aus den Augen verloren?

Posch: Ich fürchte ja. Wir kennen es in Deutschland nicht anders, als frei zu sein. Wir sind – anders als Luther damals und viele andere Menschen heute – unter keinem Regime aufgewachsen, das uns verbietet zu sagen, was wir wollen, und zu glauben, woran wir wollen. Wir müssen heute aufpassen, dass diese Freiheiten aus Angst vor Überfremdung nicht eingeschränkt werden. Freiheit ist das höchste Gut. Für unsere Freiheit heute sind Kriege geführt worden und Menschen gestorben. Für Freiheit lohnt es sich auch heute einzutreten. Auch daran erinnert die Reformation.

Das Interview mit Christopher Posch, Rechtsanwalt und Reformationsbotschafter, als Video