Zoff in Solingen: Adventskranz oder Weihnachtsbaum?

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Solingens Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD) schmückt mit Kindern der Kindertagesstätte Hoppetosse den Adventskranz im Rathaus.
Zoff in Solingen: Adventskranz oder Weihnachtsbaum?
Ist der Solinger Oberbürgermeister päpstlicher als der Papst? Oder wissen die Solinger, die sich über einen fehlenden Weihnachtsbaum vorm Rathaus beschweren, nicht genug über christliche Traditionen? Tim Kurzbach will im Advent keinen Weihnachtsbaum vor dem Rathaus. Genau wie seine Amtsvorgänger. Den Streit in der Stadt hält er aus.

Es ist noch keine zwei Wochen her, da verkündete der Oberbürgermeister der Klingenstadt Solingen im Bergischen Land, dass er sich entschieden habe, genau wie im letzten Jahr keinen geschmückten Tannenbaum mit Lichtern auf dem Rathaus-Vorplatz aufbauen zu lassen. In einem offenen Brief wandte sich der 38jährige Tim-Oliver Kurzbach (SPD) an die Bürger seiner Stadt, daraus Auszüge: "Nach der christlichen Tradition beginnen Weihnachten und damit auch die Zeit des erleuchteten Weihnachtsbaumes nach der Geburt Jesu am Heiligen Abend bzw. am 25. Dezember. […]  Die Zeit davor ist der Advent, eine ruhige besinnliche Zeit. Das Zeichen der Erwartung der Ankunft des Herrn ist aber der Adventskranz, nicht der Baum."

Und so entschied der bekennende Katholik, der seit 2014 Vorsitzender des Diözesanrates des Erzbistums Köln, ist, stattdessen von Ende November an einen Adventskranz im Rathaus aufhängen zu lassen, welchen er zuvor mit Kindern geschmückt hatte – wie schon im vergangenen Jahr. Für jede der kommenden Adventswochen hat er nun eine andere Kindergruppe oder Schulklasse eingeladen, die zusammen mit ihm eine weitere Kerze am Kranz entzünden. Dazu werden Lieder gesungen und es gibt Kleinigkeiten zu Essen.

Tim-Oliver Kurzbach (SPD), Oberbürgermeister der Stadt Solingen.

Soweit, so konsequent die Haltung des Bürgermeisters. Nicht gerechnet hatte er aber offensichtlich mit dem lauten Protest und ebenso emotionalen Zuspruch seiner Bürger, der teils über soziale Medien, teils über die lokale Presse publik wurde. So warf man ihm eine "bürgerferne Entscheidung" vor, er wolle seinen Bürgern "seine Meinung aufzwingen". Aber auch Verständnis für seine Haltung, die sich gegen den "Kommerz im Zusammenhang mit dem Fest der Geburt Jesu" richte, wurde deutlich. Dirk Schönheit schrieb: "Eine couragierte Meinung in Zeiten eines zuletzt sinnverdrehten ‚Weihnachtsbaum-Populismus‘", und Ute Morsbach-Michels erklärte im Leserbrief an das "Solinger Tageblatt": "Einfach neue Wege gehen und den Sinn von Weihnachten auch dem letzten Ungläubigen erklären. Bravo!"

Weihnachten beginnt in der Nacht zum 25. Dezember

Tatsächlich hatte ja der evangelische Theologe Johann Hinrich Wichern Mitte des 19. Jahrhunderts den ersten Adventskranz aufgestellt – damals mit 20 kleinen roten und vier großen weißen Kerzen. Und erst knapp hundert Jahre später war dieser Brauch dann auch in katholischen Gegenden zu finden. Bis dahin hatte sich nämlich die katholische Kirche gegen den angeblich "heidnischen" Weihnachtsbaum als "Anti-Krippe" zur Wehr gesetzt. Dass schließlich auch auf dem Petersplatz in Rom ein solcher Baum in voller Pracht steht, hatte Papst Johannes Paul II. 1982 eingeführt.

Nun titelte www.katholisch.de vor zwei Tagen: "Oberbürgermeister streicht Weihnachten" und befeuerte durch diese Glosse die bundesweite Diskussion um Bräuche, Traditionen und das Für und Wider von geschmückten Tannenbäumen im öffentlichen Raum. Leider, so Tim Kurzbach im Interview mit evangelisch.de, hatte der Kollege Odendahl von katholisch.de ihn zum Thema weder befragt noch sich im Detail schlau gemacht. Fakt ist nämlich: Es gibt schon seit 30 Jahren keinen Tannenbaum mehr vor dem Solinger Rathaus. Und derzeit wäre es vermutlich sowieso vergebliche Liebesmüh, mit einem solchen Baum dort so etwas wie eine heimelige Adventsatmosphäre zu zaubern, denn eine Großbaustelle trübt doch sehr den Gesamteindruck.

Jedenfalls sind der Oberbürgermeister, der nur das tut, was schon seine Vorgänger jahrelang praktizierten, und der fehlende Baum vorm Rathaus nun auch überregional ein Thema. Ärger mit seinen Kollegen im Diözesanrat habe er deshalb aber nicht bekommen, sagt Tim Kurzbach: "Im Gegenteil. Ich erfahre viel Zustimmung." Und, wenn das Ganze für irgendetwas gut sei, so der ehemalige Vorstand der Solinger Arbeiterwohlfahrt, dann doch, dass "die Diskussion über christliche Werte und Traditionen geführt wird".

Die Aufregung um die Sache allerdings kann er nur schwer nachvollziehen: "Wir haben im Rathaus weitaus Wichtigeres zu tun." Dennoch setze er sich mit den Meinungen der Bürger auseinander: "Ich gehe offen mit meinem Christsein um, erfahre seit Beginn meiner Amtszeit dadurch auch außerordentlichen Widerspruch und muss mich an vielen Stellen einer Auseinandersetzung stellen. Dabei missioniere ich niemanden und erkläre nur, wie ich persönlich es halte – dass ich bete, sonntags zum Gottesdienst gehe – und eben auch, dass der Weihnachtsbaum für mich nicht in die Adventszeit gehört, sondern zum Weihnachtsfest, das in der Nacht des 24. auf den 25. Dezember beginnt."

"Ich gönne jedem seinen Weihnachtsbaum"

Und so sei es nur logisch, dass der Baum auch im Rathaus erst am 24.12. aufgestellt werde, so der OB, schließlich sei er als erster Bürger der Stadt nicht nur an Werktagen im Einsatz: Im letzten Jahr habe er beispielsweise am ersten Weihnachtsfeiertag Hunderte von Flüchtlingen willkommen geheißen. Und er ergänzt: "Mein Profil ist sozialdemokratisch und katholisch. Beides verlangt Haltung: Ich handele, wie es ich für richtig erkannt habe, auch wenn mir das manche übelnehmen. Ich kann nicht anders."

Am 6. Januar, zum Dreikönigsfest, wird er Solinger OB dann in seinem Büro auch die Sternsinger aus den katholischen Gemeinden Solingens empfangen – etwas, das er im letzten Januar neu einführte. Kurzbachs Statement dazu: "Ich glaube, wir dürfen durchaus selbstbewusst mit diesen christlichen Traditionen umgehen. Das bedeutet nicht, dass ich irgendetwas und irgendwen ausgrenze. Ich gönne jedem seinen Weihnachtsbaum und ich möchte niemandem etwas vorschreiben. Aber da, wo ich die Verantwortung trage, möchte ich doch gerne an die Tradition erinnern."

Aufs Weihnachtsfest freut sich der Vater von drei Monate alten Zwillingen besonders. Er sei gespannt, wie es sei, das erste Mal mit der eigenen, kleinen Familie zu feiern. Zum Fest der Feste wünscht er sich, dass sich "ein paar mehr Menschen Gedanke machen mögen über dieses Geheimnis von Weihnachten – über dieses Symbol des christlichen Gottes, der als Kind auf die Welt kommt, hilf- und wehrlos, der für etwas Helles, Neues steht, das Mut macht und Hoffnung gibt."