Kaum jemand zieht wegen einer Diskriminierung vor Gericht

Kaum jemand zieht wegen einer Diskriminierung vor Gericht
Wenn ein schwules Paar kein Doppelzimmer buchen kann oder das Arbeitsverhältnis einer schwangeren Frau nicht verlängert wird, sind das Verstöße gegen geltendes Recht. Benachteiligte haben es aber immer noch schwer, ihre Gleichstellung durchzusetzen.

Recht haben und Recht bekommen ist bekanntlich nicht das gleiche. So ist es auch beim Diskriminierungsschutz in Deutschland. Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, forderte daher am Dienstag in Berlin, es müsse den Betroffenen "deutlich leichter gemacht werden, gegen Diskriminierung vorzugehen". Damit machte sich Lüders zehn Jahre nach dem Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) für eine Reform des Gesetzes stark.

Viele Benachteiligte zögerten immer noch, ihre Rechte wahrzunehmen. Dabei hat einer Umfrage der Antidiskriminierungsstelle von 2015 zufolge jeder Dritte in den zurückliegenden zwei Jahren Diskriminierung erlebt. Lüders berief sich auf Empfehlungen von Wissenschaftlern, die im Auftrag ihrer Stelle untersucht haben, inwieweit das AGG Menschen hilft, ihre Rechte durchzusetzen.

Unterstützung bei Klage vermisst

Eine hohe Hürde ist danach die kurze Frist von zwei Monaten, in der Betroffene ihre Ansprüche geltend machen müssen. Sie sollte Lüders zufolge auf sechs Monate verlängert werden. Viele Menschen zögerten, ihre Diskriminierung öffentlich zu machen, sagte sie - insbesondere wenn es um den eigenen Arbeitsplatz gehe.

Der Auswertung zufolge fehlt es auch an Unterstützung für jene, die sich nach erfolglosen Einigungsversuchen zu einer Klage entschließen. Deshalb verlangt die Antidiskriminierungsstelle, dass einschlägige Verbände Klägern vor Gericht beistehen dürfen. Außerdem sollten sie ein Verbandsklagerecht erhalten, damit sie selbst Diskriminierungsfälle aufgreifen können.

Das AGG ist am 18. August 2006 in Kraft getreten. Es soll Benachteiligungen wegen des Geschlechts, Alters, der ethnischen Herkunft, der Religion, Weltanschauung oder sexuellen Identität eines Menschen verhindern oder beseitigen. Schwerpunkt ist der Schutz vor Diskriminierungen bei der Jobsuche und am Arbeitsplatz. An die Antidiskriminierungsstelle des Bundes haben sich seitdem 15.000 Menschen gewendet. 1.400 Gerichtsverfahren sind dokumentiert, die meisten im Arbeitsrecht.

Zustimmung von der Opposition

Die Verabschiedung des Gesetzes durch die damalige große Koalition sei trotz der noch offenen Baustellen ein "Meilenstein" gewesen, bilanzierte Lüders. Die von der Wirtschaft heraufbeschworene Klagewelle sei nicht eingetreten. Es habe sich vielmehr das Bewusstsein für Diskriminierungen geschärft. Man müsse sich allerdings auf eine Zunahme an Beschwerden durch Flüchtlinge und Migranten einstellen, prognostizierte Lüders. Als Beispiel nannte sie die Absage eines Praktikumsplatzes. Eine Spedition hatte einem jungen Flüchtling zur Begründung gesagt, nach jüngsten Terroranschlägen wolle sie doch keine Flüchtlinge beschäftigen. Nach den Silvester-Übergriffen am Kölner Hauptbahnhof hatten zu Jahresanfang Zutrittsverbote für Flüchtlinge zu Clubs in Freiburg und zu Schwimmbädern für Debatten gesorgt.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), die Linksfraktion und die Grünen, die einen Gesetzesantrag zur Reform des AGG vorgelegt haben, schlossen sich den Forderungen der Antidiskriminierungsstelle an. Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack erklärte, das Gesetz habe das Land vorangebracht. Man wisse heute, was unter Diskriminierung in der Arbeitswelt zu verstehen sei. Kritik kam hingegen von den Arbeitgeberverbänden. Die Forderungen gehörten in den Papierkorb, erklärte BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter. Vielfalt und Toleranz seien längst in die Unternehmen eingezogen und ließen sich nicht gesetzlich verordnen.