TV-Tipp: "Tatort: Schock" (ARD)

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TV-Tipp: "Tatort: Schock" (ARD)
22.1., ARD, 20.15 Uhr: "Tatort: Schock"
Anders als die sehr wechselhaften Zulieferungen aus der Schweiz ist der "Tatort" aus Österreich schon seit vielen Jahren eine zuverlässige Marke: Das Gespann Harald Krassnitzer und Adele Neuhauser harmoniert prächtig, die Geschichten sind meist ungewöhnlich, die handwerkliche Umsetzung – ein weiteres Manko der Krimis aus Luzern – ist stets von hoher Qualität. Das gilt auch für "Schock", zumal die Basis der Handlung vom üblichen Schema abweicht, denn Moritz Eisner und Bibi Fellner müssen kein Verbrechen aufklären, sondern eins verhindern.

Der zukünftige Mörder hat die Ankündigung seiner Tat über alle möglichen sozialen Netzwerke verbreitet: Er will erst seine Eltern töten und dann sich selbst. Im LKA Wien wird umgehend ein Krisenstab gegründet, aber weil der junge Mann seine Internetspuren geschickt verwischt hat, stochert die Behörde im digitalen Nebel; kein Wunder, dass die Stimmung gereizt ist. Gerade Eisner, ohnehin keine Frohnatur, fährt unter dem enormen Druck immer wieder aus der Haut, zumal zum Krisenstab auch ein Intimfeind vom Verfassungsschutz gehört; die entsprechenden Dialoge sind ein großes Vergnügen. Der Oberstleutnant ist eklig wie nie, aber es ist ein Genuss, Krassnitzer zuzuschauen.

Ansonsten aber ist "Schock" Spannung pur; dafür sorgt schon allein die interessante und packende elektronische Musik (Stefan Bernheimer). Außerdem treibt der potenzielle Täter, ein Medizinstudent namens David (Aaron Karl), ein perfides Spiel mit den Ermittlern, indem er immer wieder neue Nachrichten veröffentlicht. Ein vermeintlicher Fehler entpuppt sich zudem als fiese Falle: Die Spur führt scheinbar zum Server der Universität, aber als Eisner, Fellner und mit ihnen eine Sondereinheit dort auftauchen, werden sie prompt dem Spott preisgegeben: weil David dafür gesorgt hat, dass der Fehlschlag live im Netz übertragen wird.

Der junge Mann ist ohnehin eine hochinteressante Figur. Sein Vater ist eine international anerkannte Mathematik-Koryphäe, und damit ist "Schock" bei seinem Subthema: Wie sich nach und nach rausstellt, will David mit seinem Fanal auf den unerhörten Leistungsdruck hinweisen, unter dem seine Generation steht. Seine Leitfigur ist die Konfliktforscherin Sarah Adler (Mercedes Echerer), die in Schriften und Vorträgen regelmäßig vergeblich vor dem Spannungsverhältnis hinweist, in dem sich die "Generation Y" befindet: zwischen maximalem Wettbewerb auf der einen und minimalen Perspektiven auf der anderen Seite. Wie nahezu immer, wenn ein Sonntagskrimi mit einem bestimmten Anliegen verknüpft ist, wird der Film in diesen Passagen mitunter etwas didaktisch. Andererseits ist es keine schlechte Idee, die Informationsbasis der Geschichte als geschickt integriertes Seminar zu verpacken, in dessen Rahmen Adler nach den Ursachen für die diversen Schul- und Universitäts-Amokläufe der letzten Jahre sucht. Als David in einer seiner Nachrichten auf Adler verweist, findet sich die Wissenschaftlerin umgehend im Vernehmungsraum der Polizei wieder, wo sie auf eine alte Widersacherin aus Unizeiten trifft. Mit einer etwas charismatischeren Besetzung dieser Rolle (Ulrike Beimpold) hätten diese Szenen noch mehr Zündstoff bekommen. Da sind die Auseinandersetzungen zwischen Eisner und dem verhassten Kollegen vom Verfassungsschutz (Dominik Warta) von ganz anderem Kaliber, zumal der Mann auch überraschend sympathische Seiten offenbart, als Eisner die Innenministerin beleidigt, prompt suspendiert wird und außerdem noch mit ansehen muss, dass ausgerechnet Schubert die Leitung des Krisenstabes übertragen wird. Diese Szenen sorgen für einen grimmigen Humor, der sich bestens ins atmosphärisch ausgesprochen kühle Gesamtbild fügt; Autor und Regisseur Rupert Henning gehört unter anderem zu den Schöpfern der ORF-Kultserie "Vier Frauen und ein Todesfall".

Erschütternder Schluss

Endgültig persönlich wird der Fall, als sich rausstellt, dass der Freund von Eisners Tochter Claudia (Tanja Raunig) mit in der Sache drinsteckt: Der von Eisner stets diskriminierte und zudem Kermit genannte Kerem (Mehmet Sözer) gehört zu einer Organisation radikaler Aktivisten, die David unterstützen. Während die Motive der Gruppe etwas im Unklaren bleiben, werden die Gründe von David mittels einer Rückblende umso ausführlicher dargelegt. Dies ist die einzige echte Schwächephase des Films, weil die Eltern pure Klischeefiguren sind, die der Sohn allein mit herausragenden Abschlussnoten beeindrucken kann. Und damit das auch alle verstehen, muss Claudia Eisner ihrem Vater in einem engagierten Vortrag beschreiben, wie es sich anfühlt, permanent Höchstleistungen bringen zu müssen und am Ende trotz guter Noten keine garantierte Perspektive zu haben. Angesichts dieser düsteren Gemengelage ist klar, dass dieser hochaktuelle Kommentar zu westlichen Wettbewerbsgesellschaften, die mehr Verlierer als Gewinner produzieren, kein gutes Ende nehmen kann. Trotzdem ist der Schluss erschütternd.