TV-Tipp: "Wacht am Rhein" (ARD)

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TV-Tipp: "Wacht am Rhein" (ARD)
15.1., ARD, 20.15 Uhr: "Wacht am Rhein"
Vor knapp einem Jahr hat Sebastian Ko mit seiner zweiten Regiearbeit, dem Kölner Krimi "Bonnie & Clyde"-Krimi "Kartenhaus", ein bemerkenswertes Talent beweisen. Kein Wunder, dass ihm der WDR gleich einen weiteren "Tatort" anvertraut hat. "Wacht am Rhein" ist mit dem nahezu gleichen Team entstanden, das Drehbuch stammt erneut von Jürgen Werner, der hier eine gerade wegen ihrer Realitätsnähe höchst beklemmende Geschichte erzählt.

Die Handlung knüpft an die Ereignisse der berüchtigten Kölner Silvesternacht an. Seither, heißt es gern, sei alles anders. Mit seinem Krimi von einem völlig sinnlosen Mord und einem weiteren nicht minder tragischen Todesfall beschreibt Werner, zu welchen Früchten des Zorns die Saat der Gewalt führen kann: In einem Kölner Viertel haben einige Einwohner die Bürgerwehr "Wacht am Rhein" gegründet. Vor allem die Ladenbesitzer fürchten um ihre Geschäfte. Eines Nachts werden die Mitglieder bei ihrer Patrouille Zeugen eines tödlichen Zwischenfalls: Ein junger Mann überfällt eine Zoohandlung. Als das Licht ausgeht, fallen Schüsse; eine der Kugeln trifft den zu Hilfe geeilten Sohn des Inhabers. Der Täter ist offenbar ein junger Mann nordafrikanischer Herkunft. Auf der Suche nach dem Marokkaner werden die Kommissare Ballauf und Schenk (Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär) mit einer Parallelwelt konfrontiert, in der die üblichen Polizeimethoden versagen. Die Leute aus der Bürgerwehr haben ihren Glauben an die Durchsetzungsfähigkeit der Ordnungshüter ohnehin längst verloren, weshalb ausgerechnet Lebensmittelhändler Faras (Asad Schwarz), ebenfalls gebürtiger Marokkaner, die Selbstjustiz vorzieht. Als er noch in der Tatnacht einen Araber (Omar El-Saeidi) sieht, der den gleichen Kapuzenpulli trägt wie der Täter, entführt er ihn kurzerhand und sperrt ihn im Keller ein. Da der Mann unbewaffnet ist, will er ihn mit Foltermethoden dazu zwingen, die Tat zu gestehen und das Versteck der Pistole zu verraten, denn ohne die Tatwaffe müsste die Polizei den Mann gleich wieder laufen lassen. Dass Baz Barek, ein in Tunesien geborener Student mit deutschem Pass, seine Unschuld beteuert, beeindruckt Faras nicht weiter. 

Der bis dahin vermutlich völlig unbescholtene Ladenbesitzer ist vielleicht die erschreckendste Figur des Films, denn er repräsentiert all jene braven Bürger, die sich aufwiegeln lassen; am Ende ist er selbst am meisten schockiert über die Bestie, die in ihm schlummert und von deren Existenz er bis dahin nichts ahnte. Dass Faras selbst nordafrikanische Wurzeln hat, ist mehr als bloß ein ironischer Einfall des Autors: Er ist wütend, weil die jungen Männer aus den Maghrebstaaten seiner Ansicht nach kaputtgemacht haben, was Leute wie er jahrzehntelang aufgebaut haben. Im Vergleich zu Faras hat Jürgen Werner den Wortführer der Bürgerwehr fast erwartbar gestaltet: Dieter Gottschalk (Sylvester Groth) ist ein typischer Brandstifter in der Verkleidung eines Biedermanns, der seine Mitbürger mit demagogischen Reden dazu anzustachelt, sich endlich zu wehren. Prompt wird das Viertel zum Pulverfass.

Anders als in vielen früheren "Tatort"-Episoden aus Köln verlieren die Verantwortlichen in "Wacht am Rhein" jedoch nie die Krimiebene aus den Augen. Natürlich ist das Anliegen der Macher offenkundig, zumal die Kommissare aus ihrer Abneigung gegen Gottschalk keinen Hehl machen, aber niemand muss aufstehen und einen entsprechenden Appell formulieren; die Botschaft kommt auch so an. Außerdem hat sich Werner davor gehütet, die Dinge zu beschönigen. Anders als im letzten "Tatort" aus Frankfurt ("Land in dieser Zeit"), der eine allzu schlichte Schwarzweißmalerei betrieb, nimmt er die Sorgen vieler Menschen, die sich angesichts bedrohlich wirkender junger Männer aus einem fremden Kulturkreis nicht mehr auf die Straße trauen, ernst. Auch für diese Gruppe hat er eine passende Figur gestaltet: Die alleinerziehende Nina Schmitz (Nadja Bobyleva) ist ebenfalls Mitglied der Bürgerwehr. Sie gerät eher zufällig in den Schlamassel, den Faras in seinem Keller angerichtet hat, lässt sich aber von seinem heiligen Zorn anstecken. Auch die Araber aus dem Maghreb kommen nicht gut weg, und das keineswegs bloß, weil der junge Khalid (Samy Abdel Fattah) schließlich den Überfall gesteht; aber den Mord hat er nicht begangen. Die sogenannten Gutmenschen sind ebenfalls vertreten: Eine wohlmeinende Nachbarin (Karoline Bär), in deren Webfirma Khalid ein Praktikum gemacht hat, will den Jungen schützen und macht dadurch alles noch schlimmer.

Musik ist ausgezeichnet

Kos Inszenierung sorgt gerade auch dank der agilen Kameraarbeit (Kay Gauditz) für eine hohe Intensität; auch die Musik (Olaf Didolff) ist ausgezeichnet. Klaus Doldinger, Komponist der Titelmelodie, hat einen kleinen Auftritt als Straßenmusiker, der noch eleganter in die Handlung integriert wäre, wenn Freddy Schenk das nicht auch noch kommentieren müsste ("Sach mal, war das nicht…?!"). Angesichts des ernsten Kontextes ebenfalls ein bisschen unpassend, aber sehr amüsant ist eine Szene gegen Ende, als die beiden Ermittler den Tathergang rekonstruieren und wunderbar wortlos miteinander kommunizieren.