TV-Tipp: "Ellas Entscheidung" (ZDF)

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TV-Tipp: "Ellas Entscheidung" (ZDF)
30.5., ZDF, 20.15 Uhr: "Ellas Entscheidung"
Man kann aus allem eine Geschichte machen; selbst aus einem Thema wie der Kontroverse um Präimplantationsdiagnostik (PID). Allerdings signalisiert schon der sperrige Begriff, wie groß die Herausforderung ist: weil erst mal erklärt werden muss, worum es sich überhaupt handelt. Und dann soll ein Film natürlich kein Diskurs werden, jedenfalls nicht vordergründig, sondern ein fesselndes Drama.

Das wiederum funktioniert erfahrungsgemäß am besten, wenn es von Menschen erzählt, die zur Identifizierung einladen. Geschickt lässt Autorin Kristin Derfler, zu deren besten Arbeiten das DDR-Drama "Es ist nicht vorbei" gehört, die unterschiedlichen Positionen zu PID von zwei Schwestern verkörpern. Beide sind Trägerinnen einer tödlichen Erbkrankheit. Die ältere, Johanna (Anna Schudt), hat eine gesunde 15jährige Tochter, Antonia, aber ihr Sohn Lennart leidet unter Muskelschwund, sitzt im Rollstuhl und wird immer schwächer. Johannas jüngere Schwester Ella (Petra Schmidt-Schaller), eine Lehrerin, ist ebenfalls verheiratet, auch sie möchte Kinder. Um ihnen Lennarts Schicksal zu ersparen, entschließen sie und ihr Mann Marcus (Christian Erdmann) sich dazu, Eizellen künstlich befruchten und anschließend untersuchen zu lassen. Ist der Embryo gesund, wird er in die Gebärmutter eingepflanzt.

Bloß ein Zellhaufen?

Die Methode ist umstritten. In einigen Ländern ist sie komplett verboten, in anderen erlaubt; in Deutschland allerdings nur mit Einschränkungen. Derfler lässt die Gegner zu Wort kommen, als Antonia (Livia Walcher) ein Referat über PID halten will und dabei von der Entscheidung ihrer Tante erzählt. Prompt macht die Information im Lehrerzimmer die Runde; ein Kollege (Markus Hering) vergleicht die diagnostische Methode mit der Selektion in den Konzentrationslagern. Das ist starker Tobak, spiegelt aber die ethische Dimension der Kontroverse realistisch wider, und Derfler vermeidet auf diese Weise eine akademische Moraldebatte: Wie im wahren Leben wird nicht diplomatisch abgewogen, sondern knallhart aus dem Bauch heraus argumentiert. Natürlich geht es auch um die Frage, wann das Leben beginnt. Ella ist der Ansicht, das befruchtete Ei sei bloß ein Zellhaufen; von Leben könne erst mit dem Herzschlag des Embryos die Rede sein.

Die größte Herausforderung neben der Erläuterung der komplizierten Materie war vermutlich die Suche nach dem Mittelweg. Die Sympathien scheinen zwar zunächst klar verteilt zu sein, weil Anna Schudt die ältere Schwester mit Merkmalen versehen muss, die sie verhärmt und ungerecht wirken lassen; kein Wunder, dass Ella, die eindeutig die Identifikationsfigur der Geschichte ist, Johanna zunächst nicht in ihre Pläne einweiht. Nach und nach jedoch wecken Derfler und Regisseurin Brigitte Maria Bertele auch für die Schwester Verständnis. Vermutlich lehnt die ältere die PID auch aus religiösen Gründen ab, schließlich spielt die Geschichte im Berchtesgadener Land, hier wird der Katholizismus mit der Muttermilch aufgesogen, aber das deutet das Drehbuch nur an. Entscheidender aus Johannas Sicht ist ihr Sohn Lennart (Joshua van Dalsum), dessen Lebensberechtigung aus ihrer Sicht durch Ellas Entscheidung entwertet wird.

Letztlich, und das ist die große Stärke des Films, geht es nicht um ein Thema, sondern um Menschen, die wiederum ausnahmslos vorzüglich verkörpert werden. Christian Erdmann muss zwar wenige Wochen nach dem Gendefekt-Drama "Nur eine Handvoll Leben" eine ganz ähnliche Rolle als werdender Vater spielen, macht das aber erneut mit viel Gefühl. Damit sich die Geschichte nicht ausschließlich um einen Aspekt dreht, hat Derfler immer wieder Nebenhandlungen eingestreut, die gerade den Nebenfiguren (allen voran Tina Engel und Gerhard Garbers als Marcus’ Eltern) zu mehr Komplexität verhelfen. Bertele, die erst eine Handvoll Filme gedreht hat (unter anderem "Der Brand" und "Nacht vor Augen"), aber dank diverser Auszeichnungen (zuletzt Grimme-Preis für "Grenzgang") zu den wichtigsten Fernsehregisseurinnen gehört, ist ohnehin für ihre ausgezeichnete Schauspielerführung bekannt; gerade Livia Walcher ist als aufmüpfige Tochter Antonia in ihrer ersten Rolle erstaunlich sicher. Alle Beteiligten profitieren allerdings auch von Derflers Vorlage. Selbst wenn zu Beginn eine Schlüsselbegriffe so betont werden, als seien sie im Drehbuch fettgedruckt gewesen, so kommt der Film ansonsten ohne die bei komplizierten Themen dieser Art eigentlich unvermeidlichen Kurzreferate aus; auch das trägt viel dazu bei, dass man sich als Zuschauer eine eigene Meinung bilden kann.