"Mitte"-Studie: Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft steigt

"Mitte"-Studie: Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft steigt
Eine neue Studie zeigt: Die Gewaltbereitschaft in Deutschland steigt. Zudem ist das rechtsextreme Wählerpotenzial möglicherweise höher als es Wahlergebnisse bislang zeigten.

Die politischen Einstellungen der Deutschen driften einer neuen Studie zufolge zunehmend auseinander. Während eine deutliche Mehrheit der Gesellschaft rechtsextremes Denken und Gewalt zum Teil strikt ablehnt und das Vertrauen in demokratische Institutionen in den vergangenen zehn Jahren gestiegen ist, seien Menschen mit rechtsextremer Einstellung immer mehr bereit, zur Durchsetzung ihrer Interessen Gewalt anzuwenden, heißt es in der am Mittwoch in Berlin vorgestellten Studie "Die enthemmte Mitte" der Universität Leipzig.

Sie basiert auf bundesweiten Interviews ("face-to-face") von 2.420 Personen im Alter zwischen 14 und 93 Jahren, davon 503 in Ostdeutschland. Die Befragung fand im Frühjahr 2016 statt.

Laut Studie gibt es dabei nur geringe Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Als ausländerfeindlich gelten im Osten 22,7 Prozent der Befragten, im Westen sind es 19,8 Prozent, bundesweit 20,4 Prozent. "Es gibt zwar keine Zunahme rechtsextremer Einstellungen, aber im Vergleich zur Studie vor zwei Jahren befürworten Gruppen, die rechtsextrem eingestellt sind, stärker Gewalt als Mittel der Interessensdurchsetzung", sagte der Leiter der Studie, Oliver Decker, vom Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung der Universität Leipzig.

Ablehnung von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen gestiegen

Unterschiede zwischen Ost und West gibt es vor allem bei einzelnen Altersgruppen, besonders bei den zwischen 14- und 30-Jährigen. Im Osten sind 23,7 Prozent dieser Altersgruppe ausländerfeindlich, im Westen nur 13,7 Prozent. "Das ist gefährlich", sagte Decker. Wer jetzt rechtsextreme Ansichten habe, werde diese noch einige Jahre vertreten.

Auch habe in bestimmten Milieus das Vertrauen in gesellschaftspolitische Einrichtungen wie die Polizei oder Parteien deutlich nachgelassen. "Sie fühlen sich vom politischen System nicht repräsentiert", sagte Decker. Mit Blick auf den gelegentlich gegenüber Zeitungen, Radio und Fernsehen erhobenen Vorwurf der einseitigen Berichterstattung gaben 14 Prozent der Befragten an, von "Lügenpresse" zu sprechen, 41 Prozent lehnten den Begriff ab, 44,9 Prozent gaben ein "teils/teils" an.

Die Radikalisierung zeige sich auch bei der Einstellung zu bestimmten gesellschaftlichen Gruppen. "Die Ablehnung von Muslimen, Sinti und Roma, Asylsuchenden und Homosexuellen hat noch einmal deutlich zugenommen", unterstrich einer der Autoren und Begründer der "Mitte"-Studie, der Leipziger Sozialpsychologe Elmar Brähler. 49,6 Prozent sagten zum Beispiel, Sinti und Roma sollten aus den Innenstädten verbannt werden (2014: 47,1 Prozent). 40,1 Prozent erklärten, es sei ekelhaft, wenn sich Homosexuelle in der Öffentlichkeit küssten (2011: 25,3 Prozent). Und 50 Prozent gaben an, sich durch die vielen Muslime manchmal wie ein Fremder im eigenen Land zu fühlen (2014: 43 Prozent).

Vorurteile gegen Minderheiten verbreitet

Sichtbar würden diese Einstellungen auch bei Anhängern von "Pegida", die Decker als "neurechte Bewegung" sieht. "Wer 'Pegida' befürwortet, ist zumeist rechtsextrem und islamfeindlich eingestellt und sieht sich umgeben von verschwörerischen, dunklen Mächten", sagte er. Alter, Bildungsanschluss oder Haushaltseinkommen spielten dagegen keine Rolle.

Weiter habe sich gezeigt, dass Rechtsextreme in der AfD eine neue Heimat gefunden haben. Fast 35 Prozent der rechtsextrem Eingestellten gaben an, AfD zu wählen, vor zwei Jahren waren es lediglich 6,3 Prozent. Hinzu komme: "Die meisten AfD-Wähler teilen eine menschenfeindliche Einstellung", unterstrich Brähler. Aber auch in der Gruppe der Nichtwähler seien Vorurteile gegen Minderheiten sehr verbreitet. "Das Potenzial für rechtsextreme oder rechtspopulistische Parteien ist noch größer als es die Wahlergebnisse bislang zeigen."

Für die "Mitte"-Studie der Universität Leipzig gibt es seit 2002 alle zwei Jahre bevölkerungsrepräsentative Befragungen. Die Umfrage erfolgte in Kooperation mit der Heinrich-Böll-, der Otto-Brenner- und der Rosa-Luxemburg-Stiftung.