Hexenprozesse: Nicht nur Sache der Kirche

Ausschnitt aus einem zeitgenössischen Flugblatt mit Holzschnitt. Nürnberg (Jörg Merckel), 1555.
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Ausschnitt aus einem zeitgenössischen Flugblatt mit Holzschnitt. Nürnberg (Jörg Merckel), 1555.
Hexenprozesse: Nicht nur Sache der Kirche
Kommt man auf Partys auf das Thema Christentum zu sprechen, folgt irgendwann so sicher wie das Amen in der Kirche der Spruch, die Kirche habe doch ganz viel Dreck am Stecken. Da wurden im Mittelalter Millionen weiser Frauen und Kräuterweiblein als Hexen verbrannt. Stimmt, aber es waren keine Millionen, und es war auch nicht unbedingt die Kirche, die sie verurteilte.

Man müsse die historische Hexenverfolgung heute wesentlich nüchterner sehen, meint der Bamberger Historiker Günter Dippold. Da seien früher Archivfunde selektiv ausgewählt worden, neuzeitliche Hexerei- mit mittelalterlichen Ketzerprozessen einfach vermengt worden. So gab es vor allem Ende des 19. Jahrhunderts im Kulturkampf unter Reichskanzler Otto von Bismarck absichtliche Falschdarstellungen. Die vermeintlich rückständige und den preußischen Reformen abgeneigte römisch-katholische Kirche sollte als Hauptverantwortliche für die Hexenverfolgungen dargestellt werden.

Ähnlich wollten dies später auch die Nationalsozialisten. Auf Geheiß Heinrich Himmlers forschte sogar ein "SS-Sonderkommando Hexen" in den Archiven. "Es ging um Propaganda-Material gegen Kirchen und um eine vermeintliche biographische Betroffenheit. Heinrich Himmler hielt sich nicht nur für eine Reinkarnation König Heinrichs des Ersten, sondern auch für einen Nachfahren einer im Schwäbischen im 17. Jahrhundert als Hexe hingerichteten Frau", weiß Historiker Dippold.

Jede vierte verurteilte Hexe war ein Mann

Bis heute hält sich das Halbwissen über Hexen hartnäckig. Die Wahrheit aber ist: Hexenverfolgungen waren kein Ereignis des finsteren Mittelalters, sondern der frühen Neuzeit. Auch sind nicht Millionen weiser Frauen auf dem Scheiterhaufen gelandet, sondern die Opferzahlen halten sich, schlimm genug, in einem fünfstelligen Bereich. Seriöse Schätzungen gehen etwa von 30.000 verurteilten Hexen aus. Und auch kaum bekannt, mindestens jede vierte Hexe war ein Mann.

Es waren nicht Kirchenvertreter, die in erster Linie Hexenverfolgungen anstrebten, sondern die weltliche Obrigkeit. "In jedem Fürstentum gab es ein Ringen der Juristen", erklärt Dippold. "Die einen wollten diese üblen Sünder, die sich mit dem Bösen verbinden, abstrafen und notfalls physisch vernichten." Die anderen fürchteten in möglichen Verfahren die Anwesenheit des Teufels, der zu Fehlurteilen verleiten könnte, und wollten deshalb auf Verfahren ganz verzichten.

Dass die Kirche lange Zeit als Alleinschuldige dastand und nach Meinung vieler heutiger Zeitgenossen heute noch steht, hat wohl vor allem mit einer Schrift zu tun. Der Dominikaner Heinrich Institoris schrieb 1486 den berühmten "Hexenhammer" und lieferte damit die theoretische Grundlage für alle künftigen Grausamkeiten. Ein Jahrhundert später wurden dessen Ideen aber vor allem von der weltlichen Obrigkeit aufgegriffen. Selbst wenn der Bamberger, der Würzburger oder der Eichstätter Fürstbischof in Sachen Hexen tätig waren, so waren sie es nicht als Bischöfe, sondern als Fürsten.

Die Kirche versuchte sogar zu bremsen. So stoppte gerade die katholische Inquisition im frühen 17. Jahrhundert Hexenverfolgungen in Oberitalien. Die Exzesse in Deutschland waren den Kirchenvertretern südlich der Alpen wohl bereits ein warnendes Beispiel gewesen.

Martin Luther forderte zur Tötung von Hexen auf

Warum es aber immer wieder zu regelrechten Verfolgungswellen kam, ist bis heute umstritten. Ein Grund könnte in nur regional auftretenden Missernten gelegen haben. Da mussten eben Schuldige das Wetter verhext haben. Andernorts steckten wohl politische Ränkespiele dahinter. Gleich alle Mitglieder der konkurrierenden Gegenpartei wurden als vermeintliche Hexen niedergemacht. Im Grunde konnte es jeden treffen, Männer wie Frauen, einfache Leute bis hin zu Klerikern. In Würzburg etwa sollen bis zu 50 Priester als Hexen hingerichtet worden sein. Sei es auf Druck des Volkes oder durch Machtränke der Stände kam es auch in kirchlichem Machtbereich immer wieder zu Prozessen.

Es gab Fürstentümer, die fast verfolgungsfrei waren und solche, bei denen Verfolgungen kulminierten. "Die Reichsstadt Nürnberg bezeichnete schon in den 1530er Jahren die Vorstellung von Hexen als geradezu wahnhaft. Erst nach dem 30jährigen Krieg gab es vereinzelt Prozesse. Umgekehrt gab es evangelische Fürstentümer etwa im heutigen Thüringen, im heutigen Oberfranken-Coburg oder Mecklenburg, in denen die Fürsten sehr manifest verfolgen ließen", resümiert Historiker Günter Dippold.

Selbst Martin Luther, ganz Kind seiner Zeit, war davon überzeugt, dass es Hexen gab. Er hielt Hexerei für ein Kapitalverbrechen, das entsprechend zu bestrafen sei: "Sie schaden vielfaltig, also sollen sie getötet werden, nicht allein, weil sie schaden, sondern auch, weil sie Umgang mit dem Satan haben" (WA 16,552,22f). Auch der Genfer Reformator Johannes Calvin folgte mit Verweis auf 2. Mose 22,17 "Die Zauberin sollst du nicht leben lassen" dieser Ansicht. Beide Reformatoren trieben aber andererseits keine massenhafte Durchführung von Hexenprozessen voran.

Ein neuer Hexenkult missbraucht die Frauen erneut

Längst vorbei sind die Zeiten, als Menschen in Europa wegen Hexerei verfolgt wurden. Im Gegenteil bekennen sich Frauen heute offen dazu, Hexen zu sein. Sie legen Karten, halten Hexenstammtische ab oder führen geheime Rituale nur für Eingeweihte durch. An kritischen Fragen von Journalisten sind sie meist weniger interessiert, wie eben auch nicht an einer wissenschaftlichen Betrachtung der historischen Hexenverfolgung.

Heute dient die Hexe von damals den neuen Hexen als Projektionsfläche. "Man sieht in den Hexen einen Typ naturnaher Spiritualität, was natürlich den wissenschaftlichen Forschungen überhaupt nicht standhält", sagt Matthias Pöhlmann, Weltanschauungsbeauftragter der bayerischen Landeskirche, der sich schon lange mit dem Thema auseinandersetzt. "Es ist ein Mythos, dass die damals Ermordeten weise Frauen und Hebammen gewesen seien, die ein esoterisches Wissen gehabt hätten. Und jetzt durch die neuen Hexen werde es wieder verbreitet. Andere glauben sogar an Reinkarnation, dass jetzt mit den neuen Hexen diese alten Hexen wiederkämen", sagt Matthias Pöhlmann.

Schätzungsweise mehrere tausend Frauen in Deutschland frönen dem neuen Hexenkult. Für den evangelischen Theologen aber ist klar, dass die neuen Hexen unserer Zeit mit den Justizopfern von einst, also den so genannten alten Hexen, kaum etwas gemein haben. Wenn man so will, werden die Verbrannten und Hingerichteten von damals erneut missbraucht, um daraus eine eigene Spiritualität zu konstruieren.