Nonne, Engel, Mohammed: Wie religiöse Kostüme provozieren

Mann und Frau feiern als Nonnen verkleidet Karneval (Archiv).
Foto: imago/Müller-Stauffenberg
Ordenstracht und Bibel in der Hand, fertig ist die Verkleidung als Nonne.
Nonne, Engel, Mohammed: Wie religiöse Kostüme provozieren
Verkleidungen an Karneval können Ausdruck von Kritik oder Belustigung sein. Für Pfarrer Detlev Prößdorf aus Leverkusen ist das die normalste Sache auf der Welt. Engel, Mönche und Nonnen begegnen einem in der Karnevalszeit zuhauf. Warum man sich aber lieber nicht als Prophet Mohammed verkleidet, erklärt Tuba Işık, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Islamische Theologie in Paderborn.

Karneval ist für Pfarrer Detlev Prößdorf aus Leverkusen das Fest der Narren: "Dort werden die Verhältnisse temporär auf den Kopf gestellt und es gibt tolerierte Herrschaftskritik." Verkleidungen an Karneval sind für ihn nicht selten eine Karikatur dessen, was dargestellt wird. "Je klarer die Konturen einer Figur sind, desto klarer kann ich sie karikieren", meint Prößdorf. Deswegen sei zum Beispiel die Verkleidung als Jesus mangels Eindeutigkeit schwierig. "Im Vergleich zu anderen Kostümen, die ich als eindeutig empfinde - meinetwegen Darth Vader, Yoda oder anderen Figuren aus der Popkultur - gibt es von Jesus sehr unterschiedliche Darstellungen."

Auch der Prophet Mohammed, der im muslimischen Glauben eine zentrale Rolle spielt, sei in einer Karnevalsverkleidung eher schwierig darzustellen, schreibt Tuba Işık, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für islamische Theologie an der Universität Paderborn, in ihrem Artikel "Karneval aus islamischer Perspektive. Über Verkleidungen als 'Prophet' und Bilderverbote" (erscheint im April 2017). Wähle man etwa die Verkleidung als friedfertiger Prophet "mit Birkenstock-Sandalen, knöchellangem weißen Gewand, Vollbart und einer handgehäkelten kleinen Mütze", so würde man "im besten Fall als ein 08/15-Araber und im schlimmsten Fall als ein Salafist wahrgenommen" werden. Die Nachahmung des Bildes eines "kriegerischen Propheten" schlägt Işık "mit Camouflage-Militärjacke sowie englischem Kurzschwert oder einer Kalaschnikow-Imitation" vor - der Vollbart dürfe dabei auch nicht fehlen. Allerdings würde ein Besuch bei der Polizei dann obligatorisch, schreibt Işık. Die Verwirrung könne nur durch das Tragen eines Schildes mit der Aufschrift "Ich bin der Prophet Mohammed" umgangen werden.

Unterschiedliche Toleranzgrenzen

Verkleidungen als Engel mit Flügelchen und weißem Gewand seien da viel eindeutiger, ebenso eine Verkleidung als Nonne oder Mönch. Außerdem, so Pfarrer Detlev Prößdorf, sei damit ja immer eine ganze Gruppe gemeint und nicht nur eine Einzelperson. Und Tuba Işık sagt, wenn dann auch die Würde eines anderen nicht mehr geachtet werde, verliere die Kritik oder Satire schnell den Geschmack. Zwar sieht auch sie den Karneval als eine "Zeit des Ausnahmezustandes, in der man sich etwas erlauben kann, das über die Grenzen des 'Normalen' hinausgeht", Işık selbst sei aber eher zurückhaltend, was das Überschreiten von Grenzen anderer angehe. "Es gibt eben sehr unterschiedliche Toleranzgrenzen", sagt sie. Das gelte nicht nur für die persönliche Ebene, sondern auch für den Dialog zwischen den Religionen.

Und beim Propheten Mohammed gelange eben auch die Satire an ihre Grenze. "Alle Propheten - nicht nur Muhammad - besitzen besondere tugendhafte Eigenschaften und haben eine Vorbild-Funktion. Und über Vorbilder macht man sich einfach nicht lustig, das schließt auch eine respektvolle Haltung zu den Propheten ein", sagt Işık. Ihrer Einschätzung nach könnten Muslime allerdings sehr wohl über typische Eigenschaften lachen, die den Gefährten des Propheten nachgesagt werden. Auch wenn sie kritisiert, dass Muslime den Propheten bis zu einem Heiligen erheben, was theologisch kaum haltbar sei, werde er nie zum Gegenstand von Satire, Witz oder Belustigung gemacht. In ihrem Beitrag endet sie dennoch mit der Frage: "Welchen wirklich lustigen Grund kann es geben, etwas ins Lächerliche zu ziehen, das anderen viel bedeutet oder gar heilig ist?"

Gerade bei der Betrachtung der Religionen müsse kritisch angesprochen werden dürfen, was man als merkwürdig, hinterfragbar oder komisch empfindet, sagt Prößdorf. Und je mehr diese Kritik zutreffe, desto mehr schmerze sie den Kritisierten. Wer sich dabei über andere lustig macht, müsse jedoch auch die Kritik und den Spott der anderen aushalten. "In Deutschland können wir erst richtig auf Augenhöhe kommunizieren, wenn wir fähig sind, einander richtig zu verarschen", zitiert Prößdorf dazu den Kabarettisten Jürgen Becker von seiner Tour "Baustelle Deutschland" aus dem Jahr 2012.

"Es ist nicht so, dass der Islam nicht kritisiert werden darf", sagt Işık. Aber zumindest in Deutschland sei das sehr spannungsreich. "Insgesamt wird die Identitätspolitik der Muslime in Europa sehr negativ geführt. Um Kritik zu ertragen, braucht es ein starkes Selbstbewusstsein. Aber dadurch, dass Muslime immer wieder wegen ihres Glaubens degradiert werden, sich wegen ihres Glaubens ständig rechtfertigen müssen, haben sie ein solch schwaches Selbstwertgefühl, dass sie jegliche Belustigung als Abwertung empfinden", erklärt sie. Da Muslime eine religiöse Minderheit darstellen, gebe es ein Ungleichgewicht im Dialog untereinander. Eine "Verarschung" des Propheten werde deshalb als Machtausdruck einer religiösen Mehrheit - der Christen - gegenüber einer Minderheit - die Muslime - empfunden. Gegenseitige Kritik, auch an Karneval, könne deshalb erst funktionieren, wenn die Muslime in Deutschland so weit sind, dass sie sich wirklich als Teil der Gesellschaft verstehen und von der Mehrheitsgesellschaft als solcher wahrgenommen werden.