TV-Tipp: "Bis nichts mehr bleibt" (WDR)

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TV-Tipp: "Bis nichts mehr bleibt" (WDR)
31.5., WDR Fernsehen, 22.10 Uhr: "Bis nichts mehr bleibt"
Das Szenario erinnert lebhaft an George Orwells Roman "1984": Gepredigt wird die totale Freiheit, gefordert wird die totale Unterwerfung. Wie früher bei der Schluckimpfung, als bittere Medizin auf ein Stück Würfelzucker geträufelt wurde, wird die Wahrheit kaschiert. Man wird aufgebaut, bildet Selbstbewusstsein, doch der Preis ist hoch: der Verlust der eigenen Persönlichkeit.

"Bis nichts mehr bleibt" ist der treffende Titel dieses von teamWorx produzierten SWR-Films. Es geht um Scientology, doch vordergründig erzählt Niki Stein (Buch und Regie) vom Kampf eines Vaters um sein Kind: Die Rahmenhandlung ist eine Gerichtsverhandlung, in der Frank Reiners (Felix Klare) seiner Frau Gine (Silke Bodenbender) das Sorgerecht entziehen will. In Rückblenden wird erzählt, wie erst Frank und dann auch Gine in den Sog der Psycho-Sekte geraten, wie sie sich immer mehr darin verstricken, immer abhängiger werden; bis Frank beinahe zu spät erkennt, dass er seine Seele verkauft hat.

Die Gehirnwäsche funktioniert perfekt

Gerade die Verknüpfung von Rahmen und Rückblende ist äußerst geschickt: Immer wieder wechselt der Film die Ebenen, um während des Prozesses bestimmte Bezeichnungen oder Entwicklungen zu erklären. Die Welt der Sekte bleibt dennoch fremd; ganze Dialoge der Mitglieder untereinander klingen wie sinnloses Kauderwelsch, zumal diverse Begriffe ähnlich wie bei Orwell im Sprachgebrauch der Scientologen ihr exaktes Gegenteil bedeuten. Dass die Verhandlung dennoch mitunter wie Fußnotenfernsehen wirkt, weil Franks Anwältin (Suzanne von Borsody) aufs Stichwort die passende Interpretation liefert, lässt sich vermutlich gar nicht vermeiden.

Entscheidend sind ohnehin die beiden Hauptfiguren. Das sympathische, junge Pärchen soll signalisieren, dass nicht bloß weltfremde Spinner mit psychischen Problemen zu den potenziellen Opfern der Sekte gehören, sondern dass es jeden treffen kann. Frank studiert Architektur, hat aber Angst vor der Prüfung und leidet unter den erdrückenden Erwartungen seines Schwiegervaters (Robert Atzorn), einem Reeder, der wie ein Patriarch über seine Familie herrscht. Als ihn ein Freund der Familie (Kai Wiesinger) bei Scientology einführt, ist Frank dankbar, endlich ernst genommen zu werden. Dabei hat die Sekte eigentlich Gine im Visier, über die sie an das Geld ihres Vaters rankommen will.

Felix Klare ist als Stuttgarter "Tatort"-Kommissar" natürlich zu gewissem Ruhm gekommen, aber immer noch unverbraucht genug, um Franks Wandlung überzeugend zu verkörpern: Erst macht sich der junge Mann über die seltsamen Tests lustig, aber dann wird er sich langsam seines neuen Selbstvertrauens bewusst. Als auch Gine in die Sekte eintritt und eine glänzende Scientology-Karriere hinlegt, während er bei Veranstaltungen die Stühle abräumen darf, dämmert Frank endlich, dass er bloß Mittel zum Zweck ist.

Obwohl Stein darauf verzichtet, Scientology zu dämonisieren, ist der auf tatsächlichen Schicksalen basierende Film erschütternd: weil nachdrücklich deutlich wird, wie perfekt die Gehirnwäsche funktioniert. Ein klug geschriebenes, zurückhaltend inszeniertes Drama, das sich ganz auf die Wirkung der Schauspieler verlässt (in weiteren Rollen: Nina Kunzendorf, Sabine Postel, Victoria Trauttmansdorff). Stein macht es dem Publikum allerdings nicht leicht; erst recht nicht mit dem Schluss.