Fernseh-Vorschau: Man kann es schaffen - nur niemals allein

Film "Kampfzone Straße": Hüseyn (18) hat nochmal die "Kurve gekriegt" - durch ein gleichnamiges landesweites Programm für 500 minderjährige Intensivtäter.
Foto: WDR
Hüseyn (18) hat nochmal die "Kurve gekriegt" - durch ein gleichnamiges landesweites Programm für 500 minderjährige Intensivtäter.
Fernseh-Vorschau: Man kann es schaffen - nur niemals allein
Das lohnt sich im Fernsehen vom 16. bis 22. Juni 2016
Eine Gruppe Jugendlicher an der Straßenecke. Sind die gefährlich? Kann ich da einfach vorbeigehen? Und überhaupt: Haben die nichts bessers zu tun? Jugendkontaktbeamte der Polizei gehen auf die Leute zu, reden mit ihnen, machen den Abgehängten begreiflich: Man kann das Leben meistern, ohne Gewalt und ohne Kriminalität. Der Film "Kampfzone Straße" (Montag, 18. Juli, ab 22.10 Uhr im WDR) stellt ein Programm in Nordrhein-Westfalen vor.

16.7., ZDF, 18.00 Uhr: "Mein Land, Dein Land"

Die dritte Folge der ZDF-Reihe stellt den Düsseldorfer Bestatter Mustafa El Founti vor. Er war zwölf Jahre alt, als er nach Deutschland gekommen ist. Heute betreibt er mit seinen Söhnen ein muslimisches Bestattungsunternehmen im Düsseldorfer Ortsteil Oberbilk, im so genannten maghrebinischen Viertel. Hier finden sich marokkanische Bäcker, ein Konditor, Supermärkte, Shisha-Bars und Möbelläden. Düsseldorf hat die zweitgrößte marokkanische Community in Deutschland. Eine kleine Gemeinde von rund 5000 Menschen, die vorwiegend aus Nord-Marokko stammen. Ihre Eltern wurden als Gastarbeiter für die deutsche Industrie angeworben und sind geblieben, wie so viele andere Gastarbeiter auch. Wären nicht die Übergriffe in der Silvesternacht von Köln gewesen und das "Projekt Casablanca" der Düsseldorfer Polizei, die marokkanische Gemeinde hätte ihr Leben abseits der Öffentlichkeit weiterführen können. Aber seither lebt das Viertel im Scheinwerferlicht, und dagegen wehren sich seine Bewohner. Den Medien misstraut man, weil sie die Kriminellen mit den Alteingesessenen in einen Topf geworfen haben. Und doch gibt es auch jene, die bereit sind, ihr Viertel mit den Facetten zu zeigen, die es für sie lebens- und liebenswert machen.

16.7., Arte, 20.15 Uhr: "Der Traum von Olympia"

Nichts eignet sich besser für die politische Propaganda als ein sportliches Ereignis, auf das die gesamte Welt schaut. In einer früheren Dokumentation hat die ARD bereits beschrieben, wie gut das 1936 bei den Olympischen Winterspielen funktioniert hat. Schon damals hieß es, die Veranstaltung in Garmisch-Partenkirchen sei bloß die Generalprobe für das Sommerspektakel gewesen. Nun folgt "Der Traum von Olympia". Anders als die Winter-Doku ("Als Olympia die Unschuld verlor") ist der Film von Florian Huber (Buch und Regie) und Mira Thiel (Regie) ein Dokudrama. Und noch etwas unterscheidet die beiden Werke: Huber konzentriert sich in seinem Drehbuch auf zwei Protagonisten, die gewissermaßen als Zeitreiseführer dienen, der eine für die Innenansicht, die andere für die Außenperspektive. Wolfgang Fürstner (verkörpert von Simon Schwarz) war der Kommandant des Olympischen Dorfes, Gretel Bergmann (Sandra von Ruffin) die damals wohl talentiertestes deutsche Hochspringerin mit guten Aussichten auf die Goldmedaille; kurz vor Beginn der Spiele wurde sie als Jüdin aus dem Kader verbannt. Eine zwar informative, allerdings auch recht textlastige Kombination aus  zeitgenössischem Doku-Material und sparsam wirkenden Spielszenen; dennoch gerade auch dank Simon Schwarz sehenswert (ARD-Wiederholung am 18. Juli um 21.45 Uhr).

17.7., ARD, 0.05 Uhr: "Sarahs Schlüssel"

Die Geschichte ist Fiktion, aber sie könnte sich genauso zugetragen haben. Gilles Paquet-Brenner hat sich eines Themas angenommen, um das die Franzosen lieber einen Bogen machen: die Deportation der Pariser Juden im Juli 1942. Das Drehbuch (Serge Joncour und Paquet-Brenner) basiert auf dem gleichnamigen Roman von Tatiana De Rosnay. Titelfigur ist ein zehnjähriges jüdisches Mädchen: Als Sarah Starzynski (Mélusine Mayance) klar wird, dass ihre Eltern verhaftet werden sollen, versteckt sie ihren kleinen Bruder hinter einer verschließbaren Tapetentür und beschwört ihn, sich nicht zu rühren. Doch das ist nur die eine Ebene des Films. Die andere spielt in der Gegenwart und erzählt von der amerikanischen Journalistin Julia (Kristin Scott Thomas). Sie soll für ein internationales Nachrichtenmagazin an die Ereignisse des Jahres 1942 erinnern. Als sie rausfindet, dass die Familie ihres Mannes seit 1942 im Besitz ihrer Wohnung ist, beginnt sie zu recherchieren. Parallel dazu erzählt Paquet-Brenner die Geschichte von Sarah und ihrer Familie. Mit großem erzählerischen Geschick verbindet das Drehbuch die beiden Ebenen. Kristin Scott Thomas ist gerade wegen ihres sparsamen Spiels eine großartige Besetzung für die Rolle der Julia. Als Naturtalent entpuppt sich auch die junge Mélusine Mayance, die Paquet-Brenner zu einer zwar berührenden, aber nie gefühligen Leistung führt.

18.7., WDR Fernsehen, 22.10 Uhr: "Kampfzone Straße"

In fast allen deutschen Städten gibt es sogenannte Brennpunkt-Viertel; gerade die Jugendlichen fallen dort immer wieder negativ auf. Autorin Mareike Wilms will wissen, was die jungen Leute so wütend macht und wie die Gesellschaft mit der rohen Gewalt unter Jugendlichen umgeht. Zu den Protagonisten ihrer Reportage gehört auch Hüseyin, gegen den bereits diverse Anzeigen vorlagen, als er 13 Jahre alt war: wegen Körperverletzung, unerlaubten Waffenbesitzes und Drogenmissbrauch. Heute ist Hüseyin 18 und hat die "Kurve gekriegt" - durch ein gleichnamiges landesweites NRW-Programm für 500 minderjährige Intensivtäter. Jetzt soll es auf zehn weitere Städte ausgedehnt werden, darunter Bonn. In Bonn-Tannenbusch versuchen Bezirks- und Jugendkontaktbeamte der Bonner Polizei einen schwierigen Spagat zwischen polizeilicher Strenge und Vertrauensaufbau. Köln hat gleich mehrere Brennpunkte. Einer davon ist Chorweiler. Ein grauer Betonblock reiht sich an den anderen. Hier engagiert sich ein Sozialarbeiter, der die Wohnsilos bestens kennt: Er ist hier aufgewachsen. Er macht mit Jungs Graffitis, redet über das Leben und zeigt ihnen, dass man es schaffen kann. Nur niemals allein.

19.7., ZDF, 22.15 Uhr: "37 Grad: Wenn die Liebe ertrinkt"

Eine Frau sucht verzweifelt einen Ausweg. Ihr Mann ist seit zehn Jahren alkoholabhängig. Sie hat ihn einst aus Liebe geheiratet, jetzt lässt er sich nicht helfen. Was soll sie tun? Der Ehemann ist in schwer alkoholisiertem Zustand unberechenbar: mal das heulende Elend, mal gewalttätig. Sie erträgt das jeden Tag, seit Jahren. Schon lange hat sie kein eigenes Leben mehr. Warum tut sie sich das an? Martin Buchholz porträtiert zwei Frauen, die ihr Dasein der Sorge um ihren schwer suchtkranken Mann untergeordnet haben. So wie sie leben viele tausend Angehörige von Alkoholikern in Deutschland. Sie werden ungewollt zu Komplizen der Suchtkranken. Sie sind "co-abhängig". Nach außen versuchen sie oft jahrelang, die Fassade der "heilen Familie" aufrechtzuerhalten. Nach innen wollen sie die Hoffnung nicht aufgeben, dass der alkoholkranke Partner durch ihre Hilfe doch noch die Kurve kriegt. Sie haben über die Jahre ihre eigenen Bedürfnisse vollkommen ignoriert und verlernt zu fragen, was gut für sie selbst ist. Irgendwann kommen sie an den Punkt, an dem ihnen klar wird, dass sich der Partner nicht helfen lassen will. Nun müssen sie die Kraft für eine bittere  Entscheidung finden, um wenigstens ihr eigenes Leben zu retten.

20.7., ARD, 20.15 Uhr: "Herr Lenz reist in den Frühling"

Vor 13 Jahren haben Karl-Heinz Käfer und Andreas Kleinert für ihr Alzheimer-Drama "Mein Vater" den International Emmy Award bekommen. Nun erzählen sie erneut eine Vater-Sohn-Geschichte: Holger Lenz (Ulrich Tukur) führt das brave Leben eines Versicherungsangestellten mit Familie und Reihenhaus. Aber der Schein trügt: Sein schwuler Sohn hält ihn für einen homophoben Spießer, seine Frau hat ein Verhältnis. In dieses Dasein platzt eines Tages die Nachricht vom Tod seines Vaters, der vor vielen Jahren nach Südostasien ausgewandert ist; seither ist der Kontakt abgebrochen. Immerhin hat er ein Apartment in Pattaya hinterlassen, also fliegt Holger nach Thailand – und in das erste und daher größte Abenteuer seines Lebens. "Herr Lenz reist in den Frühling" ist ein zwar sympathischer, aber fast zu harmloser Titel für diese Tragikomödie; Kleinert und Käfer machen keinen Hehl aus der Tristesse ihres Antihelden. Es sind vor allem Käfers wunderbare Einfälle, die dem Film immer wieder wechselnde Tonfälle geben. Wie jede Heldenreise, so ist auch diese "Fish out of water"-Komödie in Wirklichkeit eine Reise nach innen. Für die Bebilderung dieses Innenlebens haben Käfer und Kleinert viele treffende Bilder gefunden. Epilog und Schlusseinstellung schließlich sind ein würdiges Ende für diesen schönen und von Holger Feindt zudem vortrefflich fotografierten Film.

21.7., WDR Fernsehen, 22.55 Uhr: "Menschen hautnah: Nicht vor meiner Haustür!"

Im ganzen Land kommt es zu Aufständen von Bürgern, die sich gegen Projekte in ihrer Nachbarschaft wehren. Michaela Bruch und Michaela Heiser stellen zwei Wuppertaler Paare vor, die sich mit anderen zusammengeschlossen haben, um gegen unterschiedliche Bauvorhaben vorzugehen: Eine Bürgerinitiative will verhindern, dass in der Nachbarschaft eine Klinik für psychisch kranke Straftäter gebaut wird. Die Kinder der Anwohner müssten jeden Tag auf dem Weg zur Schule am Haupteingang der Forensik vorbei. Außerdem geht die Angst vor möglicherweise noch gefährlichen Freigängern um. Die Bürgerinitiative steht nicht alleine. Die ganze Stadt ist gegen das Projekt des NRW-Gesundheitsministeriums. Das braucht dringend neue Plätze für Straftäter, die therapiert werden müssen. Das zweite Paar protestiert gegen den Bau einer Seilbahn. Die soll, wenn die Vision von Stadtverwaltung und Stadtwerken Wirklichkeit wird, direkt über ihrer idyllischen Siedlung gondeln. Alle vier wollen nicht als "Wutbürger" rüberkommen, sondern mit rationalen Argumenten die Pläne von Stadt und Land torpedieren. Die Verwaltung zeigt sich zwar gesprächsbereit, lässt sich aber nicht umstimmen: Forensik und Seilbahn mögen Einzelnen nicht gefallen, aber sie seien gut für viele andere. Die Reportage beschreibt, was es bringt, wenn sich Bürger gegen Projekte für die Allgemeinheit zur Wehr setzen, und wer entscheidet, ob sich der Einzelne zum Wohle Aller einschränken muss.