Forscher: Medien für Brexit mitverantwortlich

Forscher: Medien für Brexit mitverantwortlich
Der Brexit und die Folgen für Europa sind nach Meinung des Kommunikationswissenschaftlers Franco P. Rota auch eine Folge der Berichterstattung in den Medien.
30.06.2016
epd
epd-Gespräch: Phillipp Saure

"Man hat in den vergangenen Jahren den aktuellen Krisen hinterhergeschrieben und die schwelenden Krisen vernachlässigt. Sonst wäre die EU nicht in diesem Zustand", sagte Franco P. Rota, Professor der Stuttgarter Hochschule der Medien, dem Evangelischen Pressedienst (epd).

So hätten die Medien die "Desintegration Europas" zu wenig thematisiert, die sich insbesondere im EU-Ministerrat als der Vertretung der EU-Staaten abgespielt habe. "Der Ministerrat ist das eigentliche Entscheidungsorgan der EU, also die gewählten Vertreter der Mitgliedsstaaten und nicht die EU-Kommission oder EU-Bürokraten, und das wissen die Leute draußen gar nicht, denn sie beschimpfen immer die EU als Organisation", sagte Rota, der vor seiner wissenschaftlichen Laufbahn selbst Journalist war. Daneben hätten zudem die deutschen Medien die EU-Skepsis vieler Briten nicht ernst genommen. "Man hat so getan, als wäre das Folklore."

"Rezipienten nicht krisensüchtig"

Dass der Brexit das Thema Migration und Flüchtlinge in den Medien völlig ablöst, glaubt Rota nicht. "Es gibt immer wieder Konjunkturen und Zyklen bei der Themenagenda in den Medien." Generell sei trotz des derzeitigen Eindrucks sich rasch abwechselnder Krisen auch eine Zeit ohne größere Krisenthemen in den Medien denkbar. "Wir Rezipienten sind nicht krisensüchtig."

Kritisch sieht Rota das Verhältnis mancher Medien zu den Mächtigen, das auch teilweise die Berichterstattung über die Flüchtlingskrise beeinflusst habe. "Die Nähe mancher Redakteure zur Kanzlerin hat auch die 'Willkommenskultur' mit unterstützt." Zwar gebe es weder Zensur noch Vorgaben durch die Regierung, trotzdem könnten Medien durch die Nähe mancher Medienvertreter zur Macht manipuliert werden. "Man verteidigt dann auch - unbewusst - was die Kanzlerin tut."

Vor diesem Hintergrund könnte der Brexit sogar positive Konsequenzen haben, urteilt der Kommunikationswissenschaftler. "In Deutschland hat man plötzlich festgestellt - oh Wunder -, dass die EU und ihre Mitgliedsstaaten gar nicht immer der Meinung der Kanzlerin sind." Die Krise um den Austritt Großbritanniens mache so die Vielfalt der Probleme und Positionen in der Europäischen Union deutlich. Diese Einsicht wird sich nach Rotas Meinung möglicherweise auch in der Diskussion über die Migrationskrise niederschlagen. "Es könnte eine Versachlichung geben."