Merkel will EU-Entwicklungshilfe kritisch prüfen

Merkel will EU-Entwicklungshilfe kritisch prüfen
Seit Jahrzehnten leistet Europa Entwicklungshilfe - ein Topthema für EU-Gipfel war das lange nicht. Jetzt gerät Entwicklungspolitik in den Fokus, weil sie mit Migration und Flüchtlingen zu tun hat. Kanzlerin Merkel fordert eine kritische Überprüfung.

Brüssel (epd). Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will die EU-Entwicklungshilfe vor dem Hintergrund der Migrationskrise kritisch unter die Lupe nehmen. Entwicklungshilfe müsse die Lebenschancen von Menschen in Afrika "substanziell" verbessern, sagte Merkel am Donnerstag vor einem zweitägigen EU-Gipfel in Brüssel. Fraglich sei aber, ob sie bislang effizient eingesetzt werde. "Ich glaube, da müssen wir auch sehr selbstkritisch sein", sagte die Kanzlerin. Zugleich würdigte Merkel die sogenannten Migrationspartnerschaften, die von Pro Asyl, Oxfam und den Grünen heftig kritisiert werden.

Abhalten von Flüchtlingen

Bei der Entwicklungshilfe gehe es "nicht einfach nur um Geld, sondern es geht vor allem darum, die Fähigkeiten und die Lebenschanchen von Menschen in den afrikanischen Ländern auch substanziell zu verbessern", sagte Merkel mit Blick auf die Migration nach Europa. Diese sollte neben Handel und Außenbeziehungen eines der Hauptthemen des Treffens der 28 europäischen Staats- und Regierungschefs sein.

Das Projekt der Migrationspartnerschaften wurde im Juni von der EU-Kommission vorgestellt. Nach offizieller Darstellung soll es Migration nach Europa verringern und zugleich die Entwicklung in zunächst fünf afrikanischen Partnerstaaten voranbringen: Niger, Nigeria, Senegal, Mali und Äthiopien.

Bei den Partnerschaften geht es einerseits direkt um das Abhalten oder Abschieben von Flüchtlingen. Ein offen erklärter Zweck besteht darin, dass die afrikanischen Staaten bereitwilliger eigene Staatsangehörige aus Europa zurücknehmen, die mit Asylanträgen gescheitert sind. Umstrittener ist das Thema Entwicklung. Laut offizieller EU-Darstellung soll europäische Hilfe in den betreffenden Ländern zur sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung beitragen und so den Anreiz verringern, nach Europa zu ziehen. Die Migrationspartnerschaft mit Senegal umfasst zum Beispiel Projekte gegen Jugendarbeitslosigkeit.

Allerdings deuten Kritiker die Verbindung von Migrations- und Entwicklungspolitik anders. Demnach droht die EU den Afrikanern mit Entzug von Entwicklungshilfe, wenn diese Schutzsuchende nicht von Europa fernhalten, und ignoriert dabei ihre eigenen Werte und die Menschenrechte.

Pro Asyl beispielsweise urteilte am Donnerstag, dass die EU "einen Flüchtlingsbekämpfungsdeal nach dem anderen" einfädele. Ziel sei es, dass die Schutzsuchenden "dort bleiben, wo bereits 90 Prozent aller Flüchtlinge leben, häufig nur noch vegetieren". Die Nichtregierungsorganisation bezog sich dabei auch auf einen Entwurf der Erklärung, die der EU-Gipfel verabschieden wollte.

Kritik: Armutsbekämpfung bleibt auf der Strecke

Der Entwurf stammt vom 10. Oktober und liegt dem Evangelischen Pressedienst (epd) vor. Dem Text zufolge geht es bei den Migrationspartnerschaften darum, "konkrete und messbare Ergebnisse bei der zügigen operativen Rückführung irregulärer Migranten zu erzielen und unter Einsatz aller einschlägigen – auch entwicklungs- und handelspolitischen – Maßnahmen, Instrumente und Hilfsmittel der EU die erforderliche Hebelwirkung zu erzeugen und zu nutzen".

Auch Oxfam übte scharfe Kritik an den Migrationspartnerschaften und warf der EU vor, sich von ihren Grundlagen, dem Lissabon-Vertrag zu entfernen. Dieser bestimmt in Artikel 208 als "Hauptziel" der EU-Entwicklungszusammenarbeit die Armutsbekämpfung.

Die Grünen warfen Merkel eine Mitverantwortung für die EU-Linie vor und verwiesen dabei auch auf die jüngste Reise der Kanzlerin in mehrere der Staaten, mit denen Migrationspartnerschaften begonnen wurden. "Es ist ein Skandal, dass Bundeskanzlerin Merkel bei ihrer Afrika-Reise den Eindruck erwecken konnte, unserem Nachbarkontinent neue Entwicklungsperspektiven eröffnen zu wollen, sie gleichzeitig aber in Brüssel an der Verschärfung der globalen Ungleichheit weiterarbeitet", erklärten die Bundestagsabgeordneten Luise Amtsberg und Claudia Roth.