Merkel: Deutschland hat Flüchtlinge in Südeuropa zu lange ignoriert

Merkel: Deutschland hat Flüchtlinge in Südeuropa zu lange ignoriert
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ein Jahr nach ihrem wegweisenden Satz "Wir schaffen das" Fehler in der Flüchtlingspolitik eingestanden. Dennoch erhält sie weiterhin Zuspruch für ihren Ausspruch.
31.08.2016
epd
Von Marlene Petermann (epd)

Frankfurt a.M., Berlin (epd). Es ist nicht nur ein Satz, es ist ihre Überzeugung: "Wir schaffen das" war und ist Bundeskanzlerin Angela Merkels Credo in der Flüchtlingspolitik. Es sei "ein Satz des Anpackens, den jeder kennt", erklärte sie der "Süddeutschen Zeitung" (Mittwochsausgabe). Dennoch räumte sie ein, auch als Kanzlerin zu spät auf die weltweite Flüchtlingskrise reagiert zu haben.

Schon 2004 und 2005 seien viele Flüchtlinge nach Europa gekommen, "und wir haben es Spanien und anderen an den Außengrenzen überlassen, damit umzugehen", sagte Merkel dem Blatt. Heute müsse man "einen längeren Atem haben, um in Europa insgesamt zu einer wirksameren und fairen Lösung zu kommen", erklärte die Kanzlerin.

Gesellschaft mit "verunsichertem christlichen Selbstbewusstsein"

Ihr Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) bilanzierte, auch die Sicherung der europäischen Außengrenzen sei zu spät zum Thema gemacht worden. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) beobachtet ein Jahr nach dem "Wir schaffen das" eine unsichere deutsche Identität, die die Integration der Flüchtlinge hierzulande erschwere.

Altmaier, der für die Koordinierung der Flüchtlingspolitik zuständig ist, äußerte sich im "Morgenmagazin" des ZDF selbstkritisch: "Wir hätten vielleicht in den Jahren 2008 bis 2015 dafür sorgen müssen, dass die europäische Außengrenzsicherung besser vorankommt." Im Ganzen sei die deutsche Flüchtlingspolitik allerdings erfolgreich, sagte der CDU-Politiker. Jetzt sei man dabei, die "große Aufgabe der Integration zu bewältigen".

Die Integration vorwiegend muslimischer Zuwanderer wird aus Sicht von Innenminister de Maizière durch die Verunsicherung unter den Deutschen erschwert. Er sagte dem Magazin "Stern", die Zuwanderer stießen auf eine Gesellschaft mit einem "verunsicherten christlichen Selbstbewusstsein". Obwohl es dem Land ökonomisch gutgehe wie selten zuvor, seien sich die Deutschen ihrer Identität nicht sicher genug, sagte der CDU-Politiker: "Wir wissen nicht mehr genau, wer wir sind und wer wir sein wollen. Was uns als Deutsche ausmacht."

Bischof: Aufforderung zur Humanität

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, kritisierte vor allem praktische Versäumnisse bei der Integration. Flüchtlinge müssten noch immer ein halbes bis zu einem ganzen Jahr auf einen Integrationskurs warten: "Das ist einfach viel zu lang." Dabei seien die meisten gewillt sich einzubringen. Würden sie aber zur Untätigkeit verurteilt, drohten viele Talente und Kräfte zu verpuffen, sagte Mazyek im Deutschlandradio Kultur. Gleichwohl bewerte er Merkels "Wir schaffen das" immer noch als wegweisende Aussage, sagte Mazyek.

Ähnlich äußerte sich der hannoversche Landesbischof Ralf Meister. Er sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), der Satz sei eine Aufforderung gewesen zur Humanität gegenüber Menschen in Not. Das große Engagement vieler Menschen in Deutschland habe ihn begeistert. Die Integration der Flüchtlinge sei aber ein langwieriger Prozess, "der von der einheimischen Bevölkerung viel verlangt, aber von den geflüchteten Menschen noch mehr."