"Gott, hilf mir!"

Trauergottesdienst in der Berliner Gedächtniskirche
Foto: dpa/Michael Kappeler
Hand in Hand im Trauergottesdienst zum Gedenken an die Opfer des Anschlags: Synodenpräses Sigrun Neuwerth (von links), Erzbischof Heiner Koch, Imam Kadir Sanci, Bischof Markus Dröge und Pfarrer Martin Germer.
"Gott, hilf mir!"
Viele Menschen strömen auf die Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zu. Viele haben Blumen in der Hand, legen sie nieder. Die Gesichter sehen traurig aus, betroffen. Die Luft ist kalt. Die Atmosphäre angespannt, viele bewaffnete Polizisten halten Wache. Nach dem Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt mit zwölf Toten haben die Kirchen zum ökumenischen Gedenkgottesdienst eingeladen. "Eine Wunde in der Stadt", sind die Worte, die als Überschrift auf den Gottesdienst-Programmblättern stehen.

In unmittelbarer Nähe des Tatortes am Breitscheidplatz in Berlin findet am Dienstagabend der Gottesdienst im Gedenken an die Opfer und ihre Angehörigen statt. Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ist bis auf den letzten Platz besetzt, viele Menschen stehen auch hinten in der Kirche – und noch viel mehr Menschen draußen vor den Türen. Sie sind an den Polizeikontrollen nicht mehr vorbei gekommen. "Die Kirche ist voll", teilen die Beamten freundlich mit. "Wir warten noch auf Frau Merkel und den Bundespräsidenten, ansonsten kommt niemand mehr rein."

Ein Mann, ein Mittvierziger, sagt, er sei sehr früh da gewesen: "Ich bin ohne Probleme rein gekommen." Er ist hier um Anteilnahme zu zeigen, er will zeigen, "dass die Bevölkerung wach ist, da ist". Eine ältere Dame sagt, sie gehe normalerweise nicht in die Kirche, aber heute schon. Sie sucht einen Ort für ihre Trauer. Deswegen ist sie hier: "Ich habe die ganze Zeit Gänsehaut und Tränen stehen mir immer wieder in den Augen." Sie wohnt ein paar Straßenblöcke weiter: "Der Schrecken ist auf einmal so nah dran".

Bischof Markus Dröge: "Der Schmerz brennt"

Im Gottesdienst sitzen Menschen, die Angehörige verloren haben. Menschen, die eine halbe Stunde vor dem Unglück selbst auf dem Weihnachtsmarkt gewesen sind, da gearbeitet haben. Menschen, die den Verletzten vor Ort geholfen haben. Bei emotional bewegenden Liedern weinen manche Gottesdienstbesucher, legen ihren Kopf auf der Schulter der Freundin ab. Auch der Psalm 69 wird vorgetragen: "Gott, hilf mir!" - "Nahe dich zu meiner Seele und erlöse sie. Gott, deine Hilfe schütze mich!"

Bischof Markus Dröge von der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) hält eine kurze Ansprache: "Grausam wurden wir gestern auf unserer Vorweihnachtsstimmung gerissen – der Schmerz brennt." – "Wir wollen den Trauernden zeigen, Ihr seid nicht allein, wir sind an Eurer Seite, wir beten für Euch."

Das erste Lied, das im Gottesdienst gesungen wird, ist "Wie soll ich Dich empfangen". Auch Bischof Dröge stellt viele Fragen in seiner Ansprache: "Wie soll es weiter gehen in einer Welt, in die immer mehr Wunden gerissen werden? Wie sollen wir unsere Menschenliebe bewahren? Wie soll es Weihnachten werden?". Dröge führt aus, die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ist ein passender Ort, um der Gewalttat zu gedenken. Der zerbombte Turm ist selbst ein Mahnmal für frühere Wunden.

Der Berliner Bischof schließt seine Ansprache mit den Worten: "Die Versöhnung ist stärker als der Hass. Mit dieser Botschaft werden wir die Gewalt überwinden." Er fordert die Mensch auf, zusammen zu stehen, egal welcher Religion oder Kultur sie angehören. So ist der ökumenische Trauer- und Fürbittgottesdienst auch reich an interreligiösen Gästen. Unter anderem sind Erzbischof Heiner Koch, Erzbistum Berlin, Rabbiner Andreas Nachama, Jüdische Gemeinde Sukkat Schalom zu Berlin, Imam Kadir Sanci, Vorstandsmitglied und Imam des Bet- und Lehrhauses House of One, Berlin und Imam Ferid Heider, Deutscher Imam in verschiedenen Moscheen in Berlin anwesend.

In einer Schweigeminute halten sich alle Besucher gemeinsam an den Händen, um symbolisch ihre Verbundenheit gegen die Gewalttat zu demonstrieren. Die goldene, große Christusfigur des Münchener Künstlers Karl Hemmeter schwebt über dem Altarr. Sie hat die Hände gehoben und scheint die Gemeinschaft zu segnen.