PEN-Präsident Haslinger: Erdogan errichtet Meinungsdiktatur

PEN-Präsident Haslinger: Erdogan errichtet Meinungsdiktatur
Angesichts des Ausnahmezustands in der Türkei hat sich der Präsident des deutschen PEN-Zentrums, Josef Haslinger, äußerst besorgt über die Lage von Journalisten und Intellektuellen geäußert.
22.07.2016
epd
epd-Gespräch: Renate Kortheuer-Schüring

Frankfurt a.M. (epd). Es sei mit einer verschärften Verfolgung zu rechnen, sagte Haslinger dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat jegliche Opposition ausgeschaltet."

Erdogan versuche, eine "Meinungsdiktatur" zu errichten, sagte der Präsident der Schriftstellervereinigung. Dies sei immer schon Erdogans Ziel gewesen, nun - nach dem gescheiterten Putsch - könne er es "durchziehen". Es gebe in der Türkei keinerlei kritische Presse zum Vorgehen des Staatschefs, "weil die, die jetzt noch nicht entlassen sind, sich nicht trauen".

Unabhängigkeit der Justiz in Gefahr

Haslinger bezeichnete es als besonders kritisch, das zwei der zwölf Verfassungsrichter und insgesamt mehr als ein Fünftel der Justizbeamten (über 2.700) im Land verhaftet worden seien. Es sei fraglich, wie ein Justizwesen so weiter funktionieren könne. Der Umbau in der Justiz könne auch Folgen für die letztendliche Entscheidung über die Freiheitsstrafen gegen die Journalisten Can Dündar und Erdem Gül haben, befürchtet der PEN-Präsident.

Das türkische Verfassungsgericht galt bislang als eine der wenigen unabhängigen Institutionen des Landes. Die Journalisten der Zeitung "Cumhuriyet", Dündar und Gül, sind wegen der Berichterstattung über angebliche Waffenlieferungen der Türkei an Extremisten in Syrien zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden, ein Berufungsverfahren steht noch aus.

Angst unter Schriftstellern

Auch unter den türkischen Literaten herrscht laut Haslinger große Angst, verhaftet zu werden. Jeder, der sich einmal regierungskritisch äußerte - ob Anhänger der Gülen-Bewegung oder nicht -, habe das Gefühl, es könne ihn treffen, sagte der österreichische Autor und Leipziger Professor für literarische Ästhetik. Völlig intransparent sei, was mit den Verhafteten geschehe, wie sie in den überfüllten türkischen Gefängnissen untergebracht seien oder ob für sie etwa "Sonderzonen im militärischen Bereich" geschaffen würden.

Der Präsident des PEN-Zentrums Deutschland warnte zugleich vor der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen, die von der türkischen Regierung für den Putschversuch verantwortlich gemacht wird. Sie sei "nicht ungefährlich". Womöglich sei die Gülen-Bewegung die im Vergleich zu Erdogan "größere Bedrohung", da ihr Anführer den Abfall vom Islam mit dem Tode bestrafen wolle, sagte Haslinger, der seit 2013 an der Spitze des deutschen PEN steht.