Luther-Film von 1927: Diskutieren, nicht konsumieren

Stephan Graf von Bothmer begleitet den Luther-Stummfilm musikalisch.
Foto: Maria Camilan/Stiftung Deutsche Kinemathek
Stephan Graf von Bothmer begleitet den Luther-Stummfilm musikalisch.
Luther-Film von 1927: Diskutieren, nicht konsumieren
Man kann es wohl zu Beginn des Reformationsjubiläumsjahres als eine kleine ekklesio-cineastische Sensation bezeichnen. Luther, der Hans Kyser-Stummfilm von 1927, ist nach mühsamster Rekonstruktionsarbeit aus den Tiefen des Bundesarchivs-Filmarchiv wieder auferstanden und wird wieder aufgeführt.

Der Stummfilm von 1927 wird in einer fast originalen zweistündigen Premierenfassung gezeigt, die seinerzeit nach katholisch-bayrischen Protesten gut 40 Mal verändert und gekürzt worden. Anfang der 30er Jahre zu Beginn des Tonfilm-Zeitalters geriet das Genre dann fast ganz in Vergessenheit. Nun aber, 500 Jahre nach dem legendären Thesenanschlag, wurde am Samstagabend der 90 Jahre alte Luther-Stummfilm in Berlin wieder aufgeführt und geht nun auf Tournee.

Der Komponist und Stummfilm-Musiker Stephan Graf von Bothmer war von dem alten Streifen so begeistert, dass er ihn in sein Programm aufgenommen hat: "Es ist ein wunderbarer Beginn des Luther-Jahres, weil es eben dieses historische Dokument ist, die Sicht auf Luther von 1927. Es gibt einen Kritiker der Premiere damals, der hat es eine religiöse Revue genannt", schwärmt von Bothmer über den Luther-Film von Hans Kyser, den er nun live am Klavier begleitet.

Erste Szene des Films: Magister Martin Luther befreit die Schüler in Eisleben aus den Fängen des strengen und den Rohrstock schwingenden Latein-Lehrers. In einer späteren Szene zecht er mit seinen Kommilitonen, so war das Erfurter Studentenleben. Erst allmählich entwickelt sich der sympathische Held zum großen Reformator. Das aber stieß vor 90 Jahren nicht nur auf Begeisterung. Das bayrische Innenministerium forderte Zensur, da der Film geeignet wäre, den konfessionellen Frieden zu stören und damit auch die öffentliche Ordnung zu gefährden.

Erst nach vielen Kürzungen konnte der Film im Februar 1928 uraufgeführt werden. Nächste Szenen: Luther schwört im berühmten Gewitter bei Stotternheim in ein Kloster zu gehen, verfällt in tiefe Glaubensdepressionen und reist als Pilger nach Rom. Kaum in der ewigen Stadt angekommen, werden dem Augustiner-Eremiten-Mönch Martinus die Augen geöffnet über den Zustand der heiligen katholischen Kirche: Auf der großen Treppe in Rom rutschen die Wallfahrer auf Knien die Stufen hinauf. Dann aber drängen päpstliche Soldaten sie zur Seite. Es ergießt sich eine Flut von Würdenträgern, Nonnen, Mönchen nebst jungfräulichen Blumenmädchen die Treppe herab. Zuletzt erscheint der Papst auf einem Thron mit Pfauenfedern.

"Das ist rhetorisch eine Glanzleistung, so antikatholisch die Propaganda auch ist, aber visuell ist es toll", sagt Karsten Visarius, Leiter des Filmkulturellen Zentrums im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik in Frankfurt. Für ihn ist der Film ein Highlight des Stummfilms. Eine Szene mit großem Statisten-Aufwand, die auch an die berühmte Treppe von Odessa aus Sergej Eisensteins "Panzerkreuzer Potemkin" erinnert. Dann geht es dramatisch weiter: Luthers 95 Thesen verbreiten sich in Windeseile im Land. Film-Zwischentext: Dem römischen Gänsekiel werde Luther schon die deutsche Adlerfeder entgegenhalten!

Luther selbst hätte diesen Epos wohl nicht gemocht

"Das ist ja sehr deutsch-national und zentriert auf einen nationalen Rahmen. Es kommen die Heroen der deutschen Geschichte vor, Hutten, Dürer, Hans Sachs und so weiter, also alle diese Heroen, die in irgendeiner Beziehung zu Luther zu bringen sind", analysiert Visarius.

Große Posen, großes Kino. Der Reformator zieht zum Ende des Films von der Wartburg kommend sogar eine hellglänzende Ritterrüstung an, um die religiösen Eiferer um Andreas Rudolf Bodenstein, genannt Karlstadt, von Kirchenplünderungen und Bilderstürmerei abzuhalten. Dabei hätte Luther selbst wahrscheinlich gar keinen Gefallen an diesem Luther-Epos gefunden, meint der evangelische Filmbeauftragte Karsten Visarius: "Der Film betreibt diese Ikonisierung der kirchengeschichtlichen Figuren. Er verklärt die Hauptfigur zu einem Helden und Heiligen. Luther hätte es so nicht gemocht, weil er diese Art der Verehrung abgelehnt hat."

Insofern müsse man den Stummfilm eben als ein protestantisch-nationalkonservatives Zeitdokument der Weimarer Republik betrachten. Die Theologie und Kirche von heute würde anders als damals Luther viel mehr im europäischen Kontext verstehen. Daher tauge bei aller Mühe um die Wiederherstellung des alten Materials der Luther-Film auch nicht für den heutigen Religionsunterricht, meint der Kulturbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Johann Hinrich Claussen. Die Crux ist nur, dass im Grunde aber alle Luther-Bilder der letzten fünf Jahrhunderte Konstruktionen der jeweiligen Epoche seien, ob nun Luther als wittenbergische Nachtigall, als eislebischer christlicher Ritter oder eben als die mächtige Eiche deutschen Stammes. Dadurch befinde sich die Theologie in einer gewissen historischen Falle. Denn ohne die Bildkonstruktionen der letzten 500 Jahre würde es die evangelischen Kirchen heute so auch nicht geben.

"Das ist die große Paradoxie des Protestantismus. Wir wollen nur das Wort gelten lassen, aber Luther war ja der meist gemalte, gezeichnete Mensch überhaupt in seiner ganzen Epoche. Also Luther war sozusagen als Bildikone total präsent. Ohne die Bilder hätte der Protestantismus nicht so stark werden können", weiß Johann Hinrich Claussen.

Was nun also machen mit dem neu entdeckten alten Luther-Stummfilm? Der evangelische Kulturbeauftragte rät zu aufgeklärter Gelassenheit: "Das ist für uns heute wichtig, dass wir Luther differenziert betrachten, keine einfache Heldenverehrung, aber auch keine Totalverdammung. Man darf sich den Film anschauen, nur muss man danach die Bilder wieder aus den Kopf kriegen, das diskutieren und nicht einfach konsumieren."