Ägypten: Religiöse Gewalt im Polizeistaat

Zerstörtes Haus einer christlichen Familie in der Provinz Minja.
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Geplündert und in Brand gesetzt: Zerstörtes Haus einer christlichen Familie in der Provinz Minja.
Ägypten: Religiöse Gewalt im Polizeistaat
Kopten werden in Ägypten wieder zunehmend Opfer religiös motivierter Übergriffe. Die Auslöser der Gewalt sind meist banal. Menschenrechtler fordern Gesetze, die den Status der Minderheit verbessern.

Es braucht meist nur ein Gerücht - und schon bricht Gewalt aus. So wie vergangenen Monat in Oberägypten. Es war neun Uhr abends, als sich in einem Dorf in der Provinz Minja Hunderte Muslime versammelten. Ihr Ziel war das Haus zweier christlicher Brüder, die eine Wohnung im Erdgeschoss herrichteten, um dort einen Kindergarten zu eröffnen.

Der Mob hatte andere Informationen: Das Haus werde zur Kirche umgestaltet, hieß es. Schnell formte sich ein Protestzug - die muslimischen Fanatiker marschierten los. Die christlichen Bewohner ergriffen die Flucht, auch jene aus den Nachbarhäusern. Fünf Wohnhäuser wurden geplündert und angezündet. Die Polizei erschien erst nach einer Stunde, das Feuerwehrauto kam ohne Löschwasser.

Laut der Verfassung gilt die Glaubensfreiheit

Dieser Vorfall ist nur ein Beispiel aus einer langen Serie von Angriffen auf Kopten. Dokumentiert hat ihn die ägyptische Initiative für Persönlichkeitsrechte (EIPR). Nach Angaben der Organisation häufen sich solche Attacken wieder. Christen sind in Ägypten in der Minderheit, machen mit rund neun Millionen Gläubigen aber immerhin zehn Prozent der Bevölkerung aus. Die meisten Ägypter sind sunnitische Muslime. Insgesamt 77 Übergriffe auf Kopten haben die Menschenrechtler der EIPR in den vergangenen fünf Jahren allein in Minja verzeichnet, wo besonders viele Christen leben.

Die tatsächliche Zahl dürfte sogar deutlich höher sein, da den Angaben nach die Gewaltexzesse vom August 2013 nicht in die Dokumentation mit eingeflossen sind. In jenem Sommer war der islamistische Präsident Mohammed Mursi gestürzt worden. Das Militär schlug Proteste gegen den Putsch blutig nieder, woraufhin Islamisten ihre Wut an den Christen ausließen. Sie zerstörten Dutzende Kirchen, Klöster, Kliniken, Schulen und Privathäuser. Obwohl der Überwachungsapparat in Ägypten seit dem Putsch allgegenwärtig ist, bietet er den Christen keinen Schutz.



Die EIPR-Menschenrechtler fordern Gesetze, die die Rechte von Christen gewährleisten und ihren Status in der Gesellschaft verbessern. Bei Angriffen müssten die Täter rasch und angemessen bestraft werden. "Bisher bekommen Christen im Alltag von allen Seiten nur die Botschaft: Ihr seid Bürger zweiter Klasse", sagte EIPR-Analyst Ishak Ibrahim dem Evangelischen Pressedienst (epd). Laut der ägyptischen Verfassung gilt für Christen die Glaubensfreiheit. In der Praxis aber stoßen Gläubige auf große Hindernisse.

So gelten für den Bau von Kirchen strenge Regeln, die zum Teil noch aus der Zeit der osmanischen Herrschaft in Ägypten stammen. So müssen Nicht-Muslime die Erlaubnis des Präsidenten bekommen, wenn sie ein Gotteshaus bauen wollen. Regelungen, die 1934 vom ägyptischen Innenministerium erlassen wurden, legen zehn Voraussetzungen fest, die dafür erfüllt sein müssen. So muss die Entfernung zur nächsten Moschee mehr als 100 Meter betragen und die benachbarte muslimische Gemeinde ihr Einverständnis zum Kirchenbau erklären. Selbst wenn alle Bedingungen erfüllt sind, scheitert der Bau von Kirchen häufig an "Sicherheitsgründen" oder daran, dass die örtlichen Behörden schnell eine Moschee in unmittelbarer Nähe hochziehen. Manchmal errichten Christen daher tatsächlich heimlich Kirchen in ihren Wohnhäusern.

"Was haben die Kopten getan?"

Doch selbst wenn der rechtliche Status der Christen verbessert würde - in Sicherheit wären sie längst nicht. Als "systematisch und kontinuierlich" beschreibt Anba Damian, Bischof der koptisch-orthodoxen Kirche in Deutschland, die Gewalt in Ägypten und fragt: "Was haben die Kopten getan, um in ihrem Vaterland so behandelt zu werden?"

Übergriffe auf Christen haben viele unterschiedliche Auslöser, wie drei Beispiele aus diesem Jahr zeigen. So griffen Muslime eine Gruppe Kopten jüngst nach einem Streit um das Vorfahrtsrecht im Straßenverkehr mit Stöcken und Stichwaffen an. Ein Christ wurde getötet, drei weitere kamen mit Stichwunden ins Krankenhaus. Im Mai zerrte ein muslimischer Mob eine betagte Frau aus ihrem Haus, riss ihr die Kleider vom Leib und zerrte sie durch die Straßen ihres Ortes. Ihr Sohn soll eine Liebesbeziehung zu einer Muslimin gehabt haben. Ende Juni wurde ein Priester auf dem Sinai mit einem Kopfschuss getötet. Zu dieser Tat bekannte sich die Terrormiliz "Islamischer Staat".